Klingelt bei Patrick Riedo in den Sommermonaten der Wecker, stehen die Zeiger jeweils auf 3.20 Uhr. Der Alphirt, Käser, Gastwirt und Weinhändler braucht eine Viertelstunde, um wach zu werden, dann tappt er in die Dunkelheit und macht sich ans Tagwerk. Um 4.30 Uhr wollen die Kühe, die der 46-Jährige auf der Alp Stoss im Freiburger Oberland hält, gemolken sein. Die Alp ist seit 2006 als Biobetrieb zertifiziert; dieses Jahr sömmert Riedo 13 Milchkühe, einige davon wurden von ihren Besitzern sogar aus dem Bodenseegebiet hergebracht. «Kühe einem Älpler abzugeben ist Vertrauenssache», sagt Riedo. In seinem Stall herrscht geordnetes Multikulti: Das mächtige Schwarzfleckvieh steht brav neben den Simmentalern, dem Braunvieh und den Holsteinern, daneben gibt es ein Dutzend Schweine, ein Pferd, einen Hund. Zusammen mit den benachbarten vier Alpen, die zum Betrieb gehören, zählt der Stoss etwa 160 Hektaren. Täglich melken Riedo und seine Helfer 40 Kühe, deren Milch sie vor Ort in Alpkäse verwandeln.

Umsteigen, nicht aussteigen
Wenn Riedo nicht hirtet oder käst, bedient er in der Beiz die Ausflügler, die bei ihm ein Fondue, ein Raclette oder eine Rösti geniessen wollen. Dazu gibt es Brot aus dem Holzofen, der jeweils am Freitag eingeheizt wird. Vor allem an den Wochenenden melden sich auch Gruppen an, die auf die 1550 Meter über Meer gelegene Alp kommen, um die Fernsicht zu bestaunen, etwas Währschaftes zu essen, sich ins Molkebad zu legen oder in den Zimmern oder im Massenlager zu übernachten. Und wenn der Älpler und Familienvater Zeit findet, kümmert er sich auch um die Weinhandlung «Cantina del Mulino», die vor allem biologische Weine verkauft. In Freiburg und in Bern hat die «Cantina» je eine Filiale, ein paar ausgewählte Tropfen stehen auch im Käseladen auf dem Stoss zur Degustation bereit. Darunter ein Top-Wein der «besten Schweizer Winzerin 2006», Marie-Thérèse Chappaz. Ihre 40'000 Flaschen sind immer sofort ausverkauft - bei Riedo kann man einige davon ergattern.

«Vielleicht ist das alles ja einfach auch zu viel», sinniert Riedo später, als wir uns auf die Terrasse setzen. «Die Alp, das Käsen, den Wein, die Familie - das kann man eigentlich kaum unter einen Hut bringen.» Seine Kinder Matteo und Anna brauchen Aufmerksamkeit; seine Partnerin Pia Kaeser arbeitet bei Radio DRS und pendelt zwischen Zürich und der Alpküche hin und her.

Riedo, diplomierter Psychologe, war lange als Berufsberater tätig und baute nebenher den Weinhandel auf, bis er sich 2002 ganz für die Arbeit mit kulinarischen Produkten entschloss. «Ich arbeite gern mit Lebensmitteln; ich glaube, das liegt mir. Ein Aussteiger bin ich trotzdem nicht, eher ein Umsteiger, der seine Chance gepackt hat.» Bereits nach der ersten Saison erhielt sein Bergkäse die Goldmedaille «Swiss Cheese Award». «Das hat mir gezeigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin», meint Riedo.

Beliebt bei den Gästen ist auch die Rösti. Auf Anmeldung wird sie frisch zubereitet, nach eigenem «Geheimrezept». Für spontane Gäste gibt es jedoch meist Fertigrösti, «etwas anderes liegt zeitlich nicht drin», sagt Riedo. Sonst schwört der Autodidakt darauf, gekochte Kartoffeln vom Vortag zu verwenden, die er im Kühlschrank lagert (siehe nachfolgendes Rezept). Oft holt er die Knollen beim Schwager, der einen Bauernbetrieb führt. Zur einen Hälfte braucht es eine fest-, zur anderen eine mehligkochende Sorte. «Das ergibt eine Konsistenz, die teils pampig ist, teils locker», sagt Riedo. Zu locker dürfe sie nicht sein, sonst falle die Masse auseinander, zu mehlig auch nicht, sonst habe man nur Brei. «Das gute Mittelmass ist entscheidend.» Zum Braten verwendet er Schweinefett und Alpbutter, zum Würzen Salz und Pfeffer, gewendet wird der Fladen in der Luft. Für grosse Gruppen kocht Riedo in einer Paellapfanne bis zu 20 Kilo Rösti aufs Mal. «Die kann ich dann natürlich nicht mehr wenden», sagt er schmunzelnd.

Rohe oder gekochte Kartoffeln?
Esther Steinmann, 26, die auf dem Stoss mitarbeitet, ist Hauswirtschaftslehrerin und hat die Stelle über die Älpler-Webseite www.zalp.ch gefunden. Sie packt überall an, wo Hilfe nötig ist: in der Küche und in der Beiz, im Käse- und Weinladen. Die Region habe sie gereizt, vor Jahren habe sie im Welschland einmal ein Haushaltslehrjahr absolviert. Das Rösti-Grundrezept der Luzernerin tönt ähnlich wie jenes von Patrick Riedo: «Am besten, man nimmt geschwellte Kartoffeln vom Vortag; mit rohen Kartoffeln schmeckt es nicht.» Andere wiederum, vor allem Zürcher und Ostschweizer, schwören auf Rösti aus ungekochten Knollen.

Tut sich hier ein kulinarischer Röstigraben auf? Die «Betty Bossi Zeitung», die helvetische Instanz gutbürgerlicher Kost, verneint: «Rösti lässt sich aus rohen wie auch aus gekochten Kartoffeln zubereiten», sagt Chefredaktorin Susanna Ries, «beide Arten sind verbreitet; einen kulinarischen Röstigraben sehe ich nicht.» Für beide Varianten empfiehlt Ries festkochende Sorten und Bratbutter.

Ein paar hundert Meter vom Stoss-Gasthaus entfernt befindet sich ein Stall mit einem Dutzend Schweinen, die gerade auf dem Feld herumtollen. Diese Tiere seien streng genommen «nicht Bio», wie Patrick Riedo meint, «aber sie wachsen ziemlich glücklich auf». Die Bio-Zertifizierung empfindet er gelegentlich als «etwas fundamentalistisch». Oft seien die Vorschriften sehr streng, die Kontrollen jedoch lasch. Und es fehle das Denken in grösseren Zusammenhängen: «Ist es nicht besser, einen biodynamischen Wein ohne Zertifikat aus dem Wallis zu verkaufen, als einen Biowein aus Chile einzufliegen?» Und warum solle man für Biorüebli aus dem Supermarkt mehr bezahlen, obwohl sie nicht mehr Geschmack hätten als herkömmliche? «Bio halte ich nur dann für sinnvoll, wenn die Qualität stimmt», insistiert Riedo, «und wenn die Kontrolle nicht nur auf dem Papier stattfindet.»

«Ein Symbol der kulturellen Osmose»
Um halb fünf Uhr muss Patrick Riedo die Kühe für die Abendmilch holen. Hinter dem Stall überblickt man das ganze Dreiseengebiet von Murten, Biel und Neuenburg, im Vordergrund sieht man Sense und Saane - den «Röstigraben». Ein Begriff, der eigentlich genau das Gegenteil dessen belegt, wofür er kreiert wurde, so der NZZ-Journalist Christophe Büchi. Im Buch «Röstigraben» hat er das Verhältnis der beiden Landesteile untersucht und kommt zum Schluss: «Das Kartoffelgericht wird in der ganzen Schweiz geschätzt; es stellt ein Symbol der kulturellen Osmose und gerade nicht der Trennung dar.» Zudem sei der Begriff «Rösti» mit dem französischen «rôtir» (braten) verwandt. Fazit: Rösti mögen Deutschschweizer und Welsche ebenso - die Speise verbindet die beiden Sprachgruppen eher, als dass sie zur Abgrenzung taugen würde.

Aufgefallen ist Patrick Riedo jedoch, dass es unter den Welschen mehr Feinschmecker gibt als unter den Deutschschweizern. «Romands reisen von weither an, um ein Fondue zu essen; das machen Deutschschweizer weniger.» Diese würden lieber ein günstiges Bier trinken, die Romands aber verlangten nach Wein und liessen sich diese Passion auch etwas kosten. «Den Röstigraben gibt es schon», meint Riedo, «die Kulturen der Deutsch- und der Westschweizer sind verschieden. Aber es gibt auch Menschen, die sich in beiden Welten wohl fühlen; hier oben etwa auf der Alp Stoss spüren wir den Röstigraben eigentlich nicht.»

Freiburger Bergrösti Rezept für vier Personen
500 g festkochende Kartoffeln zum Beispiel Charlotte Am Vortag die Kartoffeln teils vorkochen, so dass sienoch stichfest sind. Im Kühlschrank aufbewahren.
500 g mehligkochende Kartoffeln zum Beispiel Agata, idealerweise vom Vorjahr
2 Esslöffel Schweinefettin eine Bratpfanne (Teflon) streichen und erwärmen. Die Kartoffeln schälen, grob raffeln und in die Pfanne geben. Würzen mit Salz und Pfeffer.
2 Esslöffel Alpbutter
Rösti unter regelmässigem Rühren eine Viertelstunde braten, dann zu einem Fladen formen. Hitze leicht reduzieren, Rösti auf der einen Seite während rund fünf Minuten goldbraun anbraten lassen. Rösti wenden - wers kann, in der Luft, sonst mit Hilfe eines Tellers -, dann Hitze nochmals leicht reduzieren und die andere Seite goldbraun braten.

Alp Stoss

Anfahrt: Ab Freiburg mit Autobus Richtung Schwarzsee, bei der Haltestelle «Badeliweg» aussteigen, rund zwei Stunden Fussmarsch. Mit dem Auto über die Alpstrasse bis zum Parkfeld beim Klein-Aettenberg, dann eine Dreiviertelstunde zu Fuss. Essen und Übernachtung nur nach Anmeldung.

Geöffnet täglich zwischen Alpaufzug (zirka Ende Mai) und Alpabzug (zirka Mitte September).

Alp Stoss
Patrick Riedo
1716 Plaffeien
www.stoss.ch