Margrit Meyers Stimme zittert: «Wenn die Subventionen tatsächlich so stark gekürzt werden, dann braucht es mich doch hier nicht mehr.» Dann müsse auf den üblichen Heimbetrieb umgestellt werden, und die zwölf körperlich behinderten Bewohner und Bewohnerinnen des Wohnprojekts Mooshuus wären auf Ergänzungsleistungen angewiesen.

Die 54-Jährige ist Geschäftsführerin des «Mooshuus» in der Berner Agglomerationsgemeinde Moosseedorf. Meyer managt Finanzen und Administration des Betriebs, in dem fünf Frauen und sieben Männer im Alter zwischen 30 und 54 leben. Vielfältig sind die Berufe der Bewohner: von der Juristin über den Spanischlehrer, den Büroangestellten, die medizinische Assistentin bis zur Sekretärin. «Wir arbeiten hier alle und verdienen unseren Lebensunterhalt selber, soweit wir das können», erklärt Meyer. Alle Bewohner des «Mooshuus» sind auf Hilfe angewiesen. Viele leben seit ihrer Kindheit im Heim.

«So gut wie hier ging es mir noch nirgends», sagt Markus Wermuth. Der junge Büroangestellte leidet an einer starken Gelenkdeformation, einem Geburtsfehler. Er lebt seit zehn Jahren mit seiner Freundin im «Mooshuus». «Hier können wir zum Beispiel selber bestimmen, wann wir ins Bett gehen wollen. Nicht die Betreuer verwalten uns, sondern wir sie», erklärt er bestimmt.

Guteidgenössische Demokratie


Das ist keine Selbstverständlichkeit. In den meisten der Schweizer Behindertenheime schreiben strenge Regeln den Bewohnern vor, wie sie zu leben haben. Aufstehen und Bettruhe, Essen oder Ausgang – alles wird von den Betreuern vorgegeben. Anders im «Mooshuus»: Hier leiten und regeln die Bewohner und Bewohnerinnen ihr Zusammenleben. Die 20 Betreuer, die sich acht Vollzeitstellen teilen, helfen ihnen dabei. Selbstbestimmung, Mitsprache und Eigenverantwortung lautet das Credo im Selbsthilfeprojekt Mooshuus. Die Bewohner wählen die Betreuungspersonen aus und bestimmen mit, wer einzieht. Das selbstbestimmte Leben funktioniert bestens.

Margrit Meyer und Markus Wermuth sitzen am «Stammtisch» im hellen Aufenthaltsraum, zuoberst im vierstöckigen «Mooshuus». «Hier treffen wir uns zum Kaffeeklatsch und zum Zeitunglesen», sagt Meyer. Hier sei auch heftig diskutiert worden, als die Sparpläne von Bund und Kanton letzten Herbst bekannt wurden.

In der allgemeinen Spareuphorie hat das Bundesamt für Sozialversicherung die Bundesbeiträge für das Wohnheim auf dem Stand des Jahres 2000 eingefroren, was einer Kürzung gegenüber dem Vorjahr um rund 20000 Franken entspricht. Gleichzeitig kürzt der Kanton Bern seine Subventionen von bisher 110000 Franken jährlich auf 50000 Franken. «Uns fehlen dadurch dieses Jahr rund 80000 Franken», rechnet Margrit Meyer vor.

Die Leiterin des «Mooshuus» ist von Anfang an – seit 18 Jahren – beim Projekt dabei. Mitte der achtziger Jahre wurde in Moosseedorf eine Blocküberbauung geplant. Margrit Meyer und einige körperlich behinderte Kollegen planten mit. Das Projekt wurde vom Kanton Bern begrüsst und gefördert. «Wir haben das Konzept selbst gemacht und konnten überall mitbestimmen», erinnert sich Meyer. Damals hätten bessere Zeiten geherrscht; Geld für das Projekt sei problemlos vergeben worden.

Eigenverantwortung ginge verloren


Ziel damals wie heute war und ist es, so selbstständig wie möglich leben und wohnen zu können. «Wir haben hier keine Beschäftigungsprogramme. Jeder muss seinen Tag selber gestalten und eigenverantwortlich leben können», sagt Meyer.

Markus Wermuth nickt energisch. «Wenn ich jemals hier rausmuss, würde ich mir eine eigene Wohnung suchen. In ein Heim gehe ich nicht mehr zurück.» Wermuth schätzt es sehr, dass die «Mooshuus»-Bewohner ihre eigenen Regeln aufgestellt haben. Zum Beispiel berechnen sie ihre Pflege- und Mietbeiträge selber: Ein Zimmer kostet 440 Franken, zwei bis zu 1000 Franken. Je nach dem Einkommen berechnet sich der Pflegebeitrag für die Betreuung im Haus. Grundsätzlich bleibt jedem Bewohner ein Freibetrag von rund 1000 Franken im Monat. Davon müssen Essen, Ausgang, Krankenkasse, Wäsche und Steuern bezahlt werden. Dieses System fördert die Eigenverantwortung und ist ein Anreiz, selber Geld zu verdienen.

In «normalen» Behinderteninstitutionen werden die Tarife so angesetzt, dass die Bewohnerinnen und Bewohner Ergänzungsleistungen beanspruchen müssen. Zwar ist dann alles inbegriffen, aber ihnen bleibt nur ein Taschengeld von 270 Franken monatlich für Freizeit und Kleidung.

Dieses System droht nun auch den Menschen vom «Mooshuus». Denn durch die Subventionskürzungen werden die Selbstkosten so hoch, dass auch sie Ergänzungsleistungen beanspruchen müssen. Mit den Ergänzungsleistungen beginnt die finanzielle Bevormundung der Behinderten von neuem. Die hart erkämpfte und erlernte Eigenverantwortung wäre bei dieser Umverteilung der öffentlichen Unterstützung dahin. Und Geld wird dabei fast keines gespart.

Der Staat kann nicht wirklich sparen


Konkret: Margrit Meyer arbeitet heute 50 Prozent und verdient jährlich gut 36000 Franken. Bisher kam sie damit und mit ihrer Hilflosenentschädigung durch. Neu müsste sie Ergänzungsleistungen in der Höhe von rund 27000 Franken beantragen. Ähnlich sieht es bei Markus Wermuth aus. Er verdient als Büroangestellter im Jahr knapp 12000 Franken und müsste neu gut 26500 Franken Ergänzungsleistungen beziehen, um im «Mooshuus» wohnen bleiben zu können.

Da die Ergänzungsleistungen an den Lohn gekoppelt sind, würde es sich für einige «Mooshuus»-Bewohner kaum mehr lohnen zu arbeiten. «Man ist blöd, wenn man dann Lohnarbeit macht», so Meyer.

Der Kanton spart dabei nur vordergründig 60000 Franken Subventionen pro Jahr. Da die Ergänzungsleistungen zu zwei Dritteln vom Kanton und zu einem Drittel vom Bund bestritten werden, belasten die Ausgaben intern einfach andere Kassen. Unter dem Strich wird kaum gespart. «Ein Eigengoal», sagt Markus Wermuth.

Aber den «Mooshuus»-Bewohnern geht es nicht so sehr ums Geld, sondern um ihre Lebensform. Deshalb haben sie den Förderverein Pro Mooshuus gegründet. Vereinspräsident Bernhard Brändli sagt: «Es muss ein Interesse bestehen, die Integration von Behinderten in die Arbeitswelt und die Gesellschaft zu fördern. Das neue System wäre ein Schuss hintenhinaus!»

Die Menschen vom «Mooshuus» versuchen nun, ihre Bekanntheit in der Region zu fördern. Im Mai werden sie auf dem Gemeindemärit an einem Stand Backwaren verkaufen und ihren Förderverein promoten. Auch die Sponsorensuche kommt langsam ins Rollen. «Wir geben nicht klein bei», sagt Margrit Meyer.

Quelle: Daniel Rihs