Wir befinden uns am Dorfrand von Rothrist, vor dem alten Zeughaus, unter dessen Vordach sich etliche Oldtimer aneinander reihen. Hier wohnt, zusammen mit Partnerin und zwei Söhnen, Ulrich Giezendanner, prominenter Schweizer Transportunternehmer, Nationalrat und SVP-Polterer. Als Erster empfängt uns lautstark sein Hund. Aha, denke ich, hier bellt nicht nur der Chef. Ich verkneife mir aber den Spruch, denn in der nächsten Minute erscheint der Gastgeber und begrüsst uns äusserst gut gelaunt.

Der graue Augustabend will sich weder zum Sommer noch zum Herbst bekennen. Ursprünglich wollte Ulrich Giezendanner draussen essen, denn eines müsse man wissen, er sei zu Hause der Grillkönig. Auch ein Fondue hätte ihm gepasst, denn er kenne die beste Käsemischung nördlich der Alpen. Aber für den Grill ist es zu nass und für den heissen Käse zu wenig kalt.

Nach dem Apéro beginnen wir mit dem Zubereiten des Menüs. Giezendanners Küche ist so gross, dass man sich darin bequem ausbreiten kann. Er selber entpuppt sich als Organisator mit klaren Vorstellungen. Seine Anweisungen sind freundlich bis witzig – und immer laut und deutlich. Auch Partnerin Simone Wicki wird mit Aufträgen bedacht: Prosecco nachschenken, Wein holen, Tisch decken.

Punkte sammeln? Klar doch!


Eingekauft haben Giezendanner und Wicki am Nachmittag. Da beide berufstätig sind, musste es schnell gehen. Beim Salat haben sie sich für einen fertig gerüsteten entschieden. Normalerweise nehme er sich Zeit beim Posten, sagt Giezendanner, er kenne alle Comestiblesläden der Region, sei aber auch über sämtliche Aktionen der Grossverteiler informiert. Die Rabattpunkte sammle er, klar doch. Er zückt lachend sein Portemonnaie: «Hier sind meine Karten. Aber glauben Sie mir, ich habe noch keine einzige Prämie eingelöst. Das ist quasi meine Altersvorsorge!»

Vom teuren Mouton-Rothschild, von dem im Weinkeller alle Jahrgänge seit 1974 lagern, habe er noch keine Flasche getrunken. Ist er sparsam? «Ja, aber schreiben Sie nicht, ich sei geizig!» Seine Selbsteinschätzung löst bei Wicki Protest aus, und so einigt man sich auf folgenden Kompromiss: «Ueli ist grosszügig, wenn es um andere geht, und geizig gegen sich selber.»

Was auffällt in der Küche, sind die beiden Geschirrspüler. Ungewöhnlich, dass man Spüler gleich im Duo einbauen lässt. «Wir haben sehr oft Gäste», sagt Giezendanner, «und wollen nicht dauernd in der Küche stehen. So können wir vorzu aufräumen und abwaschen lassen.»

Seine Gäste seien nicht bloss politisch Gleichgesinnte. Im Gegenteil: Er liebe Auseinandersetzungen, denn sie führten zu neuen Erkenntnissen. Darum gehe er ab und zu mit SP-Nationalrat Andrea Hämmerle Ski fahren oder lade den «Blick»-Chefredaktor Werner De Schepper («ein furchtbar linker Kerl») zum Essen ein.

Holzhacker-Noldi kam um halb eins


Politisch bekennt sich Giezendanner zum konservativen Block der SVP. Dabei ist er entwaffnend offen und spricht heikle Themen gleich selber an. Beispielsweise seinen begrenzten Wirkungskreis. «Ich bin kein Generalist. Meine zwei Bereiche sind Wirtschaft und Verkehr. Dazu stehe ich.» In einem Punkt hat aber auch die Offenheit ihre Grenzen: Wenn er über Parteikollegen, die ihm auf die Nerven gehen, die Nase rümpft, dann nur mit dem Kommentar: «Bitte nicht schreiben…»

Ulrich Giezendanner lebt seit seiner Kindheit im Schweizer Mittelland. Sein Vater war Transporteur, seine Mutter hatte einen Lebensmittelladen. «Wir assen in der Stube hinter dem Lokal, und es gab jeweils zwei Unterbrüche: Um 12.30 Uhr kam der Holzhacker-Noldi und kaufte seine Parisiennes, um 12.40 Uhr kam der Hannog-Noldi, der rauchte Boston. Dann durften wir weiteressen – stumm, denn der Vater erlaubte uns nicht, zu reden.»

Das Selbstverständnis eines Patrons hat Ulrich Giezendanner von seinem Vater übernommen. Er schaue für seine Mitarbeiter, sagt er, zahle bessere Löhne als der Durchschnitt, weshalb er keine Gewerkschaften brauche. Er scheue sich aber auch nicht, einem rückfälligen Alkoholiker Prügel anzudrohen, falls dieser noch einmal zur Flasche greife. Die Standpauke habe dem Mitarbeiter jedenfalls einen derartigen Eindruck gemacht, dass er seit drei Jahren trocken sei.

Insgesamt sei er stolz auf seinen Betrieb und ja, es gehe ihm gut, sagt Giezendanner. «Aber ich verlange viel von meinen Leuten und arbeite selber hart», betont er. Tatsächlich: Wer ihn telefonisch erreichen will, bekommt oftmals die Auskunft, es am nächsten Tag vor sieben Uhr früh noch einmal zu versuchen. Dann sitzt der Chef in der Regel seit einer Stunde in seinem Büro.

Nun hätte ich nach den vorliegenden Informationen Verständnis, wenn Ulrich Giezendanner gegen 19 Uhr langsam müde wäre. Aber davon ist nichts zu spüren. Er kocht mit einem Elan, als gelte es, zwei Dutzend Gäste zu bewirten. Der Mann, der letztes Jahr 50 geworden ist, möchte aber nicht ewig so weitermachen: «Wenn meine Söhne den Betrieb übernehmen, soll der Alte nicht mehr dreinschwatzen. Ich freue mich, wenn ich dann mit Simone grosse Reisen machen kann.»

Wir lassen uns bewirten und geniessen den Roten, der uns eingeschenkt wird. So geizig kann Ulrich Giezendanner selbst beim Wein nicht sein: Der italienische Amarone schmeckt vorzüglich.

Quelle: Ursula Meisser