Es ist das Licht, das mir jeweils Venedig ankündet. Wenn der Zug das Meer erreicht und schliesslich auf dem Damm in die Lagune hinausfährt, erfüllt ein schimmerndes Leuchten die Luft und bringt Himmel und Wasser zum Strahlen. Ich denke dann daran, dass es dieses Licht ist, das den englischen Maler William Turner dazu inspirierte, die Leinwand, den Karton, das Papier erst mit weisser Farbe einzutönen, bevor er die Arbeit an seinen Landschaftsbildern begann.

Ankunft in Venedig. Ich trete aus der Wartehalle hinaus auf den schönsten Bahnhofplatz der Welt. Unten an seinen Stufen warten die Stadt und die Vaporetti, die kleinen Kanalschiffe, auf mich. Ich steige in die Numero uno und tuckere auf ihr ins fahle Morgenlicht hinein, das über der noch stillen Stadt liegt. Eines ist klar: In Venedig will ich am frühen Morgen ankommen. Es mag sein, dass mir ein Quäntchen Müdigkeit zu jener leichten Euphorie verhilft, die ich in der Lagunenstadt stets erlebe. Es mag sein, dass es die Vorfreude ist auf eines jener kleinen Abenteuer, die mir der Aufenthalt in Venedig noch jedesmal beschert hat.

Auf See vom Sturm überrascht
Zum Beispiel die Freundschaft mit Professore Inchisa. Antonio Inchisa ist Kunstwissenschaftler, zuständig für historische Gebäude im «centro storico», also im Grunde genommen für ganz Venedig. Venedig zu erhalten ist eine Sisyphusarbeit, und oft genug sagt Antonio: «Das Geld reicht immer nur für eines von zehn Häusern, die es zu retten gälte. Doch nie fallen konkrete Entscheide! So wird das Geld schliesslich für alle Gebäude eingesetzt, die dann allesamt früher oder später doch zerfallen.» Aber im gleichen Atemzug schwärmt Antonio dann von einem neu entdeckten Gebäude, das «unbedingt erhalten werden muss»…

Eines Morgens wollte er mich nach Torcello führen, um mir einen ganz besonders schönen Häuserfund zu zeigen. So machten wir uns mit dem Boot seiner Behörde auf den Weg dorthin. Es war einer jener Tage, an denen die Bora wehte, der wilde Wind aus Istrien, der den Wellen weisse Schaumkronen aufsetzt und die Luft mit Gischt erfüllt. Wir waren trotz den Regenmänteln im Nu nass.

Den Leuchtbojen der offiziellen Wasserwege entlang ging die Fahrt Richtung Osten. Der Wind war inzwischen heftiger geworden, der Himmel verlor jegliche Farbe, hing fahl über uns, während die Wellen immer höher tanzten. Antonios Gesicht sprach Bände, obwohl er immer wieder beteuerte, einen solchen Sturm habe er schon oft erlebt und noch jedesmal gemeistert.

Schutz auf einer einsamen Insel
Heute glückte ihm das nicht. Er steuerte auf eine kleine Insel zu, wir legten mühevoll an, gingen an Land und suchten Schutz im einzigen, verlassenen Haus. Es war eines jener Fischer- und Bauernhäuser, wie sie seit vielen Jahrhunderten auf den Laguneninseln zu finden sind. «Hier, auf den Salzwiesen, haben früher Kühe geweidet», erzählte Antonio, während über uns die losen Ziegel auf dem Hausdach klapperten. «Und da drüben, in den tiefen Erdtrögen, wurden die lebendig gefangenen Fische und Langusten bis zum Verkauf gelagert. Heutzutage ist der Verdienst für alle zu klein und der Beruf zu hart; was für ein Verlust an Lebenskultur!»

Wir warteten – Stunde um Stunde. Wir hatten kein Telefon zur Verfügung, noch hatten wir etwas zum Essen oder Trinken mitgebracht. Die Augenblicke wurden zur Ewigkeit. Erst gegen Abend liess der Wind etwas nach. Während der Himmel aufriss und das Wasser seine bleigraue Farbe verlor, fuhren wir nach Venedig zurück.

An jenem Abend kochte Antonios Frau Amelia für uns ausgehungerte Reisende «Fegato alla veneziana», Kalbsleber an Zwiebelconfi. Es schmeckte himmlisch!

Spät in der Nacht ging ich ins Hotel zurück. Die Bora hatte wieder eingesetzt, die schmalen Gässchen waren von ihrem Brausen erfüllt, und die Strassenampeln schaukelten im Wind. Am nächsten Morgen wurde ich von wildem Hämmern geweckt. Die Stadtverwaltung stellte die Stege für den Markusplatz und seine Seitengassen zusammen. Sechs Stunden später stand Venedig einen halben Meter unter Wasser.

Rezept: Fegato alla Veneziana

Zutaten für 4 bis 6 Personen

  • 450 bis 500 Gramm Zwiebeln
  • 80 Gramm Butter
  • 2 bis 3 Esslöffel Wasser oder Bouillon
  • 2 bis 4 Esslöffel
  • trockenen Weisswein
  • 500 bis 550 Gramm Kalbsleber
  • etwas Salz und weisser Pfeffer aus der Mühle
  • etwas Balsamico-Essig
  • einige Majoran- oder Thymianblüten


Vorbereitung

Die Zwiebeln schälen und in Ringe schneiden. Die Kalbsleber in etwa zentimeterdicken Tranchen einkaufen und von Haut und allfälligen Blutbahnen befreien. Dann in Stücke von rund einem Zentimeter Dicke und vier Zentimeter Länge schneiden. Mit Küchenpapier abtupfen.


Zubereitung

  • Die Hälfte der Butter in einem Pfännchen schmelzen lassen. Wenn die Butter aufschäumt, die Zwiebelringe einlegen und alles sanft und unter stetem Wenden mit einem Holzlöffel anziehen, ohne dass die Ringe Farbe annehmen.

  • Nach etwa zehn Minuten etwas Salz darüber streuen und für eine Minute den Deckel auflegen. Wein und Wasser dazugiessen und zugedeckt sanft einköcheln lassen. Die Zwiebeln immer wieder umrühren. Allenfalls etwas Wasser nachgiessen.Die Butter in einer weiten Pfanne erhitzen. Wenn die Butter hellbraun wird und «nussig» duftet, die Leberstücke einlegen und sehr rasch rundum etwas anbraten. Sofort herausnehmen und an der Herdseite, mit Alufolie locker zugedeckt, reservieren.

  • Den Pfannensatz mit wenig Wasser aufkochen und alles unter stetem Pfannenschwenken vermischen. Den von den Leberstücken abgetropften Saft dazumischen und unter Schwenken ebenfalls darunterlegieren. Mit Salz und Pfeffer kräftig abschmecken und ausserhalb der Platte reservieren. Auf der Platte würde sich die Sauce sofort trennen.


Anrichten

Auf warme Teller je einen Kreis mit den Zwiebeln geben, dann die Leberstücke darauf betten. Etwas Sauce um die Zwiebeln und einige Tropfen Balsamico in die Sauce giessen. Eine Majoran- oder Thymianblüte auf das Gericht setzen. Dazu servieren Venezianer nichts ausser viel frischem Weissbrot.


Die Tricks

  • Kalbsleber gart ausserordentlich rasch durch. Damit ihr Inneres trotz starkem Anbraten saftig bleibt, wird bei starker Hitze kurz angebraten; an der Herdseite ziehen die Fleischstücke dann durch. Damit kein Hitzestau die Leberstücke trocken gart, darf die Alufolie bloss locker über den Fleischstücken liegen.

  • In der langen, sanften Garzeit werden die Zwiebeln süss-saftig und zart, ohne dass sie dabei ihre Struktur verlieren. Ausserdem verhindert die lange Kochzeit, dass die Zwiebeln im Magen später Blähungen bilden können.

  • Die Leberstücke müssen vor dem Anbra ten abgetupft werden: Das anhaftende Blut würde in der heissen Butter viel rascher garen als das Fleisch. Wenn das Fleisch knusprig wäre, wäre das Blut bereits verkohlt und würde zu einem unangenehmen Bitterton führen.

  • Die Sauce, die Sie zum Schluss herstellen, soll auf gar keinen Fall kochen. Stellen Sie die Pfanne deshalb nur je nach Hitzebedarf vorübergehend auf die heisse Platte. Kommt die Sauce zum Kochen, trennt sie sich.

  • Eine echte «Fegato alla veneziana» wird stets wie im Rezept beschrieben serviert. Die Zwiebeln bilden nämlich eine eigentliche Gemüsebeilage, die sich während des Essens mit dem Rest des Gerichts vermischt.

  • Seien Sie mit dem Balsamico-Essig sparsam. 4 bis 5 Tropfen pro Teller genügen, um dem Ganzen jene Raffinesse zu verleihen, die das Gericht so einzigartig macht.