Es beginnt alles ganz wunderbar: Ein junges Paar, sehr verliebt, heiratet. Bald kommen Kinder. Das Familienidyll ist perfekt. Dann tauchen erste Risse auf. Der Mann ist beruflich oft abwesend, arbeitet abends lange und besteht auch in der Freizeit auf seinen Freiraum. Sexuell läuft nicht mehr viel zwischen den beiden.

Etwas scheint nicht in Ordnung zu sein, doch die Frau ist sich ihrer eigenen Wahrnehmung nicht sicher. Irgendwann kommt es – mehr oder weniger freiwillig – zum Bekenntnis: Der Mann gesteht, seit längerem Männerbekanntschaften zu pflegen. Für sie bricht eine Welt zusammen.

Geschichten von Frauen, die einen schwulen Partner haben oder hatten, verlaufen oft nach diesem Muster: Nach dem Schock über das Coming-out des Mannes folgen Gefühlschaos, Hilflosigkeit und Isolation. Die Frauen wissen nicht, wem sie sich anvertrauen, wo sie Rat holen können.

Man spricht von Schwulen und Lesben, man hat viel von homosexuellen Müttern und Vätern gehört – aber Partnerinnen von schwulen Männern? Einer Hochrechnung zufolge, die sich auf Zahlen aus den USA stützt, gibt es in der Schweiz mehrere 10'000 Betroffene. «Wir wünschen uns, dass Frauen, die in diese Situation geraten, nicht so allein sind, wie wir es waren», sagt Folma Hoesch, die mit Hanna Lukes treibende Kraft hinter Hetera ist, einer Plattform für Partnerinnen schwuler Männer.

Die 63-jährige Lehrerin und Psychotherapeutin Folma Hoesch ist fast eine Generation älter als Sozialpädagogin Hanna Lukes, 38. Doch ein ähnliches Schicksal verbindet sie. Beide haben sich nach langen Ehejahren von ihren schwulen Männern getrennt und waren dann allein mit ihren drei Kindern. Kennen gelernt haben sie sich vor einigen Jahren in einer Selbsthilfegruppe; vor knapp drei Jahren riefen sie Hetera ins Leben. Die Homepage liefert eine enorme Menge von Informationen und weiterführenden Links und Adressen. Hetera vermittelt Kontakte und Selbsthilfegruppen, bietet Beratung, organisiert Begegnungstage und macht Öffentlichkeitsarbeit.

Eine ganze Reihe von Vorurteilen
Der letzte Punkt ist ein zentrales Anliegen von Hoesch und Lukes. Mit Medienarbeit sollen die Tabus abgebaut werden. Aus diesem Grund stehen die beiden Frauen mit Name und Gesicht zu ihrer Geschichte. Was nicht selbstverständlich ist angesichts der vielen Vorurteile, mit denen die Partnerinnen von schwulen Männern konfrontiert sind: Sie müssten als Frauen naiv, unerfahren, unattraktiv, maskulin oder auch «irgendwie homosexuell» sein, dass sich ein schwuler Mann für sie interessiert habe – Vorwürfe, die auch Hoesch und Lukes über sich ergehen lassen mussten. Viele Frauen fühlen sich gebrandmarkt durch die Vorurteile, manche verinnerlichen solche Klischees ungewollt.

«Es ist ein Unterschied, ob der Mann seine Frau mit einer Frau hintergeht oder mit einem Mann», sagt Folma Hoesch. «Im ersten Fall kann die Frau mit ihrem Umfeld sprechen und weiss um dessen Unterstützung. Im zweiten Fall ist sie allein mit dem Tabu.» Hetera ist da eine wichtige Anlaufstelle. Im Schnitt melden sich pro Woche zwei neue Frauen. Für viele ist es das erste Mal, dass sie jemanden in ihre Geschichte einweihen.

«Für die Frauen ist es eine grosse Erleichterung, andere Betroffene kennen zu lernen und endlich einmal mit einer Person zu sprechen, die das Erlebte aus eigener Erfahrung kennt», sagt Hanna Lukes. «Endlich zu hören, dass ihre Wahrnehmung sie nicht getäuscht hat. Und endlich auch Gefühle und Gedanken in Worte zu fassen. Denn wenn man ganz allein ist mit dem Erlebten, hat man zunächst keine Sprache dafür.»

«Was aber nicht ausgesprochen werden kann, ist nicht ganz real», sagt Folma Hoesch. «Das Nachdenken darüber bewegt sich im Kreis.» Mit anderen Betroffenen zu reden ist wichtig, um wieder handlungsfähig zu werden, Lösungen und Möglichkeiten ins Auge fassen zu können.

Grosse Zweifel bekämpfen die Frauen gemeinsam
Mittlerweile haben sich rund 80 Frauen bei Hetera gemeldet und etwa 50 haben sich an Begegnungstagen kennen gelernt. «Es sind die unterschiedlichsten Frauen dabei», erzählt Hoesch, «ein kunterbunter Querschnitt durch die weibliche Bevölkerung – was alle Vorurteile auf einen Schlag erledigt.»

Reden müssen die Frauen auch, um die überbordenden Gefühle zu verarbeiten: Schmerz, Trauer, Wut, Ohnmacht und Verzweiflung. Sie fühlen sich

als Frauen verraten und als Mütter ausgebeutet. «Es war ein Gefühl, als hätte ich 20 Messerstiche in den Rücken bekommen», sagt Hanna Lukes. Zweifel an der eigenen Weiblichkeit tauchen auf. Alles ist in Frage gestellt. War die ganze Beziehung von Anfang an nur ein Vorwand? Wollte er nur die Kinder und sonst nichts? Hätte ich im Bett besser sein müssen, um ihn von seinen Neigungen abzubringen?

Die Auseinandersetzung gibt neuen Lebensmut
Die seelischen Verletzungen werden durch das Unverständnis der Umwelt noch schmerzhafter. «Warum hast du das so lange nicht gemerkt?», lautet ein häufiger Vorwurf. «Das sieht man deinem Mann doch an.» Oder: «Schau dich an, du hast eine so maskuline Figur.» Manchmal versuchen die betroffenen Frauen, das Problem mit Verdrängungstaktik zu bewältigen: «Es ist ja nur ein Mann, mit dem er dich betrogen hat.» Schliesslich müssen sie mit dem Gebot der Toleranz in Sachen Homosexualität fertig werden: «Man darf ja nicht so sein.» Nebst der Bewältigung des psychischen Schocks hilft Hetera bei der Bewältigung des Alltags und bei Fragen wie: «Soll ich es den Kindern sagen – und wie?» – «Kann man mit einem schwulen Partner zusammenleben, oder bleibt nur die Trennung?»

Dank der intensiven Auseinandersetzung mit dem Erlebten haben Folma Hoesch und Hanna Lukes wieder Tritt gefasst. Sie haben neue Partner und neue Freude am Leben gefunden. Die Ereignisse liegen eine Weile zurück und sind verarbeitet – bis zu einem gewissen Punkt: «Die Messerstiche sind am Abheilen», sagt Hanna Lukes. «Darüber bin ich froh, denn mit Narben kann ich leben, mit offenen Wunden nicht.»

Weitere Infos
hetera, Selbsthilfegruppe Partnerinnen schwuler Männer