Die Frau, die am 23. Mai 2001 als erste Schweizerin auf dem höchsten Berg der Welt stand, ist Energie pur: «Ich habe Ameisen im Körper, die mich zu jucken beginnen, wenn ich zu lange stillsitze.»

Evelyne Binsack sucht Herausforderungen, die gewöhnlich Sterblichen ungewöhnlich erscheinen: Sie ist Bergführerin, machte das Brevet als Helikopterpilotin, bestieg den Mount Everest.

In der Küche jedoch setzt sie die Ziele nicht unnötig hoch. Ich bat sie, für mich etwas zu kochen sie hat sich für eine Apfel-Birnen-Wähe entschieden.

Wer sie nach ihrem Äusseren beurteilt, könnte denken, Evelyne Binsack ernähre sich ausgewogen und genau nach Plan: kalorienbewusst und diszipliniert. Weit gefehlt. Die Ernährung ist für sie so unwichtig, dass sie sich in den Bergen oft zwingen muss, daran zu denken.

Hauptsache Honigbrote

Schon als Kind empfand sie das Mittagessen als unangenehme Unterbrechung des Spielens. Wenn ihr Körper sie aber ultimativ daran erinnert, dass Nachschub nötig ist, kann sie ziemlich grantig werden. Und wenn ein Tag ohne ihre geliebten Honigbrote beginnt, dann gute Nacht!

Wie sie es auf ihrer Himalaja-Expedition mit den kargen Mahlzeiten aushalten konnte, weiss sie selber nicht mehr. «Man kann nur wenig mitnehmen, sehnt sich immerzu nach Leckereien und hat garantiert das Falsche dabei.»

Auch in Spanien, wo sie die letzten Monate bei einer Helikopterfirma arbeitete, war sie punkto Essen schlecht bedient. Um 15 Uhr gabs Mittagessen, gegen Mitternacht das Nachtessen, mit vollem Magen ging es dann ins Bett das behagte ihr nicht. «Ich fing an, Vorräte anzulegen wie ein Hamster, um die langen Stunden vor den Hauptmahlzeiten zu überstehen.»

Evelyne Binsack wohnt in einem Chalet in Beatenberg BE, hoch über Interlaken, mit Blick auf Eiger, Mönch und Jungfrau. Die Decken der Wohnung sind niedrig, der Grundriss ist verwinkelt, und die Küche bietet nicht viel Bewegungsspielraum: Hier gibts nur eine kleine Anrichte und einen ovalen Tisch. Sie nennt es einen Eineinhalb-Personen-Haushalt, denn ihr Lebenspartner Sandro ist äusserst selten hier: Er lebt im Westen Kanadas.

Ich setze mich hin und helfe Äpfel und Birnen zu schälen. Ganz nebenbei bietet mir Evelyne Käse an, von dem im Kühlschrank immer grosse Stücke vorhanden sind. Zur Vorspeise «Zermatter» und «Saxeter», dazu die Obstschnitze, die auf dem Kuchenblech keinen Platz mehr finden, und einen Schluck Pinot Grigio. Auch das erstaunt mich: Die Frau trinkt Alkohol! In ihrer Biografie «Schritte an der Grenze» erzählt sie sogar von einem Whiskyrausch, den sie sich in einem Basislager auf mehr als 5000 Metern über Meer angetrunken habe. Als ich das las, war ich beruhigt: Sie ist doch kein Übermensch.

Die Offenheit, mit der Evelyne Binsack auf die Menschen zugeht, polarisiert. Sie sagt, was sie denkt, ohne diplomatische Doppelböden, und macht aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Dass sie damit aneckt, bekam sie schon oft zu spüren. Einem ihrer Partner sagte sie einmal: «Du bist beige und dein Auto ist grau.» Damit war die Beziehung endgültig im Eimer.

Und wenn eine Frau so ungeniert in Männerdomänen eindringt und es ihr dabei «vögeliwohl» ist, müssen sich ihre Berufskollegen provoziert fühlen: die knorrigen Bergführer, für die es schon ins Plagieren geht, wenn jemand über sein letztes Gipfelabenteuer erzählt; die so wenig reden, als sei die Bergluft gebührenpflichtig.

Wir diskutieren über Familienpläne. Evelyne Binsack, die sich als «Mensch mit Pioniergeist» sieht, zeigt sich von unerwartet konservativer Seite: «Wenn ich Kinder hätte, würde ich mit ihnen zu Hause sein wollen. Ich denke, dass es für die Kleinen gut ist, wenn ihre Mutter voll für sie da ist.» Ein Leben zu Hause kann sie sich jedoch nicht vorstellen, weshalb sich die Frage nach Nachwuchs bei ihr nicht stellt.

Überhaupt bezeichnet sie sich als Mensch, der nur begrenzt mit der Zivilisation zurechtkommt. Dass sie Gäste zum Nachtessen einlädt, ist selten. Nicht dass sie ein gutes Essen verachten würde, aber viel mehr freut sie sich, wenn sie mit Sandro ein paar Stunden Zweisamkeit geniessen kann. Zumal er eher für die kulinarischen Höhenflüge zuständig ist als sie.

Der Kuchen ist fertig und wird ohne Schlagrahm serviert. «Der würde eigentlich dazugehören, ich habe ihn aber vergessen», entschuldigt sie sich. Die Wähe mit den Boskopäpfeln und den Williamsbirnen aus dem Dorfladen steht für Evelyne Binsacks Ernährungsphilosophie. «Ich versuche, mich auf das lokale und das saisonale Angebot zu beschränken. Grossverteiler, bei denen zu jeder Jahreszeit alles gekauft werden kann, sind mir zuwider.»

«Ich bin eher Schnörkellos»

Dann noch eine letzte Entschuldigung: Es ist ihr peinlich, dass sie den Tisch nicht dekoriert hat, dass es keine Servietten gibt und keine Kerze brennt. «Ich bin halt nicht so verspielt, eher schnörkellos, jemand für das Grobe.» Sie lacht ihr entwaffnendes Lachen, als ob sie ihre eigene Unsicherheit zum Fenster hinausscheuchen möchte. Und wird gleich wieder von Zweifeln eingeholt: «Hätte ich doch ein Rindsfilet gebraten, dann hätte ich mich, allen Vorurteilen zum Trotz, als häusliches Fraueli darstellen können.»

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