Pius Knüsel liebt die einfache Kost. Seine Lieblingsrezeptsammlung heisst «Praktisches Kochbuch für die gewöhnliche und feinere Küche» ein historisches Werk, winzig klein gedruckt, ohne Bilder. Die legendäre Kochbuchautorin Henriette Davidis (1801 bis 1876) schlägt darin einfache Gerichte für englische Grossfamilien vor. Die Mengen sind für sechs bis acht Personen gerechnet, die Zubereitungen nur rudimentär beschrieben.

Knüsels Vorliebe für bodenständige Küche geht in die Kindheit zurück. Seine Mutter kochte für die achtköpfige Familie sehr einfach. Einziger Höhepunkt war der Kaninchenbraten, der in seltenen Fällen sonntags aufgetischt wurde. Das Highlight kündigte sich jeweils akustisch an: Wenn der Vater das Tier in der Küche zerlegte, waren die Kinder sofort zur Stelle.

Heute pflegt der Direktor der Kulturstiftung Pro Helvetia eine abwechslungsreiche Küche mit vorzugsweise lokalen und saisonalen Produkten. «Nach einer halbvegetarischen Phase esse ich zwar wieder sehr gern Fleisch, liebe aber Salate und Gemüse über alles. Zudem bin ich ein richtiger Kartoffelfan.» Den Gratin, den er uns auftischt, habe er so noch nie gemacht. Bei ihm gebe es nämlich nie zweimal dasselbe, er habe Spass am Improvisieren und am Ausprobieren. «Kochen hat viel mit Fantasie und Vorstellungsvermögen zu tun.»

«Witzige Wundermenüs»

Wir sind also zu einer Premiere eingeladen. Und wie soll der Auflauf heissen? «Gratin Helvetia», schlägt er vor und freut sich wie ein Maikäfer über den PR-Gag für seinen Arbeitgeber.

Das Essen ist in Pius Knüsels Haushalt ein wichtiges Stück Alltagskultur, das er selbst bei grösster beruflicher Belastung pflegt. Hat er abends mindestens zwei Stunden Zeit, dann wird gekocht. «Entweder stehe ich am Herd oder meine Partnerin Annette», sagt Knüsel. «Einer führt Regie, der andere hilft als Handlanger. Diese Art der Begegnung und des Austauschs ist uns sehr wichtig.»

Die Küche ist im Verhältnis zum kleinen Arbeiterhaus grosszügig bemessen. Früher musste hier eine Grossfamilie verpflegt werden. Oft sassen vier bis sechs Kinder sowie der Vater am Tisch, während die Mutter das Essen zubereitete acht Personen auf knapp zwölf Quadratmetern.

Annette Schönholzer beschreibt die Kochkünste ihres Partners anhand der Geschichte des Bettlers, der in ein Dorf kam und behauptete, er habe einen Zauberstein und brauche lediglich einen Topf Wasser, um damit die beste Suppe der Welt zu machen.

Als diese doch nicht ganz gelingen wollte, verlangte er nach ein paar Rüben, dann nach Sellerie, Lauch, Kräutern, allerlei Gewürzen und zu guter Letzt nach einem Huhn. Die Leute, die die Wundersuppe probierten, waren begeistert und voll des Lobes für den Mann, der alsbald mit seinem Zauberstein weiterzog. «Pius arbeitet mit einfachsten Mitteln und Zutaten was halt gerade vorhanden ist. Wer sich aber für die Details interessiert, merkt, wie ausgeklügelt und witzig seine Wundermenüs sind.»

Knüsel selber beschreibt sein Vorgehen mit einem Modewort seiner Mitarbeiter: «Ich pflege die Kunst des transversalen Kochens.»

Der Gründer des Zürcher Jazzklubs Moods hat beruflich einiges Improvisationstalent bewiesen. Knüsel, der seine Laufbahn als Journalist begann, liess sich nach intensivem und kräfteraubendem Engagement für das «Moods» von der Credit Suisse als Leiter der Sponsoringabteilung engagieren um bald wieder die Seite zu wechseln und jetzt bei der vom Bund finanzierten Kulturstiftung Pro Helvetia die Fäden zu ziehen.

Aber auch hier mischt sich der dezidierte Wille zu ungewöhnlichen Schritten mit altbewährten bodenständigen Führungsmethoden. Einerseits will Knüsel die angejahrte Institution wachrütteln und in der Schweizer Kulturlandschaft neu positionieren, anderseits nimmt er sich für jeden Mitarbeiter eine Stunde Zeit für ein persönliches Begrüssungsgespräch. Bei 70 Stellen ein fast heroisches Unterfangen.

Die konstante zeitliche Belastung im Job bereitet Knüsel Probleme mit dem Einkaufen. Der Gang in den Laden gehört nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. «Ich habs meistens eilig und bin froh um die grosse Migros. Das lokale Angebot auf dem Markt oder in den Quartierläden berücksichtige ich viel zu wenig.» Nach dem späten Feierabend wäre da ohnehin nichts mehr zu wollen. Gut, dass er mitten in Zürich wohnt, in der Nähe der belebten Langstrasse. «Ohne verlängerte Ladenöffnungszeiten wäre ich längst verhungert.»

Anders verhält sich Pius Knüsel in den Ferien. Sind Zeit und Musse vorhanden, bekommt das Einkaufen eine ganz andere Qualität. Dann beginnt er von der orientalischen Gewürzhandlung im Pariser Marais-Quartier zu schwärmen, die er jedes Mal besucht, wenn er in der Stadt ist, und von deren unglaublichen Gerüchen und Farben.

Jeden Tag Ovomaltine

Zum Gratin mit dem überraschenden Ingwer-Dreh serviert uns Pius Knüsel Lammkoteletten. Die Reste bekommen später die Katzen Bütschgi und Zwicky. «Bis morgen früh sind die Knochen blitzblank abgenagt und in der ganzen Wohnung verteilt.» Wieder eine Pointe, die Knüsel, stets unter Strom, lustvoll vor sich hin formuliert. Der einstige Musterschüler (beste Matura seines Jahrgangs) geht mit seiner Kreativität spielerisch um. Keine Spur von Verbissenheit. Aber auch nicht von falscher Bescheidenheit.

Bei aller Improvisationskunst und Originalität irritiert mich etwas an den Gewohnheiten dieses Mannes. Auf die Frage nach seinem alltäglichen Mittagessen antwortete er: «Belegte Brote und ein halber Liter kalte Ovomaltine.» Im Ernst? «Jawohl, wegen der Vitamine.» Und grinsend fügt er an: «Ich habe versucht, durch mein Konsumverhalten Ovomaltine in der Schweiz zu halten, aber es ist mir nicht gelungen.»

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