Würden Sie bei einem Gewitter auf einem Gipfel einen Drachen steigen lassen? Oder bei hohen Wellen nah an einer felsigen Küste baden gehen? Das wäre Ihnen wahrscheinlich zu gefährlich. Bei Finanzentscheidungen machen viele Menschen jedoch genau das – sie gehen zu hohe Risiken ein. Ursache ist oft der sogenannte finanzielle Analphabetismus – wenn man also selbst einfache Finanzfragen nicht beantworten kann.

Mögliche Folgen: ein Berg Schulden oder zu wenig Geld im Alter, um den gewohnten Lebensstandard halten zu können.

Finanzkompetenz ist wichtiger denn je. Die US-Ökonomin Annamaria Lusardi sagt es so: «Wir haben erleichterten Zugang zu einer Reihe neuer Finanzprodukte – und müssen in unserem Leben wesentlich mehr Finanzentscheidungen treffen. Wenn uns die nötigen Fertigkeiten fehlen, schaden wir uns selbst.»

Das zeigt sich etwa in der Vorsorge. Die Renten aus AHV und 2. Säule reichen oft nicht mehr aus, um den Lebensstandard zu erhalten – besonders dann nicht, wenn man Teilzeit arbeitet. Darum ist es sinnvoll, in Wertschriften und die 3. Säule zu investieren. Das Bewusstsein für die private Vorsorge wächst zwar, doch die entsprechenden Kenntnisse sind gering, zeigt eine Studie der Hochschule Luzern.

Das ist für Yvonne Seiler Zimmermann aber nicht das Hauptproblem. Die Co-Autorin der Studie sagt: «Was besonders schwer wiegt, ist, die eigenen Wissenslücken nicht zu erkennen.» Beispielsweise würden viele Menschen nicht bedenken, dass sie bei einem Erwerbsunterbruch nicht mehr in die Säule 3a einzahlen können. Oder: Viele würden sich keine Gedanken darüber machen, ob im Todesfall ihre Angehörigen mit Geldern aus ihrer Pensionskasse abgesichert sind.

Seiler Zimmermann sagt: «Ist einer Person bewusst, was sie alles nicht weiss, kann sie sich informieren und beraten lassen. Wenn nicht, führt das unweigerlich zu Fehlentscheidungen in der persönlichen Altersvorsorge.» Es gebe viele Möglichkeiten, sich ein Grundwissen anzueignen – zum Beispiel mit Erklärvideos. Allerdings müssten sich die Versicherten die Informationen auch holen wollen, so die Expertin.

Verzerrte Risikowahrnehmung

Beim Anlegen sollte man neben der eigenen Risikofähigkeit auch das persönliche Risikobewusstsein einschätzen können. «Viele Menschen haben Schwierigkeiten, rationale Finanzentscheidungen zu treffen. Weil sie nebst mangelndem Fachwissen oft eine verzerrte Risikowahrnehmung haben – sie schätzen die Risiken entweder zu hoch oder zu tief ein», sagt Kremena Bachmann von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW. Wer das Risiko unterschätze, laufe Gefahr, Geld zu verlieren. «Diese Menschen sind von der Höhe der negativen Ausschläge dann oft überrascht und geben in der Folge ihre Strategie auf. Der Wiedereinstieg erfolgt dann entweder zu spät oder gar nicht, was den langfristigen Anlageerfolg belastet.»

Auch das Gegenteil sei nicht vorteilhaft. «Wenn die Leute die Risiken zu hoch einschätzen, können sie nicht das Beste aus ihrem Geld rausholen. Sie riskieren sogar Verluste, wenn sie etwa ihre Ersparnisse auf dem Sparkonto liegen lassen, während die Inflation langsam, aber sicher die Kaufkraft auffrisst», sagt Bachmann.

Hohe Inflation: Nicht immer ist Sparen die beste Lösung

Die Inflation lässt die Preise für Güter und Dienstleistungen ansteigen. In anderen Worten: Man benötigt mehr Geld, um das gleiche Produkt zu kaufen. Wegen der Inflation ist das gesparte Geld also immer weniger wert. Stellen Sie sich vor, Sie lassen 10'000 Franken über 10 Jahre auf dem Sparkonto liegen. Der Zinssatz beträgt konstant 1 Prozent, die Inflation liegt bei 2 Prozent. Dann beträgt die Kaufkraft des Sparguthabens nach Ablauf der 10 Jahre nur noch rund 9000 Franken. Ein Verlust von fast 1000 Franken. Es ist also sinnvoller, das Geld in risikoarme, aber besser rentierende Anlagen zu investieren.

Langfristig investieren

Um überhöhte Risiken zu vermeiden, sei es wichtig, sich über die verschiedenen Anlagemöglichkeiten zu informieren. Auf den Finanzmärkten sind hohe Renditen immer mit hohen Risiken verbunden. Werden hohe Gewinne in Aussicht gestellt, sollte man aktiv nach Risiken suchen. Bachmann warnt zudem vor Modethemen. «Diese wirken oft attraktiv auf Privatanleger. Es wird allerdings oft unterschätzt, wie kurzlebig manche Themen sein können. Die Versuchung ist gross, mitzumachen und vor den anderen dann auszusteigen. Ob das gelingt, ist Glückssache und hat mit Investieren wenig zu tun.»

Es empfehle sich, über lange Zeit in viele Werte gleichzeitig zu investieren, sagt der Ökonom Michael Jan Kendzia von der ZHAW. «Wer das Risiko breit streut, schläft mit Sicherheit besser als jemand, der nur vereinzelt Aktien kauft. Und dank Zinseszins – also Dividenden, die nicht ausgeschüttet, sondern häufig direkt reinvestiert werden – ist es auf lange Sicht möglich, ein Vermögen aufzubauen.» Am besten investiere man weltweit in sogenannte ETF.

Fehlende Finanzkompetenz führt allerdings nicht nur zu Fehlern bei der Vorsorge und der Geldanlage. Jede siebte Person in der Schweiz lebt laut Bundesamt für Statistik in einem verschuldeten Haushalt. «Es gibt Schulden, die mit einer guten Budgetplanung und monatlichen Rückstellungen vermeidbar wären», sagt die Schuldenberaterin Barbara Mantz. Viele Menschen würden etwa ihre Kreditkartenschulden nicht vollständig zurückzahlen. Bei Schuldzinsen von bis zu 12 Prozent würden sich nach einigen Jahren ganze Schuldenberge anhäufen.

Der Zinseszins: Fluch und Segen

Bei Anlagen können Zinseszinsen den Ertrag massiv erhöhen. Investieren Sie 10'000 Franken in eine Anlage mit einer stabilen Rendite von 5 Prozent, umfasst sie nach einem Jahr bereits 10'500 Franken. Dank Zinseszins erhalten auch die Gewinne der Anlage eine Rendite. Darum steigt der Gewinn jedes Jahr schneller an. Nach 25 Jahren haben Sie so fast 34'000 Franken. Ihr Vermögen verdreifacht sich mit nur 5 Prozent Rendite – dank Zinseszins.

Doch der Zinseszins gilt nicht nur für Anlagen, sondern auch für Schulden. Kreditkartenschulden von 5000 Franken wachsen bei 12 Prozent Verzugszins innert 5 Jahren auf knapp 9000 Franken an. Vermeiden Sie es deshalb, Schulden zu hohen Zinssätzen anzuhäufen.

Ein weiteres Problem sind fehlende Rückstellungen. «Steuern und Versicherungen und Gesundheitskosten sind jährlich wiederkehrende Ausgaben, für die man schon Anfang Jahr Geld einplanen sollte.» Einige junge Erwachsene wüssten jedoch beim Auszug aus dem Elternhaus nicht einmal, dass sie Steuern zahlen müssen. Das könne man lernen. Der Dachverband Budgetberatung Schweiz etwa bietet kostenfreie Budgetbeispiele und Ratschläge für Menschen in allen Lebensbereichen.

Man solle den richtigen Umgang mit Geld möglichst früh lernen, sagt Anja Meier von Pro Juventute. «Am besten im Kindesalter.» Die Stiftung hat das Buch «Geld zu verkaufen» für 4- bis 8-Jährige herausgegeben. Darin bauen zwei Kinder ein Baumhaus und lernen, wie man Geld verdient, tauscht oder andere bezahlt. Denn Kinder sollten zeitig an das komplexe Thema herangeführt werden. «Eltern können mit den Kindern einkaufen gehen und ihnen zeigen, wofür Geld ausgegeben wird.» Ausserdem sollten sie ihnen ein Sackgeld geben – später einen Jugendlohn –, mit dem sie ein Handyabo oder andere Ausgaben zahlen. «Es mag anfangs ein schwieriger Prozess sein, aber in einem familiären Umfeld lernen Kinder besonders gut», so Meier. Doch die Verantwortung liege auch bei den Bildungseinrichtungen.

Finanzheldin werden

Im Lehrplan 21 haben Finanzthemen in der Schule an Bedeutung gewonnen. Monika Bucher, Projektmitarbeiterin des Lehrplans, sagt: «Die Jugendlichen lernen, wie die Prinzipien der Marktwirtschaft funktionieren. Sie erstellen ein Budget, setzen sich mit Kreditkarten, Leasing und Barzahlung auseinander.» Teils mit innovativen Ansätzen. «Das digitale Actionspiel ‹Heroes› ist sehr beliebt bei den Schulen», so Bucher. Es wurde in Zusammenarbeit mit Lehrkräften und Kantonalbanken entwickelt. Die Heldinnen und Helden müssen raffgierige Roboter unschädlich machen. Das schaffen sie aber nur, wenn sie ihre Ressourcen clever einsetzen und kluge Finanzentscheidungen treffen.