Er sei «politisch inkorrekt und optimal pigmentiert». So eröffnete Charles Nguela früher seine Shows. Das Publikum reagierte unsicher, ein bisschen verklemmt. «Lached ruhig, lached ruhig!», forderte er dann. Und wenn auch das nichts nützte, zeigte er, wie das geht – in höchster Frequenz, mit gellender Stimme, manchmal auch wiehernd. Kollektives Aufatmen: Hier darf man lachen. Über alles.

Zehn Jahre ist das her. Heute spricht der 32-Jährige in seinem Programm über Eltern, die sich vor den eigenen Kindern fürchten. Über Zyklus-Tracker und toxische Männlichkeit. Über Wanderer in Turnschuhen, absurdes Schweizerdeutsch und Kantönligeist. Rassismus spielt nur noch eine Nebenrolle. Trotzdem bleibt das Thema an ihm haften. Wie kommts?

Besuch bei Charles Nguela in Dietikon ZH. Altbau mit Stuck, drei Stockwerke, hölzerne Dachbalken. Vor dem Haus hämmert die Baustelle, im Garten lümmelt der Herbst. «Gestern hats gestürmt, sorry für das Puff da draussen», sagt Nguela, als er Kaffee ins Wohnzimmer trägt. Vorbei an einem goldenen Männchen, das sich den Bauch vor Lachen hält. Swiss Comedy Award 2014. «Ein bisschen protzig, den da hinzustellen, oder? Das war meine Freundin!» Verlegenes Lachen, Sympathiepunkte.

Den Preis gewann er mit 25, nach gerade mal drei Jahren Comedy. Kurz darauf tourte er mit dem Programm «Schwarz-Schweiz». Mit Beobachtungen, «die ein hellhäutiger Zeitgenosse so nicht machen könnte». 
 

Beobachter: Wir müssen über Rassismus sprechen.

Charles Nguela: Ich habs befürchtet.

Sie lachen und stöhnen.

Ich habe eine Hassliebe zum Thema. Einerseits will ich nonstop darüber sprechen, anderseits gar nicht mehr. 

Und heute?

Vielleicht nicht sofort?

Deal!


Also dahin, wo alles begann: 2011, eine kleine Bar im Aargau. Nguela ist 21, bestürzt und sturzbetrunken. Seine Freundin hat Schluss gemacht – per Zetteli, nach sieben Jahren. «Denk an ihre Macken», raten die Freunde, also legt er los. «Ständig frag ich: ‹Schatz, willsch es Sandwich?› Und sie so: ‹Neinei.› Also freu ich mich auf meins, dann kommt sie und beisst mir das Herzstück weg: die Mitte, wo das Brot minimal trocken und maximal belegt ist. Wer tut so was?» 

Der Barkeeper grinst – ein netter Mann, denkt Nguela. Gelächter klatscht an seinen Hinterkopf – gute Stimmung, denkt Nguela. Und dann kommt eine ältere Dame und fragt, was er koste. «What the – ich bin doch kein Callboy!», ruft Nguela. «Und wir beide so ...» Er macht einen Satz nach hinten, zieht die Augenbrauen bis zum Haaransatz. «Sie dachte, ich sei Komiker.»

Gute Idee, finden die Freunde. Niemand könne so herzhaft über sich selber lachen. Kurz darauf steht er zum ersten Mal auf der Bühne. Es ist der 13. August 2011, daran erinnert ein Tattoo auf seinem rechten Unterarm. Und weil er noch kein Programm hat, beschreibt er seinen Alltag. Wie er einkaufen geht, sich nicht entscheiden kann, um die Regale läuft – und plötzlich ein Angestellter kommt, der die Hände vor der Brust verschränkt. Wie er im Anzug mit roter Krawatte durch den Zug läuft und um «Kafi und Gipfeli» gebeten wird.
 

Schon sind wir wieder beim Rassismus.

Jetzt bin ich warm, let’s go!

Solche Situationen waren wohl kaum lustig. 

Im Gegenteil. Früher war ich wütend oder enttäuscht. 

Was hat sich geändert?

Ich sah ein, dass Vorurteile normal sind – jeder hat sie, oft unbewusst. Ich wollte dem Publikum einen Spiegel vorhalten, zum Denken anregen. Mit Charme und Humor, ohne moralischen Zeigefinger. 

Verharmlosen Sie Rassismus so nicht? 


Für einen Moment wird Nguela ernst. Natürlich kennt er den Vorwurf. «Als schwarzer Komiker muss ich vielen Erwartungen gerecht werden: auf Themen aufmerksam machen, aber nicht belehren. Lustig sein, aber niemanden durch den Dreck ziehen. Linke und Rechte abholen, Alte und Junge.»

Dass er es nicht allen recht machen kann: vorprogrammiert. Kritik kam auch aus der Black Community. «Viele Schwarze und People of Color haben schmerzhafte Erlebnisse gehabt. Darüber können und wollen sie nicht lachen, das verstehe ich. Wenn sie mich nicht verstehen, trifft mich das aber. Schliesslich mach ich das für uns.»

Charles Nguela ist in drei Ländern aufgewachsen. Im Kongo wurde seine Familie von korrupten Banden bedroht, weil der Vater für die Regierung arbeitete. Als er erschossen wurde, flüchtete die Familie nach Südafrika. Mit fünf erlebte Charly das Ende der Apartheid. «Und trotzdem hatte ich eine sehr glückliche Kindheit mit Ferien, vielen Barbecues und Dutzenden Familienmitgliedern um mich herum.»

Mit 14 kam Nguela in die Schweiz. Oft hätten sich Nachbarinnen oder Schulkollegen bei ihm entschuldigt – die Blocher-Ära müsse ja schlimm für ihn sein. «Ich lachte fast. Hier braucht man ja keine Alarmsysteme und Notfallknöpfe, vor der Haustür gibt es keine Drogendealer und Schiessereien.» Der Rassismus in der Schweiz sei anders. «Versteckt, heimlich, heuchlerisch.» 


Darüber sprachen Sie auf der Bühne.

Das war wie eine Therapie. Aber irgendwann wars dann gut. Ich will nicht, dass sich die Leute fragen: «Kann der nichts anderes?»

Kann er?

Definitiv. Im zweiten Programm, «Helvetia’s Secret», ging es um Schweizer Eigenheiten. Um Dialekte, Kantönligeist, Traditionen. Das kam super an.

Sie werden noch immer mit dem Thema Rassismus in Verbindung gebracht. 

Darauf reduziert sogar, auch von den Medien. Ich kann einen ganzen Abend über alles Mögliche sprechen, herausgepickt werden die paar Sätze zum Rassismus. Oder ich gebe Interviews, die sich fast nur darum drehen.

Ertappt. Sie werden in eine Rolle gedrängt.


Das frustriert mich. Ich will ja über Rassismus reden. Aber nicht ständig und nicht nur. Als Künstler und Mensch habe ich mehr zu bieten. 


Nguela war nicht plötzlich da, er musste sich seinen Platz auf der Bühne erkämpfen. Sieben Jahre arbeitete er tagsüber als Sales- und Produktmanager, in der Freizeit als Comedian. Zeit zum Aufatmen blieb kaum, selbst nach dem Swiss Comedy Award. Irgendwann wurde die Belastung zu gross. «Ich musste mich entscheiden: Entweder schufte ich den ganzen Monat im alten Job oder mache für das gleiche Geld einen halben Monat Comedy.» 

Seit 2018 ist Nguela selbständig. Zwei Jahre lief es gut, dann kam Corona. Keine Buchungen, keine Auftritte, Zukunftsängste. Aber auch Zeit für sich. Die Möglichkeit, zu vertiefen, was ihm Spass macht. Er produzierte Videos für Firmen, drehte Werbespots und tüftelte an seinem dritten Programm: «r.e.s.p.e.c.t.». «In der Coronazeit haben wir den Respekt voreinander verloren – nun mache ich mich auf die Suche danach.»

Und dann erzählt er davon, sprudelnd und prustend. Plötzlich liegt er in seiner Stube wie ein Käfer auf dem Rücken. Die Hände vor dem Bauch verschränkt. Die Füsse baumeln zwischen Teppich und Sofa, in lila Socken mit gelben Bananen. Keine Sorge, es geht ihm gut. Er hat nur einen Lachanfall.  

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Jasmine Helbling, Redaktorin
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