Der Mann, der in Zürich als «Seidenkönig» bekannt ist, benimmt sich im Alltag manchmal wie ein Hofnarr. Seine Sprüche sind gefürchtet, seine Streifzüge durch die Lokale des Langstrassenquartiers legendär. Eines muss man Andi Stutz aber lassen: Er ist ein äusserst aufmerksamer Gastgeber. Gleich bei meiner Ankunft bietet er mir das erste Glas Champagner an. Stutz möchte selber noch nicht anstossen, denn «wenn ich jetzt schon mit dem Trinken anfange, habe ich bald keine Lust mehr, in der Küche zu stehen».

Stutz hat sich mitten im Zürcher Rotlichtmilieu, wo sich vornehme Geschäftsleute meist nur inkognito blicken lassen, in drei Häusern eine Oase eingerichtet: Hier lebt und arbeitet er. Die Liebe zu dieser speziellen Umgebung drückt er nicht nur durch seine Anwesenheit aus, sondern auch durch seine Arbeit in der «Interessengemeinschaft Müllereck», die sich für ein belebtes und wohnliches Quartier einsetzt.

Wir werden in Stutz’ Privatküche auf kleinstem Raum Lachsröllchen und einen Schweinsbraten zubereiten, dazu Schwarzwurzeln, Kartoffelstock, Rosenkohl und einen Krautsalat mit Granatapfelkernen. Damit nichts schief geht, hat Stutz seine Restaurantmitarbeiter Michael und Elvira engagiert, die sich am Herd und im Service um das Wohl der Gäste kümmern werden. Praktisch, wenn im Erdgeschoss des Hauses der eigene Gourmettempel namens Seidenspinner liegt. «Es hat aber auch Nachteile», sagt Stutz. «Es sind immer so feine Sachen da. Wenn sie mir am Mittag etwas anbieten, kann ich kaum widerstehen, obwohl ich mich zurückhalten sollte.»

Ein eigenes Restaurant als Hobby
Vor zwei Jahren fühlte sich Andi Stutz nicht mehr wohl in seiner Haut und strich alle tierischen Fette vom Speiseplan. So musste er auf Käse ebenso verzichten wie auf Butter und Würste. Das Resultat waren zehn verlorene Kilos und ein neues Lebensgefühl. «Unterdessen habe ich die Hälfte wieder zugenommen und werde bald wieder fasten müssen.» Womit sich Stutz aber schwer tut: «Essen ist halt etwas so Schönes – und ein leeres Glas ist schlimmer als Heimweh.»

Der Schweinsbraten ist Chefsache, wie so vieles im Reich von Andi Stutz. Er ist es, der die exakte Stossrichtung angibt, sowohl in seiner Firma Fabric Frontline wie im Restaurant Seidenspinner. Das Lokal eröffnete er vor zwei Jahren aus einem einfachen Grund: «Ich wollte einen Ort kreieren, wo auch ich gerne essen würde.»

Dass der Betrieb nicht rentiert, ist ein offenes Geheimnis – Stutz subventioniert jeden Tisch aus dem eigenen Sack. Und er weiss auch warum: «Wir produzieren hier sehr aufwändig: Fleur de Sel, erstklassiges Olivenöl, grosse Stoffservietten, erlesenes Haushaltgeschirr et cetera – das alles hat eben seinen Preis.»

Wenns ums Geld geht, ist der Mann eigensinnig. Fehlinvestitionen und Verluste an der Börse haben ihn gelehrt: «Ich kaufe heute nicht mehr Aktien, sondern Kunst, und zwar ausschliesslich Werke, die mir gefallen. Es gibt viele sündhaft teure Bilder, die ich nicht einmal umgekehrt im WC aufhängen würde.»

Andi Stutz beteiligt sich aktiv am Gesellschaftsleben – und lebt doch fast allein. Sein Partner, der Künstler Ugo Rondinone, verbringt mehr Zeit in New York als in Zürich. Andi nennt ihn seinen «besten Freund» und weicht Fragen nach der Art und Weise der Beziehung aus. Lieber lässt er einen frechen Spruch fallen: «Ich brauche keinen, nur um mich mit ihm für ein Heftli fotografieren zu lassen.»

Der wirksame Trick gegen den Kater
Das Flair fürs Schöne und Erlesene entdeckte Andi Stutz erst als Erwachsener. Seine Mutter kochte einfach, gut und ausreichend. Man durfte Freunde einladen, wann man wollte. Gab es etwas, was Andi als Kind nicht gern hatte? «Nein, meine Mutter kochte, was wir mochten. Wir wurden nie gezwungen, etwas zu essen.» Und dann, mit einem Augenzwinkern, ein typischer Andi-Stutz-Nachsatz: «Meine Neurosen kommen eindeutig nicht von dort.»

Stutz steht auch heute für eine einfache Küche mit frischen, wenn möglich regionalen Produkten ein. Darum bezieht er sein Kag-Biofleisch ausschliesslich von seinem Lieblingsmetzger in Langnau am Albis. Die Granatäpfel kommen aus Usbekistan. Politisch unkorrekt? Eigentlich schon, aber Stutz hat sie nicht hier «gepostet», sondern in Russland, wohin er einmal monatlich reist, um seine Foulards, Krawatten und Seidenstoffe zu verkaufen.

In Moskau erschliesst Stutz seit einiger Zeit neue Verkaufskanäle. Die Geschäftspartner, die er dort kennen gelernt hat, seien immer wieder für Überraschungen gut. «Sie sind so gastfreundlich, dass ich haufenweise Kaviar essen muss, obwohl ich gar nicht scharf drauf bin. Lehne ich ab, denken sie, es sei aus Bescheidenheit – und geben mir die doppelte Portion.»

Dass die Russen auch den Wodka sehr grosszügig einschenken und trinken, kann Andi Stutz nicht bestätigen. Trotzdem verrät er uns ein witziges Katerrezept: «Wenn ich nach durchzechter Nacht am Mittag bereits wieder mit jemandem anstossen soll, nehme ich ein Champagnerglas, fülle es mit Mineralwasser und gebe drei Tropfen Maggiwürze dazu. Das sieht verblüffend echt aus und ist für einen empfindlichen Magen bestens verträglich.»

So weit sind wir heute zum Glück nicht. Wir setzen uns an den riesigen Esstisch, der gedeckt ist wie im Schlaraffenland. Andi hat ein befreundetes Ehepaar eingeladen und tut jetzt das, was er beherrscht, als hätte er nie etwas anderes getan: Er verwöhnt seine Gäste und freut sich, wenn es ihnen gut geht.

Rezept

Aperitif: Blinsiki Rullet (russische Lachsröllchen)

Zutaten für 4 Personen:


  • 4 dünne Omeletten (nach üblichem Rezept)
  • 200 Gramm geräucherten Lachs, in feine Scheiben geschnitten
  • 1 Becher Crème fraîche
  • frischen Meerrettich, Dill, Pfeffer

Zubereitung:

  • Die Omeletten mit dem Lachs belegen
  • Crème fraîche darauf streichen
  • Meerrettich darüber raffeln
  • frischen Dill vom Stiel zupfen, darauf geben.
  • Mit Pfeffer würzen, rollen und kühl stellen.

Servieren: Vor dem Servieren die Rollen in Scheiben schneiden und servieren.

Vorspeise: Russischer Krautsalat

Zutaten für 4 Personen:


  • 1 Weisskabiskopf
  • Sauce: 4 Esslöffel Maisöl, 2 Esslöffel Obstessig, 1 Esslöffel Honig
  • Salz, Pfeffer
  • Kerne von 2 Granatäpfeln

Zubereitung:

  • Den Kabis in eine Schüssel raffeln
  • Honig in Essig und Öl auflösen.
  • Den Salat mit der Sauce zwei Stunden ziehen lassen.
  • Vor dem Servieren die Granatapfelkerne darüber streuen.

Hauptgang: Schweinsbraten «Andi»

Zutaten für 4 Personen:

  • Schweinsbraten vom Hals (zirka 800 Gramm)
  • 4 grosse Zwiebeln, geschält und mit Nelkenköpfen besteckt
  • Rüebli, Knollensellerie
  • 1 Flasche Prosecco
  • Salz, Pfeffer, Lorbeerblätter


Zubereitung:

  • Den Braten mit Mehl bestäuben und zusammen mit den besteckten Zwiebeln rundherum kräftig anbraten (pro Seite gut fünf Minuten).
  • Mit Salz und Pfeffer würzen und in den mit Lorbeerblättern ausgelegten Bräter legen.
  • Die Rüebli und den Sellerie in Stücke schneiden, zum Braten geben, den Bräter mit Prosecco halb füllen.
  • 75 Minuten im auf 185 Grad vorgeheizten Ofen braten.

Servieren: Mit den Zwiebeln servieren. Dazu gibt es Kartoffelstock und wahlweise Saisongemüse (Stutz servierte Schwarzwurzeln und Rosenkohl)