«Früher habe ich immer geglaubt, es genüge, wenn man sich liebt – doch heute weiss ich es besser.» Zu dieser Einsicht ist die 40-jährige Susann B. aus dem Kanton Zürich im siebten Jahr der Ehe mit Franz K. gelangt. Nach Jahren, in denen die Liebe zwischen ihnen oft kaum mehr zu spüren war, «zu ersticken drohte», wie sie sagt. Gekeimt ist die Einsicht im Lauf einiger Sitzungen mit ihrem Partner – und mit der Paarberaterin.

Wenn einem Paar die Liebe abhanden kommt, geschieht dies meist weder plötzlich noch aus heiterem Himmel. Häufig bleiben die lange vorher auftretenden Zeichen unbemerkt – oder werden nicht ernst genommen und nicht als Gefahr für die Partnerschaft erkannt. «Es ist nie zu spät für Paarberatung. Aber es wäre gut, Paare kämen frühzeitig zu uns. Dann, wenn die ersten Alarmsignale auftreten», sagt Paarberaterin Cristina Diday.

Doch die Realität ist anders: Meist suchen Paare erst dann Hilfe, wenn die Konflikte akut geworden sind oder eine Trennung ansteht. Dabei gibt es heute wirksame Methoden der Beratung, die vorbeugend und heilsam wirken können für manche Paare und Eltern – bevor es zu spät ist.

Uneinigkeit über die Rollenbilder
Anspruchsvoll und spannungsgeladen war sie seit Beginn, die Beziehung zwischen Susann und Franz. Nach einigen Wochen «Honeymoon» gings schon los. Sie liebten sich wirklich – aber ihre Vorstellungen von Ehe und Elternschaft lagen ziemlich weit auseinander. Franz favorisierte das traditionelle Familienmodell. Er, der Vollzeit arbeitende Handwerker, wollte keine Frau, die «auswärts arbeitet». Und er wollte auch keine Kinder, die «auswärts betreut werden müssen». Susann aber wollte um keinen Preis ihre Tätigkeit als selbstständige Gesundheitsberaterin aufgeben. Er war eher schweigsam, auf der Suche nach Harmonie und Frieden; sie forderte Offenheit und Konfliktbereitschaft.

Das Seilziehen um mögliche Modelle des Familienlebens und den Umgang mit individuellen Wünschen in der Partnerschaft war voll im Gang. Franz war schon fast so weit, «den Bettel hinzuschmeissen». Da wurde Susann das erste Mal schwanger. Sie zogen zusammen und heirateten. Das war vor gut sechs Jahren. Vor einem halben Jahr – inzwischen hatten sie zwei Kinder – wollten sie sich definitiv trennen. Sie hatten schon Termine mit Anwälten.

Hilfe von aussen – bevor es brennt
Die Paarberaterinnen und Mediatorinnen Cristina Diday und Doris Beerli (Bild) aus dem Kanton Zürich sind Pionierinnen der Scheidungsmediation. Seit über zehn Jahren erleben sie täglich, wie schwer es vielen Paaren fällt, im Fall einer Scheidung konstruktiv zu verhandeln und gute Lösungen zu erarbeiten. Nicht selten hören sie am Schluss der Mediation von ihren Klienten: «Wenn wir nur schon früher gelernt hätten, so miteinander umzugehen und uns dafür Unterstützung zu holen.»

Diese Erfahrung hat die beiden Beraterinnen zur folgerichtigen Erkenntnis geführt: Wenn die Methode der Mediation sich bei Paaren in der heftigen Krise von Scheidung und Trennung als sehr hilfreich erweist, dann sollte sie auch und erst recht wirksam sein für Paare in Schwierigkeiten, die zusammenbleiben und ihre Beziehung «retten» wollen. Sie bauten ihr Angebot in diese Richtung aus – und nennen es seither «Paarcoaching».

Gründe für Schwierigkeiten in Partnerschaften und Familien sind auch heute reichlich vorhanden. Doris Beerli und Cristina Diday halten in ihrem Konzept zum Paarcoaching fest, dass sich in den letzten drei Jahrzehnten ein tief greifender Wandel in der Familie vollzogen hat. Früher als verlässlich geltende Normen sind brüchig geworden. «Ehe und Partnerschaft sind nicht mehr vorgegebene und selbstverständliche Lebensperspektiven, sondern werden zum Gegenstand freier Wahl und individueller Entfaltung.»

Tönt gut. Aber: Viele Paare stossen mit ihren Vorstellungen und Wünschen nach freien Entfaltungsmöglichkeiten in vielfältigen Rollen schnell an ganz reale Grenzen. So auch Susann und Franz. Die mühevolle Organisation ihres Beziehungs-, Berufs- und Familienalltags trieb die beiden immer wieder ans Limit der Belastbarkeit – und manchmal auch darüber hinaus.

Nach der Geburt des ersten Kindes war Franz längere Zeit mit beruflichen Problemen beschäftigt. Susann fühlte sich vernachlässigt und mit dem Kind und ihren Berufswünschen im Stich gelassen. «Ich weiss», sagt sie heute, «ich habe meinen Mann oft sehr bedrängt und viel von ihm verlangt.» Sie wollte eben kämpfen um diese Liebe und die Zukunft der jungen Familie. Aber sie wollte auch nicht auf ihre Freiräume verzichten.

Ihm wurde es bald zu viel. «Es war ein grausames Spiel», erzählt Franz. «Ich flüchtete aus der Beziehung, das machte Susann aggressiv, und diese Aggressivität schlug mich erst recht in die Flucht.» Ein Teufelskreis, der auch mehr und mehr die Bewältigung der Aufgaben im Haushalt und der Kinderbetreuung beeinträchtigte. Nach der Geburt des zweiten Kindes wurde es zunächst noch schlimmer. Oft wussten weder Franz noch Susann, wie sie die nächste Woche des Familienalltags bewältigen sollten. Beide waren körperlich und seelisch komplett erschöpft.

Die gesellschaftliche Entwicklung bringt den Paaren und Familien heute bedeutend mehr Chancen. Gleichzeitig stellt sie aber auch höhere Anforderungen an die Partner, ihre Beziehung aktiv zu gestalten und bei der Umsetzung von individuellen und gemeinsamen Bedürfnissen die richtigen Entscheidungen zu treffen. Kommen Kinder dazu und wollen beide Elternteile berufstätig sein, wird die Lage noch komplexer. Ständig müssen Regeln und Abmachungen neu verhandelt werden, und die Paare sind gezwungen, ihr Zusammenleben laufend zu reorganisieren.

Hier wird klar, dass den neu gewonnenen Freiräumen auch neue Verpflichtungen gegenüberstehen. Viele sind diesen Anforderungen nicht gewachsen; es kommt zu Brüchen in der Beziehung. Die Liebe erstickt oder geht verloren – was bleibt, ist Trennung und Scheidung.

Ämtli teilen und Zeitinseln planen
Doch nicht jede Krise muss zu Trennung und sogar Scheidung führen, wie das Beispiel von Susann und Franz zeigt. Nach einigen therapeutischen und juristischen Versuchen, die Probleme in den Griff zu bekommen, standen die beiden kurz vor der endgültigen Trennung. Zuvor landeten sie jedoch bei Doris Beerli auf der Paarberatung des Bezirks.

«Dies ist der letzte Versuch», dachten beide heimlich für sich. Gleichermassen erleichtert waren sie, als die Paarberaterin nach drei Sitzungen festhielt: «Ich habe nicht den Eindruck, dass ihr euch wirklich trennen wollt. Was ihr braucht, ist Hilfe bei der Neugestaltung eurer Beziehung.»

Professionell begleitet von Doris Beerli, gingen Susann B. und Franz K. daran, ihre Beziehung und ihr Familienleben neu zu strukturieren. Sie entwarfen Wochenpläne, verteilten Aufgaben und Funktionen neu und entwirrten so langsam das bisherige Chaos. Und sie schafften sich Zeitinseln im hektischen Alltag – zur bewussten Pflege ihrer Beziehung. So funktioniert ein erfolgreiches Coaching.

Trennung ist zurzeit für Susann und Franz keine Option mehr. Susann B. ist so zuversichtlich, dass sie schon das baldige Ende der Paarberatung ins Auge fasst. «Aber, wer weiss», fügt sie hinzu, «vielleicht brauchen wir von Zeit zu Zeit einen Wiederholungskurs.»

Das wäre ganz im Sinn von Cristina Diday und Doris Beerli. Sie halten fest: «Liebe ist nicht verhandelbar, sie hat keine Regeln und beruht auf Bedingungslosigkeit. Partnerschaft aber schon.» Diese gleiche einem Organisationskonzept, das auf Gleichberechtigung und langfristige Kooperation setze. «Diese Punkte müssen immer wieder neu ausgehandelt werden», sagt Beerli. Erst in einer solchen Partnerschaft kann auch die Liebe gedeihen.

 

dreieck_rot.gifBeachten Sie hierzu auch das Buch «Paare - Leidenschaft und lange Weile» von Rosmarie Welter-Enderlin (Piper, 1998).

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