Der Border-Collie ist ein erstaunlicher Hund. Mehr als an einen Hund erinnert er an ein Präzisionsinstrument. Die «Bedienung» erfolgt auf Englisch: «Lay down!» und der Hund legt sich nieder. «Get up!» der Hund springt auf. «Come by!» der Hund läuft nach links. «Away!» der Hund läuft nach rechts. «Look back!» der Hund dreht sich um. Bei so viel Gehorsam bleibt Laien schlicht die Spucke weg, und Profis sind des Lobes voll.

«Kaum eine Hunderasse hat so viel Intelligenz wie der Border-Collie», sagt Urs Imhof, Präsident der Swiss Sheepdog Society. Das kommt nicht von ungefähr, denn Border-Collies haben den «sheep sense», den Sinn fürs Schafehüten, im Blut. Dafür wurden sie einst auch gezüchtet. Seit rund 150 Jahren sind sie für Grossbritanniens Schäfer unverzichtbare Helfer. Und auch als Sanitäts- oder Katastrophenhunde haben sich die Border-Collies bewährt.

Ihre Fähigkeiten stellen sie einmal jährlich an den Schweizer Meisterschaften der Hütehunde unter Beweis. Dieses Jahr fand der Wettbewerb im zürcherischen Andelfingen statt. Auf einer Wiese am Dorfrand trafen sich Hunde und «Hündeler» aus allen Sektionen und Regionen und nutzten die Gelegenheit zum Fachsimpeln und Beschnuppern.

Keine Hunde für die Stadtwohnung

Ein geselliger Anlass: Der «Kafi Schnaps» wärmt, und der Riesling rieselt. Es gibt allerhand zu kaufen: T-Shirts zum Beispiel und Hundefutter.

Derweil findet auf der abgesperrten Wiese der Wettkampf statt. Die Teilnehmenden heissen Jess, Bess und Tess. Oder Vip, Vic und Gyp. Sie sind very british und scheinbar nicht aus der Ruhe zu bringen. Ausser wenn der Wettkampf naht. Dann verwandeln sie sich in pure Energie und Konzentration. Zitternd vor Ungeduld fixieren sie den Menschen mit den Augen und warten mit gespitzten Ohren auf ihren Einsatz: kleine schwarzweisse Projektile, bereit zum Abfeuern.

«Der Border-Collie ist ein Workaholic, er will arbeiten», sagt Urs Imhof. «Als Familienhund in der Stadt ist er unterfordert.» Neurotische und mühsame Hunde sind die Folge. «Am Abend», so Imhof, «muss ein Border-Collie müde sein. Nur dann ist er zufrieden.»

Jetzt ist Urs Imhof an der Reihe. Auf dem Programm steht der Finallauf unter den zehn Besten der Klasse drei, der Meisterklasse. Der Parcours ist keine einfache Sache. Schon bei der Vorbesprechung mit der englischen Richterin haben einige Hundeführer die Dächlikappe nach hinten geschoben und sich ratlos am Kopf gekratzt. Doch alles Seufzen und Kratzen nützt nichts: Der Parcours entspricht dem britischen Standard, geändert wird nichts.

Urs Imhof steht an einen Pfosten angelehnt: neben sich den Hirtenstab, vor ihm ein unendlich langes Stück Wiese und mittendrin bewegt sich ein schwarzweisser Punkt in rasender Geschwindigkeit. Das ist Hund Gyp auf dem «outrun»: In einem weiten Bogen läuft er die 400 Meter Distanz, bis er in die Nähe einer kleinen Schafgruppe gelangt.

«Steady!», ruft Imhof, die Hände zum Trichter geformt. «Steeeaady! Langsam!» Der Hund geht runter mit der Geschwindigkeit, um die Schafe zu übernehmen, ohne sie jedoch zu erschrecken. Dann soll er sie in einer geraden Linie Richtung Hundeführer treiben.

Mit gesenktem Kopf nimmt Gyp seine wolligen Gegenüber ins Visier. Die hingegen würdigen ihn kaum eines dumpfen Blickes. Erst als er sich geduckt von hinten heranpirscht, setzen sie sich zögerlich in Trab. Es ist eine Zitterpartie. Störrische Ausreisser sorgen immer wieder für Aufregung. Doch es gibt kein Entrinnen:

Zackig schiesst der Hund nach vorn und pariert jeden Ausbruchsversuch. Nur langsam kommt er so mit der quecksilbrigen Gruppe voran.

Schaf gebissen disqualifiziert

Das Schaf, das Fluchttier par excellence, muss immer in der richtigen Distanz gehalten werden. Kommt der Border-Collie dem Schaf zu nah, stiebt es davon oder wendet sich gar rabiat gegen den Hund.

Genau das widerfährt Gyp, der aller Professionalität zum Trotz ganz am Schluss die Contenance verliert und ein hässiges Schaf in die Wolle zwickt. Disqualifikation. Beissen ist nicht erlaubt. Urs Imhof trägts mit Fassung. «Ein Hund ist schliesslich keine Maschine und kann auch Fehler machen.»

Der Parcours erfordert von Mensch und Tier höchste Konzentration. Nur mit Rufen oder Pfiffen darf der Hundeführer den Border-Collie durch verschiedene Tore dirigieren: zu sich heran, von sich weg sowie in einen abgesteckten Kreis. Dort muss der Hund eine bestimmte Anzahl Schafe isolieren und in einen Pferch treiben.

Bewertet werden die Ideallinie der zu bewegenden Schafe, die korrekte Ausführung der Aufgaben sowie das Verhalten des Hundeführers. Für nicht gelungene Aktionen und Unschönheiten gibts Abzüge. Zudem tickt auf dem Tisch der Richterin eine Uhr. Für den Parcours stehen höchstens 25 Minuten zur Verfügung.

Richterin aus Wales eingeflogen

Die Richterin ist übrigens eine echte Waliserin. Ceri S. Rundle kommt von einer Farm mit dem unaussprechlichen Namen Bwlch Isaf. Sie ist klein, blond, jung und sieht so aus, als könnte sie mit den Männern im Pub durchaus mithalten.

Die Rundles züchten und trainieren Border-Collies schon in der vierten Generation. «Hunde sind mein Leben», sagt Ceri S. Rundle. Sie besitzt selber neun Hunde und führt eine eigene Hundefutterfirma. Als erste Frau war sie zudem Mitglied des walisischen Teams am «International». Das «International» ist für Border-Collie-Halter, was das Eidgenössische Schwingfest für Schwinger ist.

Der Wettbewerb ist allerdings nicht so international, wie es der Name vermuten lässt. Genau genommen sind nur England, Wales, Schottland und Irland vertreten. Von hier stammen immer noch die weltklügsten Hunde. Die britischen Massenmedien nehmen regen Anteil an diesem traditionellen Ereignis.

Seit 13 Jahren werden Border-Collies auch hierzulande gezüchtet. «Früher, als wir noch nicht mit diesen Hunden arbeiteten, mussten wir oft stundenlang den Schafen nachlaufen», erinnert sich der Walliser Schafzüchter Urs Imhof. Und sein Kollege Hermann Ammann aus der Innerschweiz pflichtet bei: «Ich bereue nur eines dass ich nicht früher auf den Border-Collie gekommen bin.»

Den «Sinn für die Schafe» kann man einem Hund nicht beibringen. Vieles hat der Border-Collie von der Natur mitbekommen. Den stechenden Blick etwa, mit dem er die Schafe in Schach hält. Den unbezwingbaren Arbeitswillen. Die Eigenschaft, nicht zu bellen. Hütehunde wie der Bergamasker oder das helvetische Faktotum, der Sennenhund, sind gegenüber dem Border-Collie nur ungenügende Alternativen.

Vor einigen Jahren ist in der Schweiz

ein regelrechter Border-Collie-Boom ausgebrochen. Vielleicht hat auch das Kino etwas nachgeholfen: Spätestens seit Schweinchen Babe, Filmstar im gleichnamigen Film, einen Hütehunde-Wettbewerb gewonnen hat, ist der Border-Collie jedem Kind ein Begriff.

Doch zurück zum Wettkampf um den Titel des besten Schweizer Hütehundes. Die letzte Kandidatin entscheidet das Rennen für sich. Es ist für alle überraschend Corry von der Lonza: eine Newcomerin im zarten Alter von zwei Jahren und ein grosses Talent mit viel versprechender Zukunft. Corry gelingt es als einzigem Hund, die markierten Schafe zusammenzutreiben und einzupferchen.

Hundefutter als Siegerpreis

Natürlich war auch eine Portion Glück dabei. Doch dem überglücklichen Besitzer Hans Portmann aus Schachen LU ist das egal: «Ich war grauenhaft nervös», gesteht er beim Riesling. «Ich bin das erste Mal bei den Schweizer Meisterschaften dabei. Nie hätte ich gedacht, dass ich mit einem so jungen Hund in den Final komme. Eine grossartige Leistung von Corry.»

Die Freude an der Siegerehrung im Zivilschutzzentrum Andelfingen ist bei allen Beteiligten gross. Vom reich bestückten Gabentisch dürfen sich die Klassierten nach Dankesreden und gehörigem Applaus ihre Preise aussuchen. Praktische und sinnvolle Preise für Herr und Hund vom elektrischen Kuhhüter bis zum 20-Kilo-Sack Hundefutter.