Hätte Simon Thönen gewusst, dass die Äpfel um den halben Globus gereist waren, hätte er sie im Migros-Regal liegen lassen. «Gala-Äpfel aus der Schweiz, biologisch hergestellt», stand auf der Etikette der Packung. Der Beobachter-Redaktor griff zu. Zu Hause kams zur grossen Verwirrung: Die einzelnen Früchte waren nämlich je mit einem Neuseeland-Kleber bestückt. «Ein bedauerlicher Fehler», sagt Migros-Sprecherin Monika Weibel. Die Etikettiermaschine war falsch eingestellt, die Äpfel kamen tatsächlich aus Neuseeland. «Es bestand niemals die Absicht, jemanden zu täuschen», entschuldigt sich Weibel.
Doch auch mit korrekten Etiketten ist die Verwirrung vor den Gemüse- und Früchteregalen gross. Das ganze Jahr über lockt ein riesiges Angebot an erntefrischen Produkten zum Kauf. Umweltbewusstes Einkaufen wird dadurch schwierig. Denn die ganzjährige Bereitstellung von Früchten und Gemüse ist mit grossem Energieeinsatz verbunden. Egal, ob hier gerade Schnee liegt oder die Blätter von den Bäumen fallen, irgendwo auf dem Erdball ist immer Saison.
Was also tun, wenn man, mit ökologischem Gewissen behaftet, vor dem Regal steht und wählen muss zwischen Schweizer Gewächshaustomaten und Freilandtomaten aus Marokko? Gleicht die Sonnenreifung einen langen Transportweg aus, oder weist eine heimische Produktion aus dem beheizten Gewächshaus die bessere Energiebilanz auf? Die Zahlen sind beeindruckend: Ein Kilo Freilandbohnen aus der Schweiz zum Beispiel verbraucht von der Aussaat bis ins Regal 0,1 Liter Erdöl, kommen die Bohnen aus Spanien, braucht es das Doppelte. In einem Kilo eingeflogener Bohnen aus Kenia stecken saftige 4,8 Liter Treibstoff.
Doch selbst wenn das Gemüse weit herumgekommen ist, verbraucht es meist weniger Energie, als wenn die Früchte beheizt werden müssen. «Wer im Winter Treibhausgemüse kauft, verbraucht neunmal mehr Erdöl als jemand, der auf Saisonprodukte setzt», rechnet Jennifer Zimmermann vom WWF vor. Sie empfiehlt, bei der Auswahl folgende Prioritäten zu setzen: immer Freiland. Erstens Bioprodukte aus der Schweiz, zweitens konventionell Produziertes aus der Schweiz und drittens Freilandprodukte aus Europa.
Verzicht auf Gewächshausprodukte
Von Gewächshaus- und Hors-sol-Produkten rät Zimmermann grundsätzlich ab: «Nur wenn wir auf Sonnenenergie statt auf Erdöl setzen, zahlt sich das für das Klima aus.» Zudem würden sonnengereifte Gemüse und Früchte besser schmecken als solche aus dem Gewächshaus. Auch Produkte aus Übersee findet Zimmermann schlicht überflüssig, ausser es handelt sich um Früchte, die es in Europa nicht gibt: «Ab und zu eine Banane ist in Ordnung.»
Die Transportart wird nicht deklariert
Von einer saisonbedingten Verknappung merken die Konsumenten kaum etwas. Sowohl bei Migros als auch bei Coop gibt es ein klar definiertes Pflichtsortiment: Äpfel, Gurken, Avocados, Salate et cetera müssen das ganze Jahr angeboten werden. Notfalls werden diese Produkte um die halbe Welt transportiert. «Die Nachfrage ist der Motor für das Angebot», sagt Coop-Sprecher Jörg Birnstiel. «Durch das viele Reisen und die zunehmende Internationalisierung der Speiserezepte verlangen die Kunden auch Produkte, die in der anderen Hemisphäre unseres Globus Saison haben.»
So werden im Winter die Bohnen aus Kenia, die Erdbeeren aus Marokko und die Spargeln aus Mexiko eingeflogen. Oft ohne Wissen der Konsumenten. Der WWF fordert zwar schon lange, dass der Lufttransport bei Früchten und Gemüse deklariert werden müsse. Migros und Coop weigern sich aber: «Wir überlassen der Kundschaft die Entscheidung, indem wir die Herkunft und nicht die Transportart deklarieren», erklärt Jörg Birnstiel von Coop. Und laut Migros-Sprecherin Monika Weibel hat es für diese Information schlicht keinen Platz auf der Etikette.
Dabei ist wohl beiden Grossverteilern klar: Nicht wenige Konsumenten würden auf Spargeln oder Ananas verzichten, wenn sie beim Kauf daran erinnert würden, dass diese eingeflogen worden sind. Denn eine Umfrage über Ernährung, Landwirtschaft und Umwelt der Universität Basel aus dem Jahr 2002 zeigt, dass 42 Prozent der Befragten beim Einkaufen ökologische Kriterien wie Herkunft, Produktionsweise oder Saison (siehe «Saisontabelle», Seite 65) beachten. Wobei nur noch knapp die Hälfte der Befragten einigermassen sicher weiss, was wann geerntet wird. Die Reifezeiten aller zehn abgefragten Früchte und Gemüsesorten konnten nur fünf Prozent korrekt nennen. Dabei schnitten die unter 30-Jährigen deutlich schlechter ab als ältere Befragte. Das Wissen geht verloren.
Am Preis allein kann sich der Kunde nicht orientieren, denn die langen Transportwege schlagen sich dort kaum nieder. Oft sind Gemüse und Früchte aus dem Ausland sogar billiger als Schweizer Produkte. Coop nennt Preisdifferenzen von bis zu 100 Prozent.
Die Nachfrage bestimmt das Angebot
Importzölle verhindern, dass die Preisunterschiede zwischen ausländischer und inländischer Produktion noch grösser sind: Wenn beispielsweise die Schweizer Tomaten reif sind, werden die Zollgebühren auf Importtomaten von 5 Rappen auf Fr. 2.64 pro Kilo erhöht, damit die Konkurrenz aus dem Ausland weniger attraktiv wird und die Schweizer Landwirte ihre Produkte loswerden können.
Die Konsumenten merken von diesen saisonbedingten Preiskämpfen hinter den Kulissen wenig, sie kaufen ihre Lieblingsfrüchte und -gemüsesorten das ganze Jahr hindurch und zu mehr oder weniger gleichen Preisen. Längst macht die Nachfrage die Saison und nicht mehr das Angebot. «Es gibt schon lange keine saisonalen Reifezeiten mehr», so Jürg Lüthi, Leiter der Schweizerischen Zentralstelle für Gemüsebau. Hors-sol-Produktion zum Beispiel sei witterungsunabhängig. Und produziert und angeboten wird, was die Konsumenten wollen. Für Lüthi ist klar: «Zuerst schauen die Leute auf die Qualität, dann auf die eigene Lust, dann auf den Preis und erst am Schluss auf die Herkunft.» Das schlechte Gewissen meldet sich erst, wenn im November ein Körbchen Erdbeeren im Einkaufswagen landet – und die Nachbarin das sieht.