Eine Schale Tampons liegt in dem Räumchen direkt neben dem Pissoir. Dahinter eine Kabine mit Toilette. Im veganen Restaurant Dar mitten in Zürich gehen Gäste aufs All-Gender-WC. Ähnlich sieht es seit ein paar Jahren im Luzerner Hotel-Restaurant Anker aus. Die Betreiber setzten sich beim Umbau über die Vorschriften hinweg und bauten ausschliesslich Unisex-Toiletten – sieben Kabinen und ein gemeinsames Lavabo.

«Genderwahn», empörten sich Horden von Internetkommentatoren. Doch WCs für alle setzen sich nicht nur in der Hipster-Gastronomie durch. Bildungseinrichtungen wie die Hochschule Luzern, die Zürcher Kantonsschule Enge, aber auch das Zürcher Stadthaus ziehen mit. In Luzern und Zürich sollen künftig sogar alle Schulen mit Unisex-WCs und geschlechterneutralen Garderoben ausgestattet werden. Die Luzerner Regierung hat zudem ihre Gastgewerbeordnung angepasst. Wirte müssen ihre Toiletten nicht mehr nach Geschlechtern trennen. Die gemeinsamen WCs im Hotel Anker dürfen bleiben.

Ein fortschrittlicher Entscheid. Und eine Lösung, die in Skandinavien schon seit Jahren gang und gäbe ist. Dort besuchen Männer und Frauen vielerorts dasselbe WC. Für Aufregung sorgt das nicht.

«Sicherer Ort zum Pinkeln»

Auch der Schweiz tut die Flexibilität beim stillen Örtchen gut. Denn was den meisten nach einer kurzen Eingewöhnungsphase kaum noch auffällt, entlastet jene, die sich bisher weder dem einen noch dem anderen Raum zugehörig fühlten. Der kanadische Schriftsteller und LGBT-Anwalt Ivan Coyote sagt es so: «Es gibt ein paar Dinge, die wir alle brauchen. Luft zum Atmen, Wasser, Essen, Liebe – und wir alle brauchen einen sicheren Ort zum Pinkeln.» Als Transmensch sei er bisher am ehesten in öffentlichen Toiletten und Umkleideräumen belästigt worden.

«Sind separate WCs nicht auch zum Schutz der Frauen da?», fragen mich immer wieder männliche Kollegen. «Damit sie nicht auch noch auf dem WC dumm von Männern angemacht werden?» Vielleicht ein Problem, das sich durch gemeinsame Toiletten sogar reduzieren könnte – weil mehr Betrieb herrscht.

Andere Männer klagen, dass sie bei gemeinsamen Toiletten unter Umständen einige Minuten länger anstehen müssten, um ihr Geschäft zu verrichten. Weil sich die Geschäfte aber auf gemeinsamen WCs wohl auf mehr Kabinen verteilen, dürfte diese Verzögerung nur minim ausfallen. Und zur Beruhigung: An den meisten Orten haben die Gäste immer noch die Wahl. Die genderneutralen Kabinen werden zusätzlich zu den Männer- und Frauen-WCs gebaut.

Kleine Mädchen begleiten

Die Meckerer lassen zudem die Vorteile für sich selbst ausser Acht. Neben dem offensichtlichen Plus – alle werden inkludiert, niemand muss sich bei der Wahl der Toilette mehr unwohl fühlen – können mit genderneutralen WCs auch die Männer endlich die kleine Tochter oder Enkelin im Restaurant aufs WC begleiten, ohne sich fragen zu müssen: Wo werde ich doofer angeschaut – wenn ich das Mädchen aufs Herren-WC bringe oder wenn ich vor der WC-Kabine in der Frauentoilette warte? Zu hoffen wäre, dass sich mit genderneutralen WCs auch das Wickelproblem – in den meisten Männer-WCs gibt es keine Wickeltische – lösen wird.

Im Luzerner «Anker» zeigten die Unisex-Klos noch einen weiteren Vorteil: Seit der Einführung der gemeinsamen Toiletten hätten sich die Männer alle die Hände gewaschen – «wegen der sozialen Kontrolle» am gemeinsamen Waschtisch.

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