Gemeindepräsident Peter Good brüstet sich gerne mit der Tatsache, dass Bauma im Vergleich zu anderen Gemeinden im Zürcher Oberland bedeutend tiefere Sozialausgaben habe. Dies, obwohl Bauma viel billigen Wohnraum habe und deshalb Leute mit wenig Einkommen geradezu anziehe. Wer allerdings weiss, wie die Gemeinde mit ihren Sozialfällen umspringt, begreift das vermeintliche Finanzwunder. Unter Peter Good, der auch die SVP des Kantons Zürich präsidiert, hat sich die Gemeinde Bauma darauf verlegt, bei Härtefällen hart zu bleiben. Manchmal über die Grenze des Erlaubten hinaus. Exakt einen Franken und 70 Rappen hatte Veronika Bamert noch in der Tasche, als sie auf dem Sozialamt verzweifelt um Geld bettelte. Vergeblich hatte die allein erziehende Mutter seit zwei Wochen auf ihre Sozialhilfe gewartet.

Die Gemeinde versäumt ihre Pflicht


Das Geld war überfällig, doch die Gemeinde weigerte sich standhaft, den Beitrag für den August zu zahlen. Stattdessen bekam Bamert vom Sozialamt 100 Franken. Ein «Notcheck», wie es hiess. Das müsse reichen, bis die zuständige Fürsorgesekretärin aus ihren Sommerferien zurück- gekehrt sei, teilte man ihr mit. Als der Beobachter intervenierte, gab die Sekretärin immerhin gleich an ihrem ersten Arbeitstag nach den Ferien die Zahlung an Veronika Bamert in Auftrag. «Ich musste mir Geld bei Freunden leihen. Das war sehr demütigend. Zugunsten meiner Tochter verzichtete ich sogar aufs Essen», sagt die selbstständige Klavierlehrerin.

Die Sozialhilfe traf mit fast einem Monat Verspätung ein. «Hier ist wirklich ein Fehler passiert», schreibt das Sozialamt dem Beobachter.

Vorausgegangen war dem Ganzen ein Hickhack zwischen Veronika Bamert und der Fürsorgebehörde. Sie hatte wie verlangt Kontoauszüge eingereicht, doch färbte sie die Namen der Eltern ihrer Schülerinnen schwarz ein. Ebenso die Namen der Läden, wo sie eingekauft hatte. «Ich hatte das Gefühl, die Gemeinde könnte dieses Wissen missbrauchen», erklärt Veronika Bamert.

Die Behörde muss gemäss den Fürsorgebestimmungen auf Bamerts Kontoauszügen nur ihr Vermögen, ihre Einkünfte und Ausgaben überprüfen. Sie muss prüfen, ob Veronika Bamert Anspruch auf Sozialhilfe hat. Die Namen einzelner Schüler hingegen oder die Läden, wo sie eingekauft hat, tun nichts zur Sache.

Auch hier sieht das Sozialamt heute ein, dass man sich verrannt hat, versucht aber, sich nachträglich zu rechtfertigen: Es gehe nicht um die Schülernamen, sondern darum, zu überblicken, welche Einnahmen Veronika Bamert als Klavierlehrerin erziele. Doch im Juli hatte das Sozialamt Bamert aufgefordert, «ungeschwärzte Kontoauszüge vorzulegen». In einem Beschluss liess die Behörde Bamert Mitte Juli schriftlich wissen: «Die monatliche Auszahlung erfolgt erst, wenn die Unterlagen vollständig eingereicht wurden.»

«Sozialhilfegelder sind keine Almosen», sagt Urs Lauffer, Kopräsident der Zürcher Sozialkonferenz. Darin sind verschiedene Fürsorgebehörden zusammengeschlossen. «Sozialhilfe ist gerade dazu da, dass kurzfristige Notlagen gar nicht erst entstehen», betont Lauffer.

Die Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe verlangen klar: Eine Kürzung der Leistung muss in einer Verfügung festgehalten und begründet werden. Erst danach kann eine Behörde die Leistung kürzen, allerdings darf diese Kürzung nicht unverhältnismässig sein. Das absolute Existenzminimum muss in jedem Fall gewährleistet bleiben, denn dieses ist durch die Verfassung garantiert.

«In Bauma wird nach dem Rezept der SVP gespart und gespart. Darunter leiden die Schwächsten am meisten», sagt Dorfarzt Hans Zwahlen.

Veronika Bamert ist nicht die Einzige in Bauma, die diesen Sommer vergeblich auf ihre Sozialhilfe gewartet hat. Auch Susanne Huber (Name geändert) bekam im August kein Geld. Die Gemeinde vertröstete sie mit einem Vorschuss von 100 Franken und Migros-Einkaufsgutscheinen über noch einmal 100 Franken. «Ich musste hungern und nahm viel ab. Bei meinen Eltern konnte ich nicht um Geld betteln gehen», sagt Huber.

Die Auseinandersetzung mit dem Sozialamt zehrte an Hubers Nerven. Schon vorher war sie aus psychischen Gründen nicht arbeitsfähig. Das Geld traf zwar schliesslich mit vierwöchiger Verspätung ein, doch Huber war derart entkräftet, dass sie sich von der Pflicht, mit dem Sozialamt zusammenzuarbeiten, aus gesundheitlichen Gründen entbinden liess. Die Retourkutsche der Behörde kam prompt: Die Fürsorge leitete ein Verfahren ein, damit Huber ein Beistand zur Seite gestellt werde. Huber habe drei Termine versäumt, deswegen habe die Gemeinde den Anspruch auf Sozialhilfe nicht neu berechnen können, schreibt das Sozialamt.

Dem widerspricht Hubers Anwalt Roger Vago: «Jedes kleine Fränkli musste sie teilweise mehrfach belegen. Das Sozialamt funktionierte nach dem Prinzip: Wer nicht spurt, wird durch die Mühle getrieben.» Immer wieder habe er in der Vergangenheit auf dem Sozialamt anrufen müssen, weil die Gemeinde die Sozialhilfe nicht rechtzeitig bezahlt hatte. «So geht man nicht miteinander um», sagt Vago.

Doch während das Sozialamt es mit den Zahlungsterminen selbst nicht so genau nimmt, kontrolliert es die Angaben der Klienten penibel. Im Sommer war Susanne Huber gezügelt und schickte dem Sozialamt eine Kopie ihres neuen Mietvertrags. Damit wollte sich das Sozialamt nicht begnügen. Weil die Vermieterin nicht im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen war, witterte das Amt «Ungereimtheiten». Deshalb verlangte das Sozialamt von Huber eine Vollmacht, um bei der Vermieterin nachzuhaken.

Indiskrete Fürsorgesekretärin


Die Fürsorgesekretärin rief die Vermieterin an und verlangte einen Einzahlungsschein für die Miete, denn Susanne Huber könne den Zins nicht aus eigener Tasche bezahlen. So erfuhr auch die Vermieterin, dass ihre neue Mieterin Sozialhilfe bezieht. «Die Fürsorgesekretärin gab mir zu verstehen, ich müsse Susanne Huber halt kündigen, wenn es nicht gut gehe», sagt die Vermieterin. Doch dazu hatte sie nicht den geringsten Anlass.

Am nächsten Tag rief die Fürsorgesekretärin die Vermieterin noch einmal an: Sie habe leider übersehen, dass Susanne Huber die Miete selbst bezahlen wolle, deshalb brauche das Sozialamt nun doch keinen Einzahlungsschein. «Ich musste bei meiner Vermieterin quasi die Hosen runterlassen», sagt Susanne Huber.

Es war bei weitem nicht das einzige Telefon der Fürsorgesekretärin im Umfeld Hubers: So erkundigte sich die Sekretärin während einer Sitzung telefonisch auf der Post, ob Huber einen eingeschriebenen Brief abgeholt habe, rief mehrfach Hubers Freundin und auch ihre Psychotherapeutin an – jeweils ohne das Einverständnis Hubers. Dort biss sie auf Granit, denn die Therapeutin berief sich auf ihre Schweigepflicht und gab keine Auskunft.

Die Beschwerde von Veronika Bamert, die die Kontoauszüge eingeschwärzt hatte, ist noch immer hängig. Sie schrieb darin: «Offenbar gehört es dazu, Sozialhilfeempfängerinnen systematisch zusätzlich zu diskriminieren, als wäre es nicht diskriminierend genug, in einem reichen Land arm sein zu müssen.»

Quelle: Stefan Kubli