«Wer nur Säfte trinkt, verliert vor allem Wasser und Muskeln»
Nach Glühwein und Guetsli sollten wir entschlacken – das will uns die Werbung weismachen. Doch gibt es wirklich Giftstoffe im Körper? Und können Saftkuren oder Fastenwochen helfen? Ernährungswissenschaftler David Fäh klärt auf.
Saftkuren, Säure-Basen-Kuren, Kurhotels – dahinter steckt eine ganze Industrie.
Bild: StocksyNach Glühwein und Guetsli sollten wir entschlacken – das will uns die Werbung weismachen. Doch gibt es wirklich Giftstoffe im Körper? Und können Saftkuren oder Fastenwochen helfen? Ernährungswissenschaftler David Fäh klärt auf.
Veröffentlicht am 23. Dezember 2022 - 11:32 Uhr
Jedes Jahr schaue ich Freundinnen dabei zu, wie sie mit einer Saftkur in den Januar starten. Nicht als Diät, betonen sie, sondern zum Entgiften.
David Fäh: Kein Wunder, hinter solchen Produkten steckt viel Marketing. Saftkuren, Säure-Basen-Kuren, Kurhotels – eine ganze Industrie. Sie verspricht Wellness, Wohlbefinden, ein besseres Körpergefühl. Die Angebote sind hübsch verpackt, der Treiber ist aber häufig derselbe: Angst.
Gift im Körper!
Klingt «gfürchig», oder? Auffällig ist, dass nirgendwo beschrieben wird, um welche Gifte es bei diesen «Schlacken» geht. Ich habe schon nachgefragt; die Hersteller konnten mir keine einzige chemische Substanz nennen.
Dann sind Giftstoffe im Körper ein Mythos?
Ganz so einfach ist es nicht – die Dosis machts. Es gibt Stoffe, die uns nicht guttun. Alkohol ist zum Beispiel ein Zellgift. Unser Körper ist aber ausgeklügelt. Leber und Niere sorgen dafür, dass schädliche Substanzen abgebaut und ausgeschieden werden. Oder sie bleiben im Fettgewebe gebunden.
Was ist mit Umweltgiften?
Unsere Nahrungsmittel und das Trinkwasser enthalten Rückstände von Pestiziden, Medikamenten und vielem mehr, das stimmt. In der Schweiz ist die Konzentration aber so gering, dass sie wahrscheinlich nicht gesundheitsrelevant ist. Der Effekt wird stark überschätzt. Viele machen sich Sorgen um Giftstoffe im Wasser, nicht aber über das eigene schädliche Verhalten.
Es ist einfacher, die Verantwortung abzuschieben.
O ja. Ultraverarbeitete Produkte, Bewegungsarmut, unzureichender Schlaf – das ist Gift für die Gesundheit. Da nützt auch eine zweiwöchige Saftkur nichts.
Kann sie denn schaden?
Menschen mit Stoffwechselstörungen und Senioren sollten aufpassen, es besteht das Risiko einer Stoffwechselentgleisung respektive einer Mangelernährung. Oft enthalten die Säfte erstaunlich viel Zucker und alle sind mehr oder weniger verarbeitet. Wer gesund ist, kann das aber ruhig mal ausprobieren. Das habe ich auch schon gemacht.
Ein Ernährungswissenschaftler, der Saftkuren macht? Das überrascht mich.
Aus reiner Neugier! Es ging mir aber überhaupt nicht gut damit. Einige berichten ja von Energieschüben – ich war schlapp. Solche Kuren reduzieren die körperliche und die mentale Leistungsfähigkeit. Es ergibt also Sinn, den Zeitpunkt clever zu wählen. Die Faszination kann ich aber gut verstehen. Das kann eine spannende, vielleicht sogar spirituelle Erfahrung sein. Muster werden aufgebrochen, die Sinne geschärft.
Und ganz nebenbei nimmt man ab?
Klar: Wer nur Säfte trinkt, verliert Gewicht. Vor allem aber Wasser und Muskeln. Weder Saftkuren noch andere Arten von Fasten haben einen nachhaltigen Effekt, das zeigen Studien.
Was bringt mehr?
Dauerhafte Verhaltensänderungen. Wer täglich joggen und die ganze Ernährung umstellen will, scheitert vermutlich. Sinnvoller sind kleine, realistische Ziele: einen Teil des Arbeitswegs zu Fuss gehen. Auf Zucker im Kaffee oder gesüsste Getränke verzichten. Weniger Snacks aus Langeweile, weniger Desserts aus Routine. Solche Umstellungen brauchen Geduld, manchmal unzählige Versuche. Aber es lohnt sich.
David Fäh ist Mediziner und Ernährungswissenschaftler. Seit 2015 arbeitet er als Dozent an der Berner Fachhochschule für den Studiengang Ernährung und Diätetik. Bei der Beobachter-Edition erschien sein Ratgeber «Stressfrei abnehmen» mit 500 einfachen Ideen rund um Ernährung, Bewegung und Einkaufsverhalten.
2 Kommentare
Ich bin bereits zweimal in eine Fastenkur, verbunden mit jeden Tag wandern gegangen. Wichtig ist, dass man dabei körperlich aktiv bleibt. Ich habe mich danach so gut gefühlt, dass ich das künftig 1-2 mal im Jahr tun werde. Unser Körper ist garnicht dazu gemacht konstant satt zu sein. Nach etwa 2 Tagen stellt sich die sogenannte Autophagie ein, in welcher der Körper beginnt Zellabfall zu verbrennen, das ist sehr gut. Ich verstehe nicht warum diese fundierteren Informationen nicht in diesen Artikel einflossen. Natürlich sollte man dann auch das Jahr über auf die Ernährung achten, aber auch dafür kann so eine Kur hilfreich sein.
Das hat allerdings nichts mit dem Artikel zu tun - da geht es um Abnehmversprechen durch Säftli schlürfen, was nicht funktionieren wird weil solche Säfte schlicht Kalorienbomben sind. Das hat keinen Fasteneffekt, und wird darum auch keine Autophagie stimulieren. Und auch das sagenumwobene „Entschlacken“ darf man beruhigt als Werbegag abtun - Schlacke entsteht als Verbrennungsrückstand in der Industrie oder in der Kehrichtverbrennung, aber in menschlichen Körpern konnte „Schlacke“ (was immer es auch sein soll) wissenschaftlich noch nie nachgewiesen werden. Eine seriöse Fastenkur - in Ihrem Fall noch kombiniert mit zusätzlicher Bewegung - führt vielleicht nicht nachhaltig zur Gewichtsabnahme, kann aber immerhin für den Körper wohltuend sein. Eine fancy Saftkur für ein paar Tage ohne irgendeine andere Veränderung wird jedoch einzig den Hersteller und den Händler glücklich machen, die ihren leichtgläubigen Kunden mit esoterischen Geschichten Angst machen und sich auf ihre Kosten bereichern.