Der Macht der SUVA ausgeliefert
Betreiber von Staplerfahrschulen legen sich besser nicht mit der Suva an. Denn diese bestimmt indirekt und ohne rechtliche Grundlage, wer in der Branche ausbilden darf und wer nicht.
Veröffentlicht am 7. Juli 2015 - 10:00 Uhr
Manchmal braucht es wenig, um eine Firma in ernsthafte Bedrängnis zu bringen. Ein paar Buchstaben in einer Broschüre oder auf einer Website genügen. Etwa im Merkblatt der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) zur Ausbildung von Staplerfahrern, das sich an Arbeitgeber richtet. Darin heisst es in einer stichwortartigen Aufzählung: «Allgemein anerkannte Ausbildung (in der ganzen Schweiz gültig): Ausbildung bei einer Suva-anerkannten Staplerfahrschule. Betriebsweit anerkannte Ausbildung (nur für den jeweiligen Betrieb gültig): Staplerfahrerausbildung im eigenen Betrieb.»
Die meisten interpretieren diese Zeilen so, dass eine Ausbildung zum Staplerfahrer nur dann überall gültig ist, wenn sie an einer Suva-anerkannten Schule absolviert wurde – die Suva selbst allerdings nicht, aber dazu später.
Jedenfalls ist kaum jemand interessiert an Ausbildungsabschlüssen, die auf einen einzigen Betrieb beschränkt sind. Deshalb durchlaufen die rund 60 Staplerfahrschulen in der Schweiz auch alle die Suva-Prüfung, ein sogenanntes Audit. Will heissen: Alle fünf Jahre besucht ein Suva-Angestellter einen Kurs und prüft, ob die Mindestanforderungen der Schweizerischen Gesellschaft für Logistik (heute: der SVBL) sowie zusätzliche von der Suva aufgestellte Kriterien erfüllt sind.
Auch Heinz Weilenmann*, der seit bald 18 Jahren eine mobile Staplerfahrschule betreibt, liess sich regelmässig von der Suva kontrollieren. Es kam zwar zwischen ihm und der Versicherung immer wieder zu Diskussionen über Sinn und Zweck einzelner Auflagen und den Ablauf des Audits; das Label hat er aber immer erhalten – und auch Lob für seine langjährige, unfallfreie Tätigkeit in den Betrieben.
«Sie wollten mich loswerden, weil ich unbequem bin.»
Heinz Weilenmann, Staplerfahrlehrer
Seit vergangenem Jahr ist nun alles anders. Weil Weilenmann aufgrund der fachlichen Differenzen zunehmend Mühe hatte mit dem Suva-Mitarbeiter, der das Audit jeweils durchführte, verlangte er für die 2014 fällige Überprüfung einen anderen Experten. Dieser kam auch. Das Suva-Label wollte er allerdings nicht mehr vergeben – wegen angeblich «gravierender Mängel».
Weder Gespräche noch ein von der Suva erstmals durchgeführtes, 3000 Franken teures Nach-Audit halfen: Heinz Weilenmanns Schule erhielt das Label nicht mehr und wurde folglich von der Liste der Suva-anerkannten Schulen gestrichen. Man habe ihn schon beim letzten Audit auf Schwachpunkte hingewiesen, heisst es bei der Suva. Geändert habe sich aber nichts.
«Sie wollten mich loswerden», glaubt dagegen Weilenmann, «weil ich unbequem bin und gewisse Dinge aufgrund meiner langjährigen Erfahrungen in Frage stelle.» Er möchte seinen richtigen Namen nicht veröffentlicht haben, denn für den Unternehmer hat das fehlende Label geschäftsschädigende Folgen: «Es kann angestammte Kunden irritieren und potenzielle neue Kunden fernhalten, weil diese allenfalls annehmen, eine allgemein anerkannte Ausbildung sei nur an einer Schule mit Suva-Label erlaubt.»
Doch das ist anscheinend ein Missverständnis, wie Weilenmann erfahren musste. Er wollte sich mit dem seines Erachtens unverhältnismässigen Verdikt der Suva nicht abfinden und verlangte eine Verfügung, gegen die er formell Einsprache erheben kann. «Eine solche hatte die Suva bisher immer automatisch geschickt», sagt er. Doch jetzt klappte plötzlich auch das nicht mehr.
Statt der Verfügung erhielt er einen Brief. Darin liess die Suva ihn wissen, es handle sich bei ihrer Anerkennung lediglich um ein «Hilfsmittel für die Vollzugsorgane der Arbeitssicherheit». Es gebe keinen Rechtsanspruch darauf, deshalb könne man auch keine Verfügung ausstellen. Ausserdem sei die Anerkennung gar nicht zwingende Voraussetzung dafür, das gesetzlich vorgeschriebene Ausbildungsniveau zu erlangen. «Dies kann auch auf anderem Weg erreicht werden.»
Mit anderen Worten: Es stimmt gar nicht, dass eine allgemeingültige Ausbildung nur an einer Suva-anerkannten Schule abgeschlossen werden kann. Die Versicherung kann das auch gar nicht selber bestimmen – sie ist nicht für die Ausbildung von Staplerfahrern zuständig. Als Aufsichtsorgan kontrolliert sie bloss, ob die Arbeitgeber die Verordnung über die Unfallverhütung einhalten.
Da Unfälle mit Staplern relativ häufig sind und selten glimpflich ausgehen, gelten diese als gefährliche Arbeitsmittel. Der Arbeitgeber muss dafür sorgen, dass nur Personen Stapler fahren, die mindestens auf dem Niveau der SVBL-Richtlinien ausgebildet sind und eine Prüfung abgelegt haben. Die Suva prüft dies.
Der ausgebootete Ausbildner Weilenmann ist verärgert: «Durch bewusst unkorrekte Informationen in ihren Publikationen bestimmt die Suva faktisch, wer in der Schweiz eine Staplerfahrschule betreiben kann und wer nicht.»
Nachdem alle Verhandlungen gescheitert waren, bat er die Suva, wenigstens ihre Unterlagen zu den Staplerfahrschulen zu korrigieren. «Doch ich erhielt darauf nicht einmal eine Antwort.»
«Wenn jemand eine bessere Idee hat, kann er sich an uns wenden.»
Guido Bommer, Bereichsleiter Industrie und Gewerbe bei der SUVA
Der Grund: Die Suva selber erkennt keine Widersprüche zwischen dem, was sie publiziert, und dem, was tatsächlich gilt. Es werde nirgends behauptet, man könne sich nur an einer Suva-anerkannten Schule ausbilden lassen, sagt Guido Bommer, Bereichsleiter Industrie und Gewerbe.
Bei ihrem Label handle es sich um ein reines Qualitätssicherungsinstrument. «Leider hat sich die Branche selber bisher nicht auf ein eigenes System einigen können. Dank dem Engagement der Suva konnte sich die Staplerfahrausbildung in der Schweiz durchsetzen.»
Im Prinzip sei die Suva-Anerkennung bloss ein Hilfsmittel für Arbeitgeber und Kontrolleure, so Bommer: «Ein Arbeitgeber, der seine Mitarbeiter an einer Schule mit Suva-Anerkennung ausbilden lässt, kann sicher sein, dass er alle nötigen Anforderungen erfüllt.» Wenn das Label fehle, müsse man das bei einer Kontrolle separat überprüfen. «Die Suva-Anerkennung erleichtert unsere Arbeit.»
Bezüglich der Formulierung in den eigenen Publikationen sei man aber offen für Vorschläge. «Wenn jemand eine bessere Idee hat, wie man das schreiben könnte, darf er sich gern an uns wenden.»
Heinz Weilenmann ist die Lust am Formulieren vorläufig vergangen. Er hat einen Anwalt eingeschaltet und will nun beim Bundesamt für Gesundheit eine Aufsichtsbeschwerde einreichen. «Die Suva spielt auf unrechtmässige Art und Weise ihre Macht aus», sagt er. «Das Bundesamt muss hier eingreifen.»
*Name geändert