Antwort von Koni Rohner, Psychotherapeut FSP:

Abgrenzen ist für Sie beide das richtige Stichwort. Aber wie macht man das? Ein impulsiver Mensch würde an Ihrer Stelle vielleicht in scharfem Ton zur Schwiegermutter sagen: «Halt die Klappe, unsere Entscheidungen gehen dich nichts an, kehr vor deiner eigenen Tür.» Ein solcher Angriff könnte zwar kurzfristig wirksam sein, aber schafft eine kriegerische Atmosphäre und vergiftet das Klima. Die Schwiegermutter wird sich als Verliererin fühlen und sich entweder beleidigt zurückziehen oder versuchen, mit verstärkter Kritik zurückzuschlagen oder sich für die Kränkung zu rächen.

Der US-Psychologe Thomas Gordon hat vor 40 Jahren ein Rezept zur gewaltfreien Konfliktlösung entwickelt, das noch immer hochaktuell ist. Die Grundidee ist, dass es Lösungen braucht, in denen es keine Verlierer gibt. Er nennt sein Konzept ein «Win-win-Modell», und sein zentrales Element ist Abgrenzung.

In allen Konflikten sind zuerst die Positionen zu klären. Wer hat ein Problem mit der Situation, wer fühlt was? Erst dann kann eine Lösung gesucht werden. Sehr oft ergibt sie sich wie von selbst. Zentral ist es, sich gegenseitig offen und ehrlich mitzuteilen, was man fühlt und erlebt. Und anderseits zu versuchen, die Position des andern zu verstehen. Wenn man sie versteht, heisst das allerdings nicht, dass man damit einverstanden ist.

Die fünf Vorteile der Ich-Botschaft

Zurück zu Ihrem Beispiel: Wer hat da ein Problem? Sie haben eins, denn Sie leiden offensichtlich unter der Einmischung der Schwiegermutter und wohl auch darunter, dass Ihr Mann nicht zu Ihnen hält. Er dagegen, vermute ich, hat kein Problem. Deshalb ist der Ansatz falsch, ihm helfen zu wollen. Gordons Rezept fordert dagegen, dass Sie Ihr Erleben in einer sogenannten konfrontierenden Ich-Botschaft formulieren. Etwa zur Schwiegermutter: «Wenn du mir wie jetzt gerade einen Ratschlag zur Erziehung gibst, fühle ich mich als Mutter nicht ernst genommen, und das kränkt und ärgert mich.» Oder zum Mann: «Wenn du dich wie jetzt auf die Seite deiner Mutter stellst, fühle ich mich von dir allein gelassen, und das tut weh.»

Man muss sich in einer Ich-Botschaft immer auf eine konkrete Situation beziehen. «Du mischst dich ständig ein» oder «Du hältst immer zu deiner Mutter» sind unfruchtbare Pauschalvorwürfe. Das zweite wichtige Element ist die Mitteilung des eigenen Gefühls. Diese Art der Kommunikation hat mindestens fünf Vorteile. Erstens wird die Mitteilung eines Gefühls nicht als Vorwurf empfunden, es gibt also keine Verteidigungsreaktion. Zweitens hat der Angesprochene die Freiheit, einen weiter zu verletzen, zu ärgern – oder damit aufzuhören. Weil kein Druck besteht, neigen Menschen in aller Regel dazu, ihr Verhalten so zu ändern, dass andere nicht mehr darunter leiden. Das Senden einer Ich-Botschaft tut aber drittens auch dem Sender gut. Es stärkt die Selbstachtung, wenn man Ärger oder eine Verletzung nicht einfach hinunterschluckt, sondern sich mutig äussert. Schliesslich führt diese Art von Kommunikation zu einer klaren gegenseitigen Abgrenzung. Jeder hat ein Recht auf seine Gefühle. Es wird deutlich, was alle involvierten Parteien erleben. Auf der Basis des gegenseitigen Verstehens können Kompromisse und Lösungen gefunden werden, die alle Beteiligten akzeptieren können.

Die Angst der Mütter vor dem Verlust

Ich gehe davon aus, dass Ihre Schwiegermutter nicht einfach ein böser Mensch ist, der Ihr Familienleben stören will. Wahrscheinlich hat sie Angst, den Kontakt zu verlieren, und merkt nicht, dass die von ihr eingesetzten Mittel gerade das Gegenteil bewirken – nämlich, dass sie sich damit unbeliebt macht. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass es andere, positivere Formen von Kontakt und Nähe gibt, die in einem «Win-win-Gespräch» gefunden werden können.

Buchtipps
  • Thomas Gordon: «Familienkonferenz. Die Lösung von Konflikten zwischen Eltern und Kind»; Verlag Heyne, 2012, 384 Seiten, CHF 16.90
  • Marshall B. Rosenberg: «Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens»; Verlag Junfermann, 2013, 240 Seiten, CHF 34.90