Es ist eine echte «Tour de Handicap», die Christa und Urs Graf an diesem Vormittag für den Beobachter unternehmen. Christa Graf sitzt im Rollstuhl, ihr Mann Urs trägt eine Beinschiene. Der Rundgang führt durch die weitläufige Anlage des noblen Grand Resort Bad Ragaz mit der neu errichteten Tamina-Therme und dem Medizinischen Zentrum. Grafs haben bereits negative Eindrücke gesammelt: «Hier wurde mit der ganz grossen Kelle angerührt, doch uns Behinderte hat man links liegen lassen.» Von der Kritik ausnehmen wollen sie das bemühte Personal.

Über 160 Millionen Franken hat das Grand Resort Bad Ragaz investiert, in einen Palast der Superlative samt einer ganz in weissem Holz gehaltenen, wunderschönen öffentlichen Therme. Das 2009 zum «Hotel des Jahres» gekürte Fünfsternehaus wirbt mit seiner «Wellbeing-Oase» und bezeichnet sich als europaweit führender Ort für Wohlbefinden und Gesundheit.

Für Grafs beginnen die Probleme schon in der Tiefgarage, wo der Münzeinwurf beim Ticketautomaten so hoch platziert ist, dass kein Rollstuhlfahrer herankommt. Vom Liftausgang führt der Weg dann teilweise im Freien zur langen Rampe hinauf zur Therme. Für Christa Graf ist das ohne Elektrorollstuhl eine grosse Anstrengung: «Viele schaffen das nur in Etappen.»

Den Lift holt der Bademeister lieber nicht

Bereits die Eingangstür ins Thermalbad kann Christa Graf nicht selber öffnen. Drinnen wird das Behinderten-WC zur nächsten Herausforderung. Christa Graf muss rückwärts einfahren und am Papierkorb vorbeizirkeln. Als sie dieses Manöver einer Therme-Mitarbeiterin demonstriert, meint diese entwaffnend offen: «Das müssen Sie öffentlich machen.»

Einen Stock tiefer befindet sich eine einzelne Umkleidekabine für Behinderte. In der alten Therme standen fünf Kabinen bereit – und mehrere Duschrollstühle. Heute ist ein einziger im Sanitätsraum deponiert. Und die Garderobenschränke im Gang sind so klein, dass Urs Graf seine Beinschiene nicht verstauen kann.

Vollends schwierig wird es für das behinderte Paar im Badebereich. Ohne Hilfe kommen nur fitte Rollstuhlfahrer vom glitschigen Beckenrand in die Pools. Ein Bademeister bietet Christa Graf an, ihr beim Einstieg unter die Arme zu greifen. Das ist ihr zu riskant, und sie fragt nach einem Behindertenlift. Der mobile Lift sei in einem separaten Raum untergebracht, antwortet der Bademeister. Und verhehlt nicht, dass er ihn dort nur ungern herausholen würde. Grafs werden hier wohl nie eintauchen in die neuen Wasserwelten.

Wir rollen weiter durch lange Gänge zum Medizinischen Zentrum. Wer den Weg abkürzen möchte und über eine spezielle Parkkarte verfügt, kann direkt hinter dem Gebäude parkieren. Doch die schwere Eingangstür lässt sich von Rollstuhlfahrern nicht öffnen. Christa Graf muss beim Test klingeln, warten, bis jemand kommt, und dann erst noch eine Schwelle überholpern.

Im WC die Tür offen lassen

Hier im Medizinischen Zentrum haben die Architekten gleich mehrere Hürden für Behinderte eingebaut. So öffnen die Türen der sehr engen Behinderten-WCs nach innen. Wer einen grösseren Elektrorollstuhl fährt, muss die Tür offen lassen – entwürdigend. Die Sitzhöhe entspricht zudem nicht der empfohlenen Norm.

Nur eine einzige Dusche im Medizinischen Zentrum ist behindertengerecht. Passende Spiegel, Haken, Haltegriffe und Ablagen wurden in vielen Räumen erst installiert, nachdem es Kritik von Therapiekunden gegeben hatte. Dem Beobachter liegen mehrere entsprechende Briefe vor.

Einer stammt von Margot Hilmert. Die 76-Jährige geht wegen eines schweren Rückenleidens an Krücken: «Meine Vorfreude auf das neue Therapiebad im Medizinischen Zentrum war gross, doch die ist mir schnell vergangen.» Sie kritisierte unter anderem zu schmale Sitze in den Garderoben und den aus ihrer Sicht heiklen Transport ins Becken mit einem Sitzsack.

Hilmert liess sich nicht mit beschwichtigenden Antwortbriefen der Hotelleitung abspeisen. Schliesslich gelangte sie an die Behindertenorganisation Procap. Neun offensichtliche Mängel wurden erfasst und Massnahmen vorgeschlagen. Gebracht hat es bisher laut Hilmert «einen Spiegel, einen Föhn und einen Sitz in der grossen Dusche». Dann habe sich keiner mehr um sie gekümmert. Sie sei wirklich sehr traurig.

«Uns sind die Hände gebunden. Wir können meist nur Empfehlungen abgeben», erklärt Architekt Rolf Giezendanner, der im Auftrag von Procap bereits das Baugesuch der Grand Resorts Bad Ragaz geprüft hatte. Eine Baubegleitung für die konkrete Umsetzung ist im Leistungsauftrag jedoch nicht vorgesehen: «Wir werden erst wieder involviert, wenn Fehler passiert sind.» Organisationen wie Procap können zwar Einsprache erheben, aber nur dann, wenn ein neu erstellter Bau für Behinderte nicht benutzbar ist – ein sehr dehnbarer Begriff. Immerhin: Die Verantwortlichen in Bad Ragaz wollen nun in Absprache mit Giezendanner mehrere Mängel beheben.

Das Behindertengleichstellungsgesetz, seit fünf Jahren in Kraft, verlangt, dass öffentlich zugängliche Räume für Behinderte benutzbar sind. Joe A. Manser, Leiter der Schweizerischen Fachstelle für behindertengerechtes Bauen, zieht Bilanz: Die Bauherrschaften haben «im besten Fall rudimentäre Kenntnisse über die Vorgaben des Gesetzes». Die Bewilligungsbehörden würden die Vorschriften zwar vermehrt anwenden, doch: «Die Umsetzung ist in vielen Kantonen immer noch ungenügend.»

Grand Resort Bad Ragaz: «Schwachstellen erkannt»

«Die Therme ist noch keine sechs Monate offen», erklärt Christina Fenyödi, PR-Chefin des Grand Resort Bad Ragaz. «Zuerst wollen wir Erfahrungen sammeln, um danach die Probleme und Schwachstellen zu beheben.» Für den Ticketautomaten in der Tiefgarage werde «eine behindertengerechte Lösung angestrebt». Die Rampe zum Eingang bleibe, sie sei mit 3,5 Prozent Gefälle normgerecht. Der Eingang nach der Kasse zur Therme werde mit einer automatischen Türöffnung ergänzt. Nichts ändern will man am Behinderten-WC in der Therme: Die Raumtiefe sei zwar zu gering, werde aber durch eine überbreite Tür kompensiert. Ein zweiter duschtauglicher Rollstuhl werde angeschafft. Jedes Becken könne vom Rand aus von Behinderten selber bestiegen werden. Der direkte Zugang ins Medizinische Zentrum sei «nur für Notfälle konzipiert», eine Automatisierung nicht möglich, weil die Brandschutztür nach aussen öffnet. Die Behinderten-WCs habe man als Schwachstellen erkannt: Die Türen würden ummontiert, die Sitze tiefer gesetzt.