In der Hitparade des Wirtschaftsmagazins «Bilanz» über die reichsten Schweizerinnen und Schweizer figuriert der Zürcher Gastrounternehmer und Liegenschaftenhändler Rudi Bindella mit einem Vermögen von rund 600 Millionen Franken weit vorn. Die 30 Lokale seiner italienischen Restaurantketten sind abends gerammelt voll. Der Chiantiwein aus eigenen Rebbergen in Italien verkauft sich gut, die Wohn- und Geschäftsliegenschaften in Zürich, Freiburg, Olten und Bern sind vermietet.

Doch welch ein Wunder: Auf dem provisorischen Steuerausweis von Rudi Bindella des Jahres 1993 steht in den Kolonnen «Reineinkommen» und «Reinvermögen» je eine blanke Null. Auch 1994 hat er kein Reineinkommen erzielt, das Vermögen stieg von 0 auf 7,9 Millionen Franken.

Ein Prosit auf die ehrlichen Steuerzahler und den kleinen Unterschied. Zum Beispiel: die Rentnerin Ilse Civelli. Von der AHV erhält sie monatlich 1623 Franken. Damit es zum Leben reicht, hat die Frau Anspruch auf eine Zusatzrente. Klagen mag sie trotzdem nicht. «Neue Kleider kann ich mir zwar nicht mehr leisten, aber die alten sind noch gut in Ordnung, und sonst brauche ich nicht viel», sagt sie bescheiden. Ilse Civelli muss tagtäglich sparen.

Auch der 33jährigen Verkäuferin Andrea B., Mutter von zwei Kindern, geht es nicht anders. Zusammen mit den Alimenten hat sie ein Einkommen von rund 40000 Franken jährlich. Das reicht knapp zum Leben. Wie Ilse Civelli und die alleinerziehende Mutter leben in der Schweiz Hunderttausende. Der kleine Unterschied zu Bindella? Trotz angespannter Finanzen müssen sie jährlich dem Staat Einkommenssteuern bezahlen. Ilse Civelli zahlte 1995 dem Kanton und der Gemeinde Fr. 350.65, dem Bund pro Jahr Fr. 38.50. Hart trifft es die Verkäuferin. Sie muss für 1995 2502 Franken Staats- und Gemeindesteuern bezahlen, der Bund will pro Jahr Fr. 305.55.

Rudi Bindella ist nicht der einzige Multimillionär, der dem Staat keinen Rappen Einkommenssteuer abliefert. Auch die provisorischen Steuerausweise des 67jährigen Industriellen Ulrich Albers und seines Sohnes Vincent zeigen auf der Einkommensseite 1994 und 1995 eine runde Null. Die Albers sind kaum bekannt. Sie zählen zum diskreten Kreis der Zürcher, die nicht mit ihrem Reichtum protzen. Doch als Verwaltungsrat bedeutender Gesellschaften, wie der Schweizerischen Kreditanstalt, verfügt Ulrich Albers weit über seine Firmengruppe hinaus über Macht und Einfluss. Herzstücke des auf 400 Millionen geschätzten Albers-Vermögens (laut «Bilanz» 1993): 100000 Quadratmeter Land auf Zürcher Stadtboden.

Dass Rudi Bindella, Ulrich und Vincent Albers sowie viele andere Millionäre kein Einkommen versteuern, hat zum Teil mit unserem Steuersystem zu tun. Selbständigerwerbende ohne Lohnausweis können sich - dank legaler Tricks und Transaktionen - vor dem Steuervogt zu Bettlern verwandeln. Insider schätzen, dass sich in der Schweiz Hunderte von Millionären auf diese Weise vor dem Steuerzahlen drücken.

Ein hoher Beamter im Eidgenössischen Finanzdepartement sagt klar: «Würden alle Grossen loyal ihren Anteil zahlen, so könnten wir die Staatsdefizite verringern und die mittleren und kleinen Einkommen entlasten.»Zu den Kleinen gehören bestimmt auch Serviertöchter des Stäfner Gastwirts und SVP-Politikers Oskar Bachmann. Wetten, dass sie mehr Einkommenssteuern bezahlen müssen als ihr Chef? Bachmann, erfolgreicher Wirt auf seinem Landgasthof an schönster Lage über dem Zürichsee, ist im Kanton Zürich kein Unbekannter. Der Präsident des Zürcher Wirteverbands sitzt im Kantonsrat. Bis März 1995 war er Präsident der einflussreichen Geschäftsprüfungskommission.

Gemäss Steuerausweis ist Oskar Bachmann bald ein armer Mann. Trotz Einkünften aus seinen politischen Mandaten von rund 25000 Franken jährlich deklariert der habliche Gastwirt 1993 und 1994 in seiner Steuererklärung lediglich 36900 Franken Einkommen. Entsprechend wenig liefert der aufrechte Patriot dem Kanton und der Gemeinde pro Jahr ab: 3094 Franken. Der Bund muss sich mit 188 Franken begnügen.

Auf dem Höhepunkt der Steueraffäre Kopp hatte sich Bachmann im Parlament vehement für den Gatten der damaligen Bundesrätin eingesetzt. «Wir weigern uns, wegen eines aufgebauschten Falles, gezeichnet von Unwahrheiten und Anschuldigungen, die Gesetze zu missachten... Das Geschrei nach «Kopf ab!» erinnert an den Vorfall vor 2000 Jahren, als schon einer für alle anderen ans Holz genagelt wurde», rief Bachmann pathetisch in den Ratssaal.

Der Beobachter, der die Steueraffäre Kopp als erste Zeitschrift publik machte, hat die Schelte gut überstanden. Kopp musste Nach- und Strafsteuern bezahlen. Weil die Zürcher Behörden den Fall Kopp verschliefen, entgingen dem Staat jedoch grosse zusätzliche Summen. Grund: Einige Steuerjahre waren verjährt.

Bemerkenswert sind auch die aktuellen Steuerausweise des Ehepaars Elisabeth und Hans W. Kopp. Ihr Vermögen sank in zwei Jahren von 2,3 Millionen Franken auf null. Das gemeinsame Reineinkommen beträgt - trotz Bundesratspension von 190000 Franken - nur 122600 Franken.Gehen Steuerkommissäre mit Prominenten und Reichen pfleglicher um? «Nein, auf keinen Fall», betonen die kantonalen Steuerchefs. Und der oberste Zürcher Steuerfahnder, Ferdinand Fessler, lässt öffentlich verlauten, Steuertricks gebe es keine.

Zumindest im Kanton Waadt ist das anders. Dort deckten Steuerfahnder eine Praxis auf, die wohl auch in anderen Kantonen üblich ist. Am Ende des Geschäftsjahres gewähren Firmen den grossen Kunden auf den Umsätzen einen bestimmten Rabatt. Viele Begünstigte haben den Rückvergütungscheck am Steueramt vorbeigeschmuggelt und nicht als Einkommen deklariert. Prominentester Mitbeteiligter: der liberale Stadtrat und Polizeidirektor von Lausanne, Jean-Claude Rosset. Der Stadtpolitiker trat sofort zurück und gab zu, er habe innerhalb von fünf Jahren 230000 Franken hinterzogen.

Also doch Steuergleichheit für Arm und Reich? Ein Zürcher Treuhänder hat Zweifel: «Leute mit grossen Einkommen können vor der Steuerbehörde anders auftreten als Normalbürger. Wenn jemand zwei Millionen Einkommen deklariert, gibt sich die Behörde damit zufrieden und geht nicht gleich hartnäckig vor wie bei kleinen Steuerzahlern.»

Zudem: In einigen Kantonen sind Gemeinden bereit, mit den Superreichen Spezialabkommen abzuschliessen. Solche Leute - oft ausländische Steuerflüchtige - bezahlen eine bestimmte Pauschale... und sparen Millionen. Auch manche Schweizer ziehen es vor, ihren Wohnsitz in ausländische Steueroasen zu verlegen. Zum Beispiel das Radsportidol Tony Rominger. Rund 2,5 Millionen kassierte der Champion letztes Jahr. Dieses Jahr dürfte es - nach dem Erfolg im Giro d’Italia - noch mehr sein. Romingers Schweizer Fans jubeln. Nicht so die Schweizer Steuervögte, denn der Radprofi residiert in Monaco.

Die Züglete nach Monaco kann sich eine andere Sportgrösse sparen: Peter Müller, Ex-Skirennfahrer, wohnhaft in Unterägeri. Der sparsame Skistar scheint zu verarmen. Gemäss Steuererklärung 1994 beträgt sein Einkommen 22800 Franken.

Wenn’s darum geht, Steuern zu sparen, gibt es selbst unter den eidgenössischen Politikern zirkusreife Jongleure. Einer der besten: SP-Nationalrat Andreas Herczog aus Zürich. Der altgediente Kämpfer gegen Bürgerfilz und für mehr soziale Gerechtigkeit zahlt selber keinen Rappen Steuern. Als Architekt und Raumplaner verdiente er offenbar nichts, und auch das Einkommen aus seinem Nationalratsmandat von rund 65000 Franken hat sich - gemäss Steuerausweis der Jahre 1993, 1994 und 1995 - in nichts aufgelöst. Ubrigens: Was halten die Bundesparlamentarier von Steuertransparenz? Der Beobachter hat sie getestet. Die Antworten stehen in der Grafik unten und auf den Seiten 26/27.

Lücken im Gesetz, large Kontrollen, schlecht ausgebildete Steuerfahnder? Dieter Metzger, Direktor der Eidgenössischen Steuerverwaltung, meint: «Nicht die Gesetze fehlen. In den kantonalen Steuerverwaltungen und auch bei uns hat es aber zuwenig Steuerexperten. Mit mehr Kontrollen könnten Steuerhinterzieher wirksamer bekämpft werden.»

Bisher brachte Dieter Metzger Millionäre mit null Einkommen oder gar eindeutige Steuerhinterzieher nicht zum Schwitzen. Denn beim Bund arbeiten nur vier professionelle Steuerfahnder. Dieses Jahr soll die Stabsstelle zwar weitere fünf Experten erhalten. Doch der bescheidene Ausbau wird trickreiche Steuerhinterzieher kaum schrecken. «Fälle, die wir bearbeiten, verursachen in der Regel einen Arbeitsaufwand von mehreren Monaten bis zu mehreren Jahren», räumt Direktor Metzger ein.

Ein Glück, gibt es auch Grossverdiener, die ihren Obolus leisten. Nur zwei Beispiele: Der Zürcher Autoimporteur Walter Frey deklariert ein Einkommen von 2,193 Millionen Franken, Denner-Boss Karl Schweri 2,56 Millionen Franken. Leuten, die jahrelang Steuern hinterzogen haben, soll hingegen wieder einmal verziehen werden. So hat es die Parlamentsmehrheit beschlossen. «Amnestie» heisst das Zauberwort. Optimisten hoffen, so mindestens 30 Milliarden Vermögen ans Tageslicht zu fördern. Vergeblich wehrte sich Bundesrat Otto Stich gegen diesen Ablass, weil er Steuerbetrug erst salonfähig mache. «Betrug bleibt Betrug», meint der Finanzminister.

Ob das Volk den Gnadenerlass des Parlaments schluckt, ist ungewiss. Denn inzwischen sind Millionäre, deren höchstes Ziel es scheint, keine Steuern zu bezahlen, selbst bei der «Neuen Zürcher Zeitung» in Ungnade gefallen. «Dies ist ein Vorgehen, das - auch wenn es legal sein mag - nicht nur gegenüber einfachen Lohnbezügern und Steuerzahlern einen Affront darstellt, sondern darüber hinaus politisch unklug und kontraproduktiv ist», kommentiert sie.

So werden Reiche arm


Wie wird man reich? Das fragen sich Arme. Manche Reiche aber überlegen sich: Wie werde ich arm? Ein Blick in die Steuertrickkiste von Grossverdienern.

Der Abteilungsleiter der Zürcher Steuerverwaltung gab sich keinen Illusionen hin: «Was wollen Sie da ausrichten?» Ein Finanzberater hatte ihn unter vier Augen auf eine Steuerhinterziehung aufmerksam gemacht. Doch der Beamte winkte ab: «Wenn einer angeblich ein Darlehen hat von irgendeinem Geldgeber auf den Bahamas, und er schickt seine Schuldzinsen dorthin - wie wollen Sie das je kontrollieren?» Das Darlehen kann fiktiv sein, die Zahlungen können auf einem Schwarzgeldkonto landen - hierzulande werden sie ganz unschuldig als Schuld und Schuldzinsen von der Steuer abgesetzt.

Horrende Darlehen von reichen Onkeln auf sonnigen Inseln: ein beliebtes Rezept, um grosse Einkommen und Vermögen in der Steuererklärung zu reduzieren. Doch es gibt weitere Tricks. Eine Einmaleinlage in die Säule 3b muss nur als Vermögen mit dem Rückkaufswert versteuert werden. Der Gewinnanteil kann ab 60 steuerfrei bezogen werden. Mindestvertragsdauer: fünf Jahre. Der Clou: Selbst 70jährige können solche Einmaleinlagen tätigen, sogar in Millionenhöhe - und so die Steuerrechnung zünftig reduzieren.

Kaderleute können sich einen Teil oder die ganze Lohnerhöhung in Form einer Kaderversicherung auf eine Bank oder Versicherung auszahlen lassen. Im Lohnausweis bleibt so alles beim alten. Bei einer Auszahlung vor dem Jahr 2003 wird der Betrag privilegiert besteuert. Zuviel Einkommen und obendrein viel Schwarzgeld? Suchen Sie eine Bank, die Ihnen auf Ihre Liegenschaft eine Hypothek von 200000 Franken gewährt. Schön ordentlich überweisen Sie den Hypozins. Schuld und Schuldzinsen ziehen Sie von der Vermögens- und Einkommenssteuer ab. Was der Steuervogt nicht weiss: Sie schleppen zugleich 200000 Franken Schwarzgeld auf die Bank - an der Steuer vorbei und besonders gut verzinst. Ein solches Agreement macht nicht jede Bank, und nicht jede Bank, die es macht, macht’s mit jedem Kunden. Ein dickes Portefeuille brauchen Sie schon.

Für Schlagzeilen sorgten Ende der achtziger Jahre die (illegalen) Steuerabkommen mit schwerreichen Ausländern im Kanton Obwalden; Multimillionäre wie Franz Beckenbauer zahlten lächerlich kleine Steuerbeträge. Was weniger bekannt ist: Auch Schweizer profitieren in der Schweiz von Steuerabkommen. Dem Beobachter bekannt ist der Fall eines Berner Zahnarztes, der in einer Walliser Gemeinde eine Praxis eröffnet hat - unter der Voraussetzung, dass man ihm dort steuerlich entgegenkommt. Wer finanziell ein besonders gutes Jahr hinter sich hat, tut gut daran, per 1. Januar in einen anderen Kanton zu zügeln. Der Steuerföderalismus macht’s möglich: Ein ganzes Steuerjahr fällt ausser Betracht.

Eine Briefkastenfirma im Fürstentum Liechtenstein hilft Steuern sparen. Man schiebe einen Dritten als Firmengründer vor und wickle mit der ausländischen Gesellschaft, die eigentlich die eigene ist, munter Geschäfte ab... Ganz offizielle Schweizer Eigentümer einer Firma im Ausland können sich im Bedarfsfall einfach keine Dividende auszahlen lassen; die Beteiligung am Unternehmen gilt dann als sogenannt ertragslos. Flugs sind einige tausend oder hunderttausend Franken Vermögensertrag weggezaubert. Kaum ein Schweizer Steuerbeamter wird sich die Buchhaltung der Firma in Hongkong näher anschauen.

Und der letzte Trick aus der Kiste: Belege für feine Mittagessen können Selbständigerwerbende als sogenannte Geschäftsspesen von der Steuer abziehen. Dem Kassenzettel sieht man nicht an, ob das Essen nun mit der Freundin oder dem Geschäftsfreund stattgefunden hat. Eine wahre Sammelleidenschaft entwickelte das Ehepaar A., beide Immobilienhändler. Private Diners, Flugreisen, Ferienwochen: die Rechnungen wurden auf ihre zehn Immobiliengesellschaften verteilt. Das ergab pro Firma nur rund 4000 Franken - ein unverdächtiger Betrag. Insgesamt konnte das Ehepaar 40000 Franken im Jahr als Geschäftsspesen absetzen.

Ein Trost für alle Lohnausweisbezüger: Es gibt auch «Millionäre», die wirklich arm sind. Sie führen zwar ein Leben in Glanz und Gloria - doch alles auf Pump. Vor allem einige Immobilienspekulanten wurden in den letzten Jahren demaskiert. Wie sagte die vornehme Madame de Meuron in Bern? «Heit Ihr Gält oder sit Ihr öpper?»