Als Teenager hütete sie lieber die Töchter der Nachbarin, als mit Freunden auszugehen. Wie die kleinen Mädchen die Welt sehen, das fand sie spannender als alles andere. Daniela Lech* wusste immer schon, dass sie selbst mal Kinder haben wollte. Natürlich stellte sie sich vor, die Kinder zusammen mit einem Mann zu haben. Einen Plan B hatte sie trotzdem, schon mit 20: Sollte der Richtige nicht auftauchen und sie mit 35 immer noch kinderlos sein, würde sie das Kinderkriegen im Alleingang durchziehen.

Jetzt ist sie 35. Und Single. Sie hat gerade Plan B realisiert. In der Internet-Suchmaschine Google gab sie die Worte «Kind ohne Mann» ein und landete auf der Homepage einer Reproduktionsklinik im spanischen Alicante. Sie rief an und vereinbarte sofort einen Termin für ein Erstgespräch. Die Klinik ist spezialisiert auf Kunden aus der Schweiz und aus Deutschland, alle sprechen Deutsch.

Samen von Spaniern sind billiger

Im Sommer fuhr sie für zwei Tage nach Alicante, wo ihr eine Ärztin die Behandlung erklärte und alles vertraglich geregelt wurde, auch, dass sie und ihr Kind den Samenspender nie kennenlernen werden. Sie musste auf einer Liste ihr Aussehen angeben: blond, blaugrüne Augen, gross. Daniela Lech weiss über den Samenspender nur, dass er auch so aussieht. Schliesslich soll das Kind ihr möglichst ähneln. Und sie konnte wählen zwischen «Europäer» oder «Spanier». Sie entschied sich für den Spanier, weil sie auf südländische Typen steht – und weil spanische Samen 500 Euro billiger sind. Unter «Bemerkungen» schrieb sie noch hin, dass der Samenspender überdurchschnittlich intelligent sein soll. «Als alleinerziehende Mutter hat man es einfacher, wenn das Kind intelligent ist und in der Schule mitkommt», sagt sie.

Zurück in der Schweiz, begann sie mit der Hormonbehandlung. Als sich genügend reife Eizellen gebildet hatten, flog sie wieder nach Alicante. Am Mittwoch entnahmen die Ärzte ihr eine Eizelle, am Donnerstag wurde die Zelle befruchtet, am Freitag war sie schwanger. Das ist vier Monate her. Das Ganze kostete 12'000 Franken, inklusive Flug und Hotel.

Daniela Lech hat eine 100-Prozent-Stelle als Sachbearbeiterin in einem Technologiekonzern. Sie will auch nach der Geburt Vollzeit arbeiten, ihre Mutter wird dann zum Kind schauen. Lech ist eine überlegte Frau. Dass Alleinerziehende häufiger unter der Armutsgrenze leben als andere Eltern, weiss sie, aber es macht ihr keine Angst. «Viele meiner Kolleginnen schauen allein zu ihrem Kind – und verdienen weniger.» Sie kann sich gar vorstellen, noch ein Kind durch Samenspende zu bekommen, falls sie nicht bald den Richtigen trifft. Ein drittes liege finanziell leider nicht drin.

Ruth Baumann-Hölzle wird bei solchen Geschichten mulmig. Man hört es an ihrer zögernden Stimme am Telefon. Die Theologin ist Mitglied der Nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin und leitet das Institut Dialog Ethik in Zürich. «Die Haltung gegenüber dem menschlichen Leben, die hier zum Ausdruck kommt, ist für mich zumindest fragwürdig», sagt sie. «Das Kind dient nur noch dazu, den eigenen Lebensentwurf zu verwirklichen.» Das Leben als Knetmasse, die jeder formen kann, wie es ihm gefällt – Baumann-Hölzle stört sich an diesen «Machbarkeitsillusionen». Sie ringt um jeden Satz. Eindeutige Antworten seien schwierig. Sie persönlich, also jetzt einmal nicht als Ethikerin gesprochen, finde es allerdings hochproblematisch, wenn eine Frau die schwierige Situation, ein Kind allein grosszuziehen, bewusst erzeuge. «Das Kindswohl kann darunter leiden.»

Prominentes Beispiel für diese Alles-ist-möglich-Haltung ist der Fall der 66-Jährigen aus Graubünden, die kürzlich Zwillinge geboren hat, nachdem sie sich eine gespendete und befruchtete Eizelle einsetzen liess. In den Medien trägt die Frau jetzt den Titel «älteste Mutter der Schweiz». Egoismus ist noch der netteste Vorwurf, den sie über sich in der Zeitung liest.

Daniela Lechs Fall ist anders, weil sie 30 Jahre jünger ist. Aber irgendwie erliegt auch sie dieser «Machbarkeitsillusion», die der Ethikerin Baumann-Hölzle so schwer aufstösst. Lech will ein Kind, um jeden Preis, obwohl sie Single ist.

«Ich werde ihm ganz viel Liebe geben»

«Was ich mache, ist nicht egoistisch», sagt Lech bestimmt. Warum hat sie dann ihr Schicksal nicht einfach akzeptiert? Sie breitet die Arme weit aus: «Mein Kinderwunsch ist so extrem gross.» Sie redet schnell, man merkt, dass sie viel darüber nachgedacht hat. Dass sie anfangs vielleicht doch Gewissensbisse hatte. Obwohl sie das jetzt bestreitet. Sie versteht nicht, warum manche in ihr eine Egoistin sehen. Sie versteht es nicht, dass es manchen in dieser Sache um ein Prinzip geht. «Ich werde meinem Kind ganz viel Liebe geben.» Und das kann ja nichts Schlechtes, nichts Egoistisches sein. «Wenn Mütter ihr Kind schlecht behandeln – das ist egoistisch.»

In der Schweiz dürfen nur verheiratete Paare von der Samenspende Gebrauch machen. Deshalb fuhr Daniela Lech nach Spanien. Sie ist längst kein Einzelfall. Peter Fehr, Reproduktionsmediziner mit eigener Praxis in Schaffhausen, sagt, dass immer mehr Singlefrauen mit ihrem Kinderwunsch Ernst machen. Rund 60 meldeten sich 2011 bei ihm, zunächst anonym via Mail, um sich zu informieren. Zwölf Frauen zogen es dann auch tatsächlich durch. Vor drei Jahren hatte der Arzt maximal zwei Anfragen pro Jahr, vor fünf Jahren war es noch überhaupt kein Thema.

Fehr arbeitet mit Reproduktionskliniken in London, den USA und Spanien zusammen. Bevor er die Singlefrauen ins Ausland schickt, trifft er sie zum Gespräch, fragt, ob sie sich die Konsequenzen gut überlegt haben. «Das sind keine Topmanagerinnen, die meisten kommen aus dem Mittelstand, Typ Bankangestellte», sagt er. Im Schnitt 35 bis 37 Jahre alt. Keine Verzweifelten, sondern «sehr bewusste, pragmatische Frauen». Angetrieben von einem fast zwingenden Kinderwunsch. Der Grossteil geht den Weg über die Samenspende, weil der richtige Partner fehlt. Einige wollen bewusst allein ein Kind, weil ein Mann nur stören würde. Auch diesen Frauen hilft der Arzt.

Fehr lehnt nur Frauen ab, die in einer ungesicherten sozialen Situation leben, wobei er da nach Bauchgefühl geht. Und Frauen, die über 45 sind. «Die gehen dann Richtung Osten, dort ist fast alles möglich.»

Es gibt viele Reproduktionsmediziner, die einer Singlefrau nie helfen würden. Die Peter Fehr dafür kritisieren, dass er dieses egoistische Konsumverhalten auch noch unterstützt. Die sagen: «Ein Kind zu kriegen ist doch nicht wie ein Gang durch die Migros.» Fehr hat ein anderes Weltbild. Er sagt: «Es gibt ein medizinisches Problem, und ich möchte helfen, es zu lösen.» Er sagt auch, in der Reproduktionsmedizin gehe es generell egoistisch zu und her. Auch bei verheirateten Paaren. «Oft erlebe ich, dass der Mann kein Kind will und die Frau sagt: ‹Ich will das jetzt!›»

Er mache es nicht aus Profitsucht, betont Fehr. Eine Singlefrau, die schwanger werden will, zahlt im Schnitt 10'000 Franken. Davon gehen rund 200 Franken an ihn. So viel kosten die Ultraschallkontrollen, die der Arzt bei den Frauen vornimmt.

Der Vater kann nicht enttäuschen

Daniela Lech stört es nicht, dass ihr Kind den Vater nie kennenlernen wird. Sie findet es sogar besser so. Eine Arbeitskollegin von ihr traf ihren Vater erst als Erwachsene zum ersten Mal. «Sie hatte ihn sich als grossen, starken Mann vorgestellt – und war nach dem Treffen total enttäuscht. Das bleibt meinem Kind erspart.» Sie will, dass das Kind irgendwann die Wahrheit erfährt. Deshalb spricht sie auch mit ihren Eltern, mit Freunden, sogar mit Arbeitskollegen offen über die Samenspende.

«Wo ist mein Papi?» – wenn das Kind diese Frage stellt, wird sie sagen: «Du hast Grosseltern, Tanten, Onkel. Es ist vielleicht nicht optimal, aber man kann im Leben nicht alles haben. Wir lieben dich alle.» Wenn das Kind älter ist, wird sie ihm das Album zeigen, das sie gemacht hat, mit Fotos von der Klinik in Alicante, vom wachsenden Bauch. Irgendwann ist das Kind ein Teenager. Und der hasst die Mutter vielleicht dafür, dass er den Vater nicht kennt. Der Teenager wird der Mutter womöglich Vorwürfe machen. Sie eine Egoistin nennen. «Damit muss ich rechnen», sagt Daniela Lech. «Die meisten Kinder in diesem Alter sind problematisch.»

*Name geändert