Wer bei der Migros in Rente geht, kann sich entspannt zurücklehnen. Mit einem Jahreslohn von 50'000 Franken und vollen Beitragsjahren kommt man nach der Pensionierung auf ein Einkommen von 47'358 Franken. So viel Rente zahlen AHV und Pensionskasse zusammen. Das sind 95 Prozent des letzten Lohns. Bei 70'000 Franken Jahreseinkommen erhalten Versicherte 86 Prozent des letzten Lohns, bei 120'000 immerhin 77 Prozent.

Das ist deutlich mehr, als die meisten Rentner erhalten. Die Sozialwerke sind so aufgestellt, dass man mit den Renten aus AHV und Pensionskasse rund 60 Prozent des letzten Lohns erhält. So sieht es das vom Bundesrat definierte Leistungsziel vor. Das Problem: Neuere Umfragen zeigen, dass längst nicht mehr alle Arbeitnehmer mit so hohen Beiträgen im Alter rechnen können. Vor allem bei mittleren und höheren Einkommen wird dieses Minimalziel immer seltener erreicht. Seit viele Kassen Anfang Jahr den Umwandlungssatz auf unter 5 Prozent gesenkt haben, werden noch mehr Neurentner mit weniger Geld auskommen müssen.

Veränderungen früh erkannt

Warum also ist es der Migros-Pensionskasse MPK möglich, so hohe Renten auszuzahlen? «Der Arbeitgeber leistet überdurchschnittlich hohe Beiträge. Zusammen mit den Arbeitnehmerbeiträgen und dank effizienter Organisation der Vermögensanlagen erlaubt uns das einen grosszügigen Vorsorgeplan», sagt MPK-Geschäftsleiter Christoph Ryter.

Die MPK hat schon früh darauf reagiert, dass die Versicherten älter werden und die Renditen sinken. Vor fünf Jahren hat sie das ordentliche Pensionierungsalter von 63 auf 64 angehoben und das maximale Leistungsziel des versicherten Einkommens leicht reduziert. Vor allem aber hat die Migros-PK die Gelder erfolgreich angelegt. Über die vergangenen 15 Jahre erzielte sie eine jährliche Rendite von 3,8 Prozent. Das ist fast ein Prozent mehr als der Durchschnitt der Pensionskassen, hat die Credit Suisse errechnet.

Eine nächste Anpassung ist trotzdem angedacht. Denn der Deckungsgrad der MPK ist im vergangenen Jahr wegen hoher Rückstellungen von 120,5 auf 111,5 Prozent gesunken. Die Vermögenserträge waren zuletzt zu tief, um noch alle Leistungen und Verpflichtungen vollständig zu finanzieren. Diskutiert werden nun laut Kassenchef Christoph Ryter drei Massnahmen: höhere Beiträge, tiefere Leistungen und ein höheres Rücktrittsalter – oder eine Kombination der drei. Aber auch wenn der Stiftungsrat die Renten kürzt, bleiben die Leistungen der MPK überdurchschnittlich gut.

Auch andere schaffen das Unmögliche

Die Migros-Kasse ist nicht die einzige, die ihre Renten nur sanft kürzt. Dieses angeblich unmögliche Kunststück schafft auch die Sammelstiftung Profond. Sie ist eine der grösseren, verwaltet derzeit 6,7 Milliarden Franken. Angeschlossen sind 1800 Firmen mit knapp 42'000 Versicherten. Der Umwandlungssatz liegt aktuell bei hohen 6,9 Prozent (2018: 6,8). Das ist deutlich mehr als bei den meisten Kassen. Letztes Jahr lag der Schnitt schweizweit bei 6,13 Prozent, der tiefste Wert bei 4,3 Prozent, hat eine Umfrage von Swisscanto ergeben. Bei 6,9 Prozent erhält man pro 100'000 Franken Alterskapital 2600 Franken mehr Rente als bei einem Umwandlungssatz von 4,3 Prozent.

Das Geheimnis des Profond-Erfolgs liegt in der Anlagepolitik. Seit 1991 erzielte sie eine jährliche Rendite von 5,5 Prozent. Die Altersguthaben wurden im Schnitt zu 4 Prozent verzinst. «Im langfristigen Durchschnitt streben wir eine Rendite von 4,5 Prozent an, was auch nach heutigem Dafürhalten machbar ist», heisst es bei der Profond. Die Sammelstiftung setzt vor allem auf Aktien, Immobilien und sogenannte alternative Anlagen. Diese riskante Strategie ist bisher aufgegangen. Ende März betrug der Deckungsgrad der Profond 110,6 Prozent. 

Noch besser für die Versicherten: Die Profond will Spar- und Alterskapital gleich hoch verzinsen – aktuell mit 3,5 Prozent. Das ist der Zürcher Aufsichtsbehörde allerdings zu viel. Sie verlangt, dass die Kasse den aktiv Versicherten für 2016 höchstens 2,25 Prozent Zins zahlt. Das gesparte Geld müsse sie verwenden, um höhere Wertschwankungsreserven aufzubauen. Die Profond hat gegen den Entscheid Einsprache erhoben.

Mut und Widerstand sind gefordert 

Klar ist, dass es den einen, «richtigen» Umwandlungssatz nicht geben kann. Zu unterschiedlich sind die einzelnen Kassen aufgestellt. Die Profond profitiert zum Beispiel von einer günstigen Altersstruktur. Nur jeder vierte ihrer Versicherten ist Rentner. Hinzu kommt, dass der Stiftungsrat bereit ist, eine riskante Anlagestrategie mit viel Aktienanlagen zu verfolgen. Das Gros der Kassen vertraut stärker auf festverzinsliche Papiere, die nur noch wenig Rendite abwerfen.

Die Gewerkschaften warnen davor, dass Kassen den Umwandlungssatz auf Vorrat senken und damit voreilig die Arbeitgeber aus ihrer Verantwortung entlassen. Die Stiftungsräte sollten deshalb mehr Widerstand leisten, fordert Matthias Kuert, Leiter Sozialpolitik bei der Gewerkschaft Travail Suisse. Sie dürften nicht einfach «dem Herdentrieb erliegen» und Rentenkürzungen durchwinken.

Kritik an den tiefen Umwandlungssätzen kommt inzwischen auch von immer mehr Pensionskassen-Profis. Zum Beispiel von Stefan Thurnherr vom VZ Vermögenszentrum. Für ihn liegt die Schmerzgrenze beim Umwandlungssatz bei 5 Prozent. Bei tieferen Sätzen geht man seiner Meinung nach von «zu pessimistischen Annahmen» aus. Ähnlich Jérôme Cosandey, Vorsorgefachmann beim wirtschaftsliberalen Think-Tank Avenir Suisse: Realistisch seien heute Umwandlungssätze zwischen 5,1 und 5,7 Prozent – je nach durchschnittlicher Lebenserwartung der Versicherten und der erwarteten Langfristrendite.

Sätze von 5,2 bis 5,3 Prozent seien gerechtfertigt, findet Roger Baumann, Pensionskassen-Experte bei der Beratungsfirma c-alm. Eine durchschnittliche Pensionskasse könne für die kommenden zehn Jahre mit einer Jahresrendite von rund 2,5 Prozent rechnen. Bei solchen Renditen müssten die Berufstätigen auch nicht befürchten, dass sie die Rentner subventionieren müssen, so Baumann.

Der Stellenwechsel wird erschwert

Die grossen Unterschiede beim Umwandlungssatz sind nicht nur aus sozialpolitischer Perspektive, sondern auch beschäftigungspolitisch problematisch. Denn sie erschweren es älteren Arbeitnehmern, den Job zu wechseln. Wer bei einer Pensionskasse mit einem hohen Umwandlungssatz versichert ist, wird seine Stelle kaum aufgeben, wenn er am neuen Ort einen Drittel weniger Rente erhalten wird.

Das Problem stellt sich allerdings primär für Arbeitnehmer über 50. Für Jüngere ist eine Kasse mit tiefem Umwandlungssatz und hohen Sparbeiträgen womöglich attraktiver. Experte Baumann: «Jüngere haben kein Interesse, einer Kasse beizutreten, die sie zwingt, die pensionierten Kollegen zu subventionieren.»

Ringen um den richtigen Zins

Es hängt nicht nur vom Umwandlungssatz ab, wie viel Pensionskassenrente man dereinst erhält, sondern auch vom technischen Zins. Dieser gibt an, wie hoch eine Pensionskasse das Alterskapital der Rentner verzinst. Auch hier sind die Unterschiede zwischen den Kassen enorm, die Bandbreite reicht von 1,5 bis 4 Prozent. 

Im Grundsatz gilt: Je tiefer der technische Zins ist, desto tiefer ist auch der Umwandlungssatz. Dieser sinkt um 0,3 Prozentpunkte, wenn man den technischen Zins um 0,5 Prozentpunkte reduziert, besagt eine Faustregel.

Der Referenzsatz für den technischen Zins lag vor zehn Jahren noch bei 4,5 Prozent, aktuell beträgt er 2,25 Prozent. Festgelegt wird der Satz von der Kammer der Pensionskassen-Experten – und er soll noch weiter sinken

Doch mittlerweile stossen diese Pläne zunehmend auf Kritik. Verschiedene Fachleute sagen, dass die letzten Kürzungen übertrieben stark ausgefallen seien. Zudem hat die staatliche Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge die letztjährige Empfehlung der Kammer nicht mehr anerkannt. 

Nun soll der Referenzzins flexibilisiert und entsprechend der erwarteten Anlagerendite einer Kasse festgelegt werden.