Ein Spital ist ein Haus für Menschen», schrieb Le Corbusier 1964. Genützt hat es wenig: In den siebziger Jahren baute man Gesundheitsfabriken. Auch in Solothurn steht so ein Koloss, das Bürgerspital von 1974. Darin teilen sich bis zu zehn Patienten eine Nasszelle. Pflegestationen und Zimmer sind für heutige Bedürfnisse viel zu klein. Das ist aus zwei Gründen problematisch: Seit die Patienten freie Spitalwahl haben, lässt sich eine solche Klinik nicht mehr wirtschaftlich betreiben. Zudem macht sie uns noch kränker. Schlechte Architektur, das belegen zahlreiche Studien, ist gesundheitsschädigend.

In den nächsten 15 Jahren werden die Schweizer Spitäler 15 Milliarden Franken in die Erneuerung der Infrastruktur investieren. Der Kanton Solothurn etwa lässt sich sein neues Bürgerspital 340 Millionen Franken kosten. Fast in allen Kantonen sind Projekte in der Umsetzung oder in der Pipeline, ein regelrechter Bauboom. Und so böte sich jetzt die einmalige Chance, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Oder: So zu bauen, wie es den Bedürfnissen der Patienten entspricht. Doch: «Wir sind drauf und dran, diese historische Chance zu vergeben», sagt David Schwappach von der Stiftung Patientensicherheit Schweiz.

«Da sieht man krank aus im Spiegel»

In Solothurn ragen Kräne in den Himmel, der Rohbau ist eben fertig geworden. Sieben Stockwerke mit knapp 140 Zimmern. Um herauszufinden, wie sie aussehen sollen, hat man in einem Container einen Prototyp eingerichtet. Inzwischen ist man bei Musterzimmerversion vier, bald folgt Version fünf. Das Rot im Bad muss einer weniger aggressiven Farbe weichen. «Aber nicht Grün oder Blau», sagt Architekt Reto Gmür, «da sieht man krank aus im Spiegel.»

Wie bei den meisten Neubauprojekten von Schweizer Spitälern wird es auch in Solothurn nur noch Ein- und Zweibettzimmer geben. Das entspricht dem weltweiten Trend: Wenn sich weniger Patienten einen Raum teilen, sinkt das Infektionsrisiko dramatisch. Dank innovativem Grundriss haben beide einen Bereich für sich allein. Den Fenstern vorgehängt ist eine Konstruktion, die Tageslicht hereinlässt und zugleich Schatten spendet. Storen braucht es nicht mehr. Dieses Patientenzimmer könnte auch ein Hotelzimmer sein. Dafür sorgen helles Eichenparkett, hohe Räume und clevere Beleuchtung. In Solothurn, so scheint es, hat man Le Corbusier endlich gehört.

Schöne Aussicht, weniger Lärm

David Schwappach von der Stiftung Patientensicherheit ist allerdings nicht restlos zufrieden, er spricht von «Pflästerlipolitik». Bei der Patientensicherheit stehe die Schweiz nicht gut da. Er zitiert eine Studie, wonach es bei zwei bis acht Prozent der Hospitalisationen zu vermeidbaren Zwischenfällen komme. Man rechne mit 700 bis 1700 fehlerbedingten Todesfällen pro Jahr. Manche könnten durch bessere Architektur vermieden werden.

Das Wissen dafür ist vorhanden. Alle Studien, die sich mit «Healthcare Design» beschäftigen, kommen zum Schluss: Gute Architektur kann eine heilende Wirkung haben. Schon lange weiss man, dass eine Aussicht ins Grüne stressmindernd wirkt und somit den Genesungsprozess positiv unterstützen kann. Ebenso unbestritten ist, dass lange, dunkle Korridore Stürze provozieren und zu Orientierungslosigkeit führen. Ab einem gewissen Lärmpegel häufen sich zudem Fehler bei der Medikamentenvorbereitung. Und in Intensivstationen gibt es «tote Winkel» – wer in einem solchen liegt, hat ein höheres Sterberisiko.

«Für Brandschutz gibt es klare Verordnungen, warum nicht auch für Patientensicherheit?»

David Schwappach, Stiftung Patientensicherheit Schweiz

Das Problem: Die Wichtigkeit des Themas ist noch nicht bei den Entscheidungsträgern angekommen. «Bei uns hat noch nie eine Spital-Planungskommission oder ein Architekt angerufen», sagt Sicherheitsexperte David Schwappach. Oft herrsche Trubel in Räumen, wo die Pflege die Medikamente vorbereite, zudem sei das Licht schlecht. «Dabei findet dort ein hochbrisanter Prozess statt, bei dem richtig viel schiefgehen kann.»

Klar ist: Bei Spitalbauten müssen viele Anforderungen gleichzeitig erfüllt werden, die Entscheidungen sind so komplex wie  unübersichtlich. Je mehr da mitreden, umso teurer wird alles. Es geht also, wie so oft, ums Geld. Schwappach: «Die Rechnung für einen besseren Raum muss ein Spital sofort bezahlen, die Rechnung für die Folgen einer falschen Dosierung trägt die Gesellschaft.»

Schwappach plädiert für ein Umdenken. Man müsse Sicherheitsprobleme immer volkswirtschaftlich betrachten, nicht betriebswirtschaftlich. Bislang rechne es sich für ein Spital nicht wirklich, in Patientensicherheit zu investieren. Wenn ein Patient stürze und dann ins Pflegeheim müsse, habe das für das Spital keine finanziellen Auswirkungen. «Für die Gesellschaft ist es aber eine Katastrophe.» Deshalb fordert Schwappach mehr politischen Druck. Es brauche exakte und verbindliche Vorgaben, wie Neubauten sicherheitsmässig organisiert sein sollten. «Für Brandschutz gibt es klare Verordnungen, warum nicht auch für Patientensicherheit?»

Das macht ein gutes Spital aus
  • Einbettzimmer Je weniger Patienten sich einen Raum teilen, umso kleiner ist die Infektionsgefahr.
  • Platz für Angehörige Besuch ist wichtig: Darum stellen moderne Spitäler Übernachtungsmöglichkeiten für Angehörige zur Verfügung. Oder Lounges, in denen man sich ungestört treffen und austauschen kann.
  • Aussicht Wer vom Bett aus ins Grüne sieht, wird schneller gesund.
  • Orientierung In Spitälern sollte kein Gang an einer Tür enden: keine Labyrinthe, klare Beschilderung. Orientierungslosigkeit schafft Stress und begünstigt Stürze.
  • Sichtbarkeit Zimmer sollten so angelegt und eingerichtet sein, dass die Pflege stets alle Patientenim Blick hat.
  • Licht Tageslicht hilft bei der Orientierung. Ein dezentes Nachtlicht verhindert, dass andere Patienten beim Gang auf die Toilette gestört werden. Clevere Fassaden spenden Schatten, ohne dass das Zimmer – auf Kosten der Aussicht – abgedunkelt werden müsste.
  • Materialien Aus der Farbenlehre weiss man: Grün beruhigt, Rot macht nervös. Kontraste helfen bei der Orientierung.
Viel guter Wille, wenig Konkretes

Eine Umfrage bei zahlreichen Schweizer Spitälern, die sich mit Neubauprojekten beschäftigen, ergibt: Überall ist viel guter Wille vorhanden, konkrete Konzepte aber kann kaum jemand vorweisen. In Aarau projiziert man etwa einen Wald an die Decke des Raums, in dem Tomografien durchgeführt werden. Wer sich hier befindet, ist in der Regel gestresst: «Hoffentlich ist es nichts.» Die Aussicht ins virtuelle Grün soll beruhigen.

Die meisten Spitäler beschränken sich aber auf allgemeine Formulierungen. «Wir sind überzeugt, dass die räumliche Gestaltung eines Spitals, unter der Berücksichtigung der Prozessabläufe und Hygienevorschriften, Einfluss auf das Wohlbefinden hat und entsprechend unterstützend auf Patienten wirken kann», heisst es etwa beim Kantonsspital Schaffhausen.

Ähnlich klingt es beim Berner Inselspital oder bei den Unispitälern Basel und Zürich. Stets sind Planungsteams bemüht, räumliche Konzepte zu erarbeiten, die Ärzten und Pflegenden entgegenkommen und den Patienten schöne Aussichten und bestmöglichen Komfort bieten. Nirgendwo aber ist etwas von konkreten Richtwerten zum Beispiel für Lichtstärke oder Lärmpegel zu lesen.

Spital Solothurn

Das aggressive Rot wird noch ersetzt: Musterzimmer in Solothurn. Bild: Marco Zanoni

Quelle: Marco Zanoni
«Rot kann Angstzustände auslösen»

Auch auf dem Areal des Berner Inselspitals wird am Patientenzimmer der Zukunft getüftelt. Seit ein paar Wochen weiss man, wo Wände und Türen hinkommen, jetzt geht es um die Auswahl der Materialien. Arne Scheuermann redet bei diesen Fragen mit. Der Professor für Designtheorie ist Mitglied der interdisziplinären Fachgruppe Health Care Communication Design. Darin arbeiten seit 2007 an der Berner Fachhochschule Spezialisten aus Design, Pflege, Architektur und Management zusammen.

Scheuermann sagt: «Noch immer gilt in der Spitalarchitektur die Devise: Es soll primär gut aussehen und funktionieren.» Das Inselspital bilde hier eine Ausnahme. Nur selten habe eine Spitalleitung bereits von evidenzbasiertem Design gehört, in der Regel fange man in Gesprächen bei null an. Evidenzbasiert bedeutet, dass man einen gestalterischen Entscheid aufgrund von empirisch ermittelten Erkenntnissen trifft. So sollte in einem Patientenzimmer kein Boden verlegt werden, der Schwindel hervorrufen kann: keine groben Muster, keine starken Kontraste. An Demenz erkrankte Menschen könnten solche Böden als Loch wahrnehmen, stolpern oder einfach stehen bleiben.

«Es geht nicht darum, dass eine Architekturzeitschrift das Gebäude lobt.»


Arne Scheuermann, Designtheoretiker

Scheuermann predigt Dinge, die eigentlich sofort einleuchten: Die Decke soll hell sein, der Boden dunkel, grelle Farben sollen vermieden werden. «Bei Traumapatienten kann Rot Angstzustände auslösen.»

In Spitälern könne man mit kleinen gestalterischen Massnahmen, die den Menschen ins Zentrum stellen, eine grosse Wirkung erzielen, sagt Scheuermann. Im Wartebereich eines Notfallzentrums können zum Beispiel dunkle Böden, begrünte Wände und fliessendes Wasser die Wartenden beruhigen.

Es gehe nicht darum, dass eine Architekturzeitschrift das Gebäude lobt, sagt Scheuermann. «Der Outcome ist wichtig, das Resultat.» Wer etwa die Wege für die Pflegenden verkürzt, mindert deren Stress. Davon profitieren schliesslich auch die Patienten.

«Aber die Widerstände sind gross», sagt Scheuermann. Die Spitäler seien eben gewohnt, viel Geld in Technik zu investieren. Dabei spiele es keine Rolle, ob eine Wand weiss oder gelb werde: «Der Farbtopf bleibt gleich teuer.» Scheuermann ist überzeugt: Angemessenes Design kann dazu beitragen, dass die Kosten im Gesundheitswesen nicht weiter explodieren. Etwa, indem die Liegedauer reduziert wird.

Kinderspital Zuerich

Holz, Grün, Licht: geplantes Zürcher Kinderspital der Architekten Herzog & de Meuron. Bild: Herzog & de Meuron

Quelle: Herzog & de Meuron
Bloss keine Fernbedienung

Unterstützung bekommt Scheuermann von einem Pionier des Healthcare Design. Roger Ulrich von der Technischen Hochschule Chalmers in Göteborg gilt als eigentlicher Erfinder der Disziplin. Basierend auf seinen Forschungen, wurden in den letzten Jahren weltweit Hunderte Millionen Franken in neue Spitäler investiert.

Als er 1989 das Thema an einer Konferenz in San Francisco erstmals vorstellte, gab es praktisch keine Forschung dazu. «Das war alarmierend», sagt Ulrich, «also machten wir uns auf, diese Lücke zu füllen.» Inzwischen herrsche ein Konsens darüber, dass etwa Stress einen Einfluss hat auf das Immunsystem, das Schmerzempfinden und die Wundheilung. Die Frage müsse also lauten: Wie kann ich mit Design Stress verhindern?

Drei Punkte seien zentral. Erstens: Ein Patient benötigt Unterstützung aus seinem sozialen Umfeld. Familienangehörige brauchen deshalb uneingeschränkte Besuchsmöglichkeiten im Spital. Zweitens: Patienten müssen mehr Kontrolle haben. Wer krank ist, kann nicht arbeiten, muss schmerzhafte Behandlungen über sich ergehen lassen, es wird ihm gesagt, was er essen darf. Kurz: Die Situation ist schlimm genug, es braucht nicht noch komplizierte Prozesse oder Fernbedienungen für Licht und technische Geräte. Und drittens: positive Ablenkung. Eine gute Aussicht ins Grüne, beruhigende Farben an der Decke oder Bildschirme, die Naturfilme zeigen. «Patienten, die im Garten sitzen, geht es viel besser als jenen, die auf einen Parkplatz starren», sagt Roger Ulrich. Das klinge banal. Doch der Forschung sei es erst vor wenigen Jahren gelungen, diese These zu beweisen.

«Die Frage muss lauten: Wie kann ich mit Design Stress verhindern?»


Roger Ulrich, Architekturprofessor

«Wer in Patientensicherheit investiert, spart ganz klar Geld», sagt Architekturprofessor Roger Ulrich. Es zahle sich relativ schnell aus. Am meisten gibt ein Spital für das Personal aus und für die Behandlungen. Investitionen in die Infrastruktur fallen kaum ins Gewicht. Oder nur dann, wenn am falschen Ort gespart wird. «Das Irrationalste, was man machen kann, ist, ein möglichst günstiges Spital zu bauen», sagt Ulrich. Spätestens nach 30 Jahren zahle man drauf: Die Ärzte gehen, die Patienten werden nicht gesund. Deshalb seien in den USA, wo dem Thema ein viel höherer Stellenwert eingeräumt wird, die meisten Finanzverantwortlichen in Spitälern begeisterte Fürsprecher von gescheitem Healthcare Design.

In ein paar Jahren wird die Schweizer Spitallandschaft anders aussehen. Optisch besser, kein Zweifel. Mancherorts werden die Spitäler in die Selbständigkeit entlassen, privatisiert. Wenn man in einem Wettbewerb steht, muss man auffallen. Zum Beispiel mit guten Bauten. Das neue Zürcher Kinderspital etwa wird von den Stararchitekten Herzog & de Meuron geplant: viel Holz, viel Grün, viel Licht.

Noch befinden sich viele Klinikneubauten in der Projektphase. Gut möglich, dass Fragen der Patientensicherheit da und dort noch mehr Gehör verschafft wird.

Spezialisten nicht gefragt

In Solothurn lässt man den Vorwurf nicht gelten, man vernachlässige die Patientensicherheit. Es gebe im Planungsteam viel Erfahrung auf diesem Gebiet, sagt Architekt Reto Gmür. Das Team besteht aus Medizinplanern, Projektleitern des Spitals und dem Bauherrn. Man habe sich bewusst entschieden, keine weiteren Fachleute aufzunehmen. «Denn das Problem an solchen Experten ist, dass sie nicht über den Gesamtblick verfügen.» Wer sich nur für einen Aspekt starkmache, verliere den Blick fürs Ganze. Das führe zu schlechten Lösungen.

Es gehe darum, die drei Hauptanforderungen an die Architektur gegeneinander abzuwägen, sagt Reto Gmür, in Anlehnung an den römischen Architekten Vitruv: firmitas, utilitas und venustas. Festigkeit, Nützlichkeit und Schönheit müssten in Einklang gebracht werden. Er ist sich sicher: «Beim Bürgerspital wird uns das gelingen.»