«Als Kind han i en Türggaribel-Schade gka.» Irene Schick steht in ihrer Backstube auf dem Rheintaler Bauernhof, inmitten von Feldern und Weiden ausserhalb des Dörfchens Marbach SG. Draussen muhen Kühe, sie wollen in den Schatten. Drinnen hat der Backofen die hochsommerlichen Temperaturen noch in die Höhe getrieben. Die Fliegen schwirren um die grosse Teigmaschine. «Türggaribel» - gerade freundlich klingt das nicht, auch wenn die 40-jährige Bäcker-Konditorin und Bäuerin es im malerischen Rheintaler Dialekt sagt, mit einem grossen Lachen im Gesicht.

Doch ein Schimpfwort ist es nicht. Im Gegenteil: Im Rheintal war der «Türggen», wie Mais hier genannt wird, einst Hauptnahrungsmittel. Mehr noch. Er war ein Segen für die Menschen der Region, die wegen des feuchtwarmen Klimas den Weizen Jahr für Jahr an den Ähren verfaulen sahen. Die spezielle Ribelmaissorte aber fühlt sich in diesem Klima pudelwohl. Und das schon seit geraumer Zeit: Urkundlich erstmals im 17. Jahrhundert erwähnt, gelangte der Ribelmais wahrscheinlich von den spanischen Kolonien in Lateinamerika in den Mittelmeerraum, wo er vom Osmanischen Reich (granoturco, wie der Mais auf Italienisch heisst, daher wohl auch der Name «Türggaribel») über Italien den Weg ins Rheintal fand. Hier gedieh er Jahr für Jahr, lange bevor er anderswo nördlich der Alpen angepflanzt wurde, und kam zwischen Bodensee und Sargans bis zu dreimal täglich als Ribel auf den Tisch.

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Ein währschaftes Traditionsgericht: Expertin Irene Schick «ribelt» den Mais klein, wie es sich gehört.


Noch die Eltern von Irene und diejenigen ihres Mannes Norbert Schick assen in ihrer Kindheit den Ribel einmal täglich. Dass die Rheintalerin das Maisgericht sicher «dreimal in der Woche essen musste», war jedoch unüblich. Denn der Ribelmais ist im Zug der Modernisierung der Landwirtschaft nach 1945 vom Futtermais verdrängt worden. Veränderte Essgewohnheiten liessen die Anbauflächen schrumpfen, bis nur noch vereinzelte Bauern den speziellen Speisemais anpflanzten.

39 Maisarten konnten gerettet werden
Beinahe wäre aus dem Ribelmais ein seltenes Relikt uralter Zeiten geworden. Vor zehn Jahren zählte das Landwirtschaftliche Zentrum Salez SG nur noch vier Hektaren, auf denen die Pflanze angebaut wurde - «das Kulturgut drohte ganz verlorenzugehen», erzählt der Agronom Hans Oppliger. Um das zu verhindern, gründete er mit seinem Kollegen Rolf Künzler den Verein Rheintaler Ribelmais. «Seither haben wir hier 39 noch erhaltene Ribelmaisarten aufgespürt und wieder angebaut.» Heute pflanzen wieder einige Bauern wie die Schicks die angestammte Sorte an, die seit 2000 die geschützte Ursprungsbezeichnung AOC (Appellation d’origine contrôlée) trägt.

Nun gut: Mais ist Mais, mag man denken, wieso soll dieser besonders sein im Vergleich zum weit verbreiteten, aus dem man Polenta macht? «Speziell» sei er eben, sagt Irene Schick. Und: Im Gegensatz zum bekannten Maisgriess ist der Ribelmais nicht goldgelb, sondern unscheinbar beige. Dass er auch anders schmeckt, demonstriert Irene Schick mit dem traditionellen Gericht Ribel. Dafür brauchts nicht viel: Milch, Wasser, Butter, Ribelmais (vergleiche Rezept unten). Und Zeit: Der Ribel muss drei Stunden quellen.

Die fünffache Mutter hat ihren «Ribelschaden» aus der Kindheit offensichtlich verarbeitet: In ihrer Backstube und Küche stellt sie viele Produkte her, bei denen der spezielle Rheintaler Mais eine grosse Rolle spielt: Ribelnudeln, Ribelmaisbrot, Ribelkuchen und ihre Ribelchnusperli - ein Gebäck, für das sie letztes Jahr eine goldene Medaille am Schweizer Wettbewerb der Regionalprodukte gewonnen hat. Ausserdem richtet sie Buffets für Anlässe aus, bäckt auf Bestellung, beliefert ihren Hofladen sowie einen Geschenkladen in Marbach.

Die Wiederauferstehung des Ribels hat weitere (Hobby-)Köche auf den Plan gerufen - so sind neue Rezepte entstanden, die man in einigen Restaurants der Region probieren kann. Die lokalen Bierbrauer bieten zudem ein Ribelmaisbier an. Und der Ribel kommt an: «Vor allem Heimweh-Rheintaler wünschen sich ein Ribelbuffet», sagt Irene Schick. Am beliebtesten sei dabei das traditionelle Gericht. Wenn die dampfende Schüssel auf dem Tisch stehe, dann versinke so mancher in Kindheitserinnerungen: mit dem Löffel Ribel laden, mit der Hand den Mais andrücken und das Ganze in den Milchkaffee tauchen - so die ursprüngliche Weise, Ribel zu geniessen.

Ein Erntedankfest muss sein
Bauen die Schicks den Ribelmais also aus reiner Nostalgie wieder an? Natürlich sei es einerseits die Verbundenheit mit der Tradition und auch der Stolz, eine hiesige Maissorte zu erhalten, meint das Landwirtepaar. Aber unter dem Strich muss auch dieser Anbau rentieren oder sollte zumindest kein Minusgeschäft sein. Denn für die Kultivierung des Ribels gibts keine zusätzliche Unterstützung neben den wie beim Futtermais üblichen Direktzahlungen. In der Handhabung ist der Ribel aber ein bisschen aufwendiger: Er muss früher als der Futtermais angepflanzt werden, damit er sich in der Sämung nicht mit diesem vermischt. So verlangt es die AOC-Richtlinie - die Sorte muss reingehalten werden.

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Ideale Bedingungen: Der Ribelmais gedeiht gut im speziellen Klima des Rheintals. Nach der Ernte wird er zum Trocknen aufgehängt.


Geerntet wird etwa zu gleicher Zeit Anfang Oktober. Die Ribelmaiskolben müssen jedoch trockener sein als der Futtermais - und bleiben auf dem Feld, bis die Stängel braun und beinahe verdorrt aussehen. «So mancher hat schon ganz erschrocken gefragt, was denn mit diesem Mais los sei», erzählt Norbert Schick. Zudem sind die Pflanzen weitaus weniger standfest als der Futtermais, der wie ein Bataillon strammer Soldaten aus der Erde ragt - ein Sturm, und viele der Ribelmaispflanzen liegen flach: «Das erschwert die Ernte.» Diese wird übrigens als grosses Fest inszeniert - eine Tradition, die dank der Verbreitung des Ribelmaises wieder auflebt. Für das Ausschälen des frisch geernteten Maises treffen sich Freunde und Verwandte in der Bauernscheune. Die frisch geschälten Kolben werden paarweise zusammengebunden und zum Trocknen auf dem Estrich aufgehängt.

Der Ribel liebt die Arbeit
Inzwischen ist der Mais im Milchwasser genug gequollen. Irene Schick gibt Butter in die heisse Bratpfanne. «Früher nahm die Bäuerin reichlich Schweinefett oder eingesottene Butter; das gab genügend Energie für die harte Arbeit auf Feld und Hof.» Sie gibt die Ribelmasse in die Pfanne und lässt sie zunächst eine halbe Stunde zugedeckt auf kleiner Hitze backen. Dann beginnt die Arbeit, «ribeln» ist angesagt: Immer wieder mischt Irene Schick den Mais untereinander, zerreibt ihn, lässt ihn wieder kurz rösten, um ihn erneut zu zerreiben - im Gegensatz zur Rösti liebt der Ribel die Arbeit, will nicht in Ruhe gelassen werden. Ein angenehm nussig-röstiger Geruch steigt auf, vermischt mit dem Duft feiner Butter. Eine gute halbe Stunde später ist das Gericht fertig: Goldbraun - zum Teil so fein wie Paniermehl, zum Teil noch in gröberen Klümpchen - liegt der Ribel in der Pfanne. Irene Schick öffnet ein Einmachglas mit Holunderkompott. Ein bisschen von den dunkelvioletten Früchten, ein bisschen vom goldbraunen Ribel auf den Löffel - probieren: Der nussigsalzige Ribelmaisgeschmack vermischt sich mit dem leicht sauersüssen Holunder. Nein, ein Schimpfwort ist er wahrlich nicht, dieser «Türggaribel».

Original Rheintaler Ribel Rezept für vier Personen
500 Gramm Ribelmais in eine Schüssel geben.
3 Deziliter Milch
3 Deziliter Wasser
1 gestrichener Esslöffel Salz
Milch, Wasser und Salz miteinander aufkochen, dann zum Ribelmais giessen. Drei Stunden quellen lassen. Etwas Rapsöl in der Bratpfanne erhitzen, Maismasse beigeben, häufig umrühren und bei mittlerer Hitze rösten.

25 bis 50 Gramm Butter

nach und nach zugeben und während 20 Minuten weiter «ribeln», bis sich goldbraun geröstete Krümelchen bilden.
Mit Früchtekompott oder Mus (Holunder, Zwetschgen, Apfel) anrichten.
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