Die Gesellschaft empfängt er in abgenützten Jeans und Faserpelz. Heute sind es 40 Personen einer Schweizer Grossbank, die einen Ausflug machen. Da steht er nun vor seinen zwei Brennanlagen, einer modernen für die Obstbrände und einer traditionellen für den Whisky, und erzählt in unterhaltsamem, selbstironischem Ton seine Geschichte. Ruedi Käser, Schlossherr von Elfingen, gibt den Klassiker: wie aus einem Niemand eine Persönlichkeit wurde - in seinem Fall ein begnadeter und anerkannter Schnapsbrenner.

Schon nach wenigen Sätzen hat Käser sein Publikum im Sack. Wie ein routinierter Conférencier holt er virtuos aus, flicht Anekdote an Anekdote und schliesst mit den Worten: «Wenn etwas nicht mehr getrunken wird, dann zünden wir es halt an.» Der Lacher ist ihm sicher.

Prädikat: «ungeniessbar»
Der Selfmademan hat Ideen und das Zeug, diese umzusetzen. Das Fricktal ist Kirschland. Das klare Wasser hat hier eine lange Tradition. Eines Tages schickt Obstbauer Ruedi Käser seinen Brand, den er im Tal destillieren lässt, an eine Wettbewerbsdegustation. Er ist überzeugt, etwas Spezielles geschaffen zu haben. Der Brand kommt zurück - mit dem Prädikat «ungeniessbar». Da sticht ihn der Hafer. Er geht zu seinem Brenner und sagt: «Du, wir müssen da was ändern.» Bald nimmt er die Sache selbst in die Hand. Der Durchbruch lässt nicht lange auf sich warten. Allerdings nicht mit dem Kirsch, sondern mit einem Apfelbrand.

22-07-Brennerei04.jpg

Aus seltenen Apfelsorten werden Edelbrände.


Vor zehn Jahren habe er sein «Berner-Rosen-Experiment» gestartet, erzählt Ruedi Käser. Die Berner Rose ist eine alte, heikle Apfelsorte. Sie ist von einem zauberhaften lila Schimmer überzogen und verströmt einen süssen Duft. Doch die Sorte hat Haken: Sie trägt nur alle zwei Jahre Früchte, ist anfällig für alle denkbaren Krankheiten und lässt im Spätsommer einen Drittel der Früchte fallen - damit jene, die noch hängen, voll ausreifen können. All das hält Käser jedoch nicht davon ab, die mittlerweile grösste Berner-Rosen-Plantage der Schweiz anzulegen. «Es ist ein wundervoller Apfel, er trägt einen wunderbaren Namen, und es gibt ihn nur hier. Das ist Swissness, die man verkaufen kann», ist Käser überzeugt. Und er sollte recht bekommen.

1996 gewinnt er mit seinem Berner-Rosen-Apfelbrand an der Destillata in Wien, der wichtigsten Edelbrandverkostung Europas, eine Auszeichnung. Für den Obstbauern ein bleibendes Erlebnis: «Da stand ich kleiner Niemand vor 400 Fachleuten, die Schweizer Nationalhymne wurde gespielt, und meine Brust schwoll an.» Auf dem Heimflug habe er einem mitgereisten Journalisten verkündet: «Ich will nicht einen Preis gewinnen, ich will der beste Brenner in ganz Europa werden!» Der Medienmann habe milde gelächelt und gemeint, er soll sich doch erst mal eine Brennanlage kaufen und noch etwas üben.

22-07-Brennerei05.jpg

Magische Destillerie: Mit dem ungeniessbaren Vorlauf wird Feuer gespuckt.


Das macht Ruedi Käser dann auch - mit dem ihm eigenen Fieber. Es folgen Meilensteine: 1999 kommt er in den Destillata-Top-Ten an, 2000 kauft er sich eine High-Tech-Brennanlage, 2002 gewinnt er die Destillata-Gesamtwertung, den Nobelpreis der Schnapsbranche sozusagen. Da beginnt sie über den Neuling aus der Schweiz zu reden. Mehr als 130 Schnäpse hat Ruedi Käser schon gemacht und inzwischen bereits 175 Medaillen gewonnen. Demnächst wird ihm vom Bundesrat zum sechsten Mal der Innovationspreis der Schweizer Nahrungsmittelbranche überreicht, diesmal für die Entwicklung eines Sortiments von Flambierbränden.

Sogar aus Geranien macht er Schnaps
Das war auch so eine Schnapsidee: Eines Tages habe er Knoblauch gebrannt, erzählt er seinen Gästen. Es habe nicht lange gedauert, da beklagte sich die Familie. Nicht nur die Brennerei roch ganz fürchterlich, auch der Brenner begann zu stinken, so dass die Kinder ihn aufforderten, das Zeug wegzukippen. Das kam für den Tüftler nicht in Frage. Wenig später an einem Anlass in Berlin trat er zum Koch und sagte: «Du, hol noch einmal etwas Fleisch hervor, wir müssen was probieren.» Das schräge Destillat passte hervorragend. Kurz flambiert, verlieh es dem gebratenen Fleisch einen feinen Duft. Ein neues Produkt war geboren.

In seinen Regalen stehen Brände von Birnen, Waldhimbeeren, wildem Holunder, Quitten, wilden Pflaumen, alten Zwetschgen. Von Apfelsorten wie Gravensteiner, Sauergrauech, Golden Delicious, von Kirschensorten wie Langstieler und Dolleseppler. Von Heu und Tannentrieben, von Trauben wie Gewürztraminer, Muscat, Sauvignon blanc, Muskateller. Von Mohn, Thymian, Zimt, Schokolade, Mispel, Erdbeere, Haselnuss - nichts, was Ruedi Käser nicht schon gebrannt hätte. Selbst Geranien hat er neulich zu Schnaps verarbeitet - und ist mit dem Resultat nicht unzufrieden: «Sehr exotisch, in der Nase streng, zeigt am Gaumen aber eine schöne Mentholnote.»

22-07-Brennerei02.jpg


Nun füllt Ruedi Käser die Destillerie. Schaubrennen gehört zum Programm. Zwölf Tage haben die Williamsbirnen im Kunststofffass gegärt. «Sieht nicht gerade appetitlich aus», meint einer der Gäste, während Käser mit einem Plastikkessel das Fruchtgut in den Brenner schöpft. «Muss ja auch nicht sein», sagt der Gastgeber. Bald schon schweben die ersten Tröpfchen durch den Kondensator. Es riecht zart nach Birne und ist wie Zauberei.

Währenddessen herrscht in der Küche Hochbetrieb. Eben wird die Suppe aufgetragen, da brät Franziska Käser die Kalbsfilets an, die mit einer dezenten, köstlichen Wildkirschensauce auf den Tisch kommen werden. Auch sie ist in ihre Aufgabe hineingewachsen und verarbeitet fast ausschliesslich Produkte aus dem eigenen Garten.

In den Anfangszeiten betrieben die beiden eine einfache Buschwirtschaft; es gab Raclette und Fondue. Doch dann seien immer mehr Leute gekommen, die ihren Geburtstag, ihre Hochzeit oder sonst ein Fest bei ihnen feiern wollten, so Franziska Käser. Heute bewirtet das Ehepaar 100 Gesellschaften pro Jahr.

22-07-Brennerei01.jpg

Für das leibliche Wohl ist gesorgt: Franziska Käser kocht.


Eine wahre Wucht ist Käsers Bohnapfel «Fassstärke», ein hochprozentiger und dunkler, im Holzfass ausgebauter Apfelbrand, den er mit Vorliebe seinen schottischen Gästen vorsetzt. Sie sind dann jeweils überzeugt, einen Whisky zu trinken. Auch der Bohnapfel ist eine alte, beinahe verschwundene Sorte. Sie reift sehr spät und war früher unbeliebt - zur Zeit der Lese gabs klamme Finger. Bei Ruedi Käsers Bruder, der im aargauischen Birmenstorf eine Gärtnerei betreibt, stehen noch zwei Bäume im Garten. Ein Glück, denn der Bohnapfel eignet sich hervorragend fürs Brennen, da seine Fruchtaromen im Destillat schön zur Geltung kommen.

Österreich als grosses Vorbild
Lange Zeit war Schnaps in der Schweiz Massenware oder Resteverwertung. Kirsch kaufte man in der Literflasche oder setzte selbst einen Topf zur Gärung an. Nur wenige Produzenten haben rechtzeitig erkannt, dass sich aus Bränden auch mehr machen lässt. Ganz anders bei unseren Nachbarn. «In Österreich ist es Tradition, dass Gäste zur Begrüssung einen Vogelbeerschnaps bekommen», sagt Käser. Der österreichische Lebensmittelkult hat auf den Fricktaler grossen Eindruck gemacht; die Art und Weise, wie es die Österreicher schaffen, Spitzenprodukte zu entwickeln und in der Gastronomie zu platzieren, kopiert er gern.

Mittlerweise sind aus eineinhalb Zentner Williamsbirnen knapp drei Liter 80-prozentiger Birnenbrand geworden. Einmal sei ihm wegen seiner kleinen Ausbeute die Alkoholverwaltung auf die Pelle gerückt, so Käser. Sie vermuteten, dass er einen Teil schwarz verkauft, denn gemäss eidgenössischem Regelwerk müsste das Doppelte an Alkohol zu gewinnen sein. Das Qualitätsstreben ist in den Paragraphen nicht vorgesehen.

Ein leichtes, mit einem Fruchtbrand parfümiertes Pannacotta markiert den Abschluss des Menüs. Nun verteilt sich die Gesellschaft in der Brennerei, der Zeitpunkt ist günstig für eine kleine Einlage. Mit dem sogenannten Vorlauf - dem Destillat, das auch ungeniessbare Alkohole enthält - spuckt Ruedi Käser für seine Gäste Feuer. Dann überlässt er, wieder ganz routinierter Conférencier, das Feld der Organisatorin der Ausflugs.

22-07-Brennerei06.jpg


Rückzug ist auch bei den Bränden angesagt. Er habe in den letzten Jahren viel in die Whiskybrennerei investiert, wolle sich aus den Obstbränden zurückziehen und Schweizer Whisky als Luxusartikel etablieren, erklärt Käser, der selbst noch nie in Schottland war. Er wolle erst dann dorthin, wenn er seine eigene Whiskygeschichte geschrieben habe, ohne sich von der grossen Tradition Schottlands beeinflussen zu lassen.

Whisky aus der Vollmondnacht
Käsers erste Getreidebrände - er brennt 10'000 Liter im Jahr - wurden von der Fachwelt positiv aufgenommen. Doch auch in diesem Bereich entwickelt er eigene Ideen: Statt mit dem Alter zu operieren, wie das die Schotten tun, lagert er seine Whiskys in verschiedenen Hölzern: Französischer, Amerikanischer, Ungarischer und - natürlich - in Fricktaler Eiche. Im März will er den weltweit ersten Vollmondwhisky lancieren, der in Vollmondnächten produziert und abgefüllt wird.

Überhaupt ist er vom Marktpotential des Whiskys überzeugt: Weltweit gebe es über 300'000 Obstbrenner - das Kulturgebiet des Obstbrands umfasse aber nur 150 Millionen Menschen. Whiskybrenner hingegen gebe es gerade mal knapp 1'900, deren potentieller Markt umfasse aber drei Milliarden Menschen. Und auch das Image des Whiskymachers sei ein besseres: Unter einem Obstbrenner stelle man sich einen betrunkenen Mann mit roter Nase vor. Ein Whiskyhersteller hingegen sei ein alter, weiser Mann. Alkohol sei bei ihm nie ein Thema. Whisky zu trinken sei eben «Genuss pur - Lifestyle», so Käser.

Keine Frage: Der ehemalige Obstbauer will ins gehobene Segment. Seine Gäste hat er schon überzeugt.

Kalbsfilet an Wildkirschensauce Rezept für vier Personen
1 Kalbsfilet 1 Kalbsfilet in heissem Öl rundherum anbraten, aus der Pfanne nehmen. Zirka eine Stunde im Ofen bei 80 Grad garen.
2 Schalotten klein schneiden, in etwas Butter anschwitzen.
Mit 4 Zentiliter Weisswein ablöschen, auf die Hälfte einkochen.
Mit Salz, Pfeffer und wenig Muskat abschmecken
Mit 2 Deziliter Kalbsfond und 2 Deziliter Rahm auffüllen und einkochen. Kurz vor dem Servieren mit einem schönen Schuss Wildkirschendestillat parfümieren.
Franziska Käser reicht dazu Butternudeln und frisches Gemüse aus dem Garten.


22-07-Brennerei03.jpg

Quelle: Stefan Walter