Am Ende war es deutlicher als gedacht: Ab 2026 wird es eine 13. AHV-Rente beziehungsweise 8,3 Prozent mehr pro Monat für die Pensionierten geben. Es ist ein Triumph für Pierre-Yves Maillard, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds, und ein historischer Sieg für die Linke.

Lange hiess es, sie habe eine Vetomacht bei Volksabstimmungen über die Sozialversicherungen. Doch mit der Erhöhung des Rentenalters der Frauen, die gegen den Willen der Linken beschlossen wurde, schien es damit vorbei. Und nun das: Eine linke Volksinitiative zum Ausbau des Sozialstaats wird erstmals angenommen – gegen den Willen von Bundesrat, Parlamentsmehrheit und Wirtschaft. 

Kolossale Fehleinschätzung

Zeitenwende ist vielleicht ein zu grosses Wort für das, was am 3. März 2024 geschehen ist. Aber an diesem Tag ist sichtbar geworden, dass sich in der Schweizer Stimmbevölkerung etwas verändert hat. Im September 2016 war die «AHVplus»-Initiative der Gewerkschaften, die die AHV-Renten um 10 Prozent erhöhen wollte, noch mit rund 60 Prozent Nein-Stimmen gescheitert. Wenn früher die Arbeitgeber im Vorfeld einer Abstimmung vor zu hohen Belastungen der Unternehmen warnten, konnte man fast davon ausgehen, dass die Sache gelaufen war. Das gilt nicht mehr.

Dass sich etwas in der Gesellschaft verschoben hat, liess sich schon bei der Konzernverantwortungsinitiative beobachten, die nur am fehlenden Ständemehr scheiterte. Die Bürgerlichen im Parlament vertrauten dennoch darauf, dass die 13. AHV-Rente am Ende doch chancenlos wäre und es keinen Gegenvorschlag brauche – eine kolossale Fehleinschätzung. 

Die Initiative war auch erfolgreich, weil das Timing stimmte. Die Inflation ist zurück, die Mieten sind gestiegen, die Krankenkassenprämien sowieso, und während der Corona-Jahre und beim Untergang der Credit Suisse wurde deutlich, dass der Staat sehr viel Geld zur Verfügung stellen kann, wenn er nur will. Ausserdem sinken seit Jahren die Umwandlungssätze und damit die Renten der Pensionskassen. Warum also nicht einmal etwas für Rentnerinnen und Rentner tun?

Die Macht der Babyboomer

Hinzu kommt, dass die Pensionierten und diejenigen, die in den nächsten Jahren in Rente gehen, rein zahlenmässig immer mächtiger sind und auch häufiger abstimmen als die Jüngeren. Und anders als bei früheren Generationen scheint die Bereitschaft der Babyboomer gering, selbst dann noch den Empfehlungen von Bundesrat und Wirtschaft zu folgen, wenn es den eigenen Interessen eigentlich widerspricht. Die Empfehlung einiger alt Bundesräte, mit Nein zu stimmen, dürfte ziemlich kontraproduktiv gewesen sein.

Es war ein geschickter Schachzug der Initianten, offenzulassen, wie die 13. AHV-Rente finanziert werden soll – so bot sie weniger Angriffsfläche. Bei der Frage, wie die Rentenerhöhung bezahlt werden soll, dürfte es dafür umso heftiger werden. Die Linke ist für höhere AHV-Beiträge, da sie den Umverteilungseffekt der ersten Säule weiter verstärken: die Reichen zahlen mehr, als sie bekommen, und die grosse Mehrheit profitiert. Der Widerstand der Bürgerlichen und der Wirtschaft dagegen ist ebenso klar. 

Mehrwertsteuer? Finanztransaktionssteuer?

Eine höhere Mehrwertsteuer träfe alle, auch die Pensionierten, hätte aber den Nachteil, dass sie Ärmere tendenziell stärker spüren – was eigentlich nicht Sinn dieser Rentenerhöhung sein kann.

Eine sogenannte Finanztransaktionssteuer, bei der das Traden an den Börsen besteuert würde, dürfte für viele erst einmal sympathisch klingen, hätte aber ein praktisches Problem: Wie will man verhindern, dass sich diese Geschäfte einfach in andere Länder verlagern? Nichts ist so globalisiert wie die Finanzströme.

Bessere Chancen für Erbschaftssteuer

Besser wäre eine Erbschaftssteuer auf Bundesebene. Es gibt erste Politikerinnen und Politiker, die das nun fordern. Bisher sind Erbschaftssteuern Sache der Kantone, die sich in der Vergangenheit einen Wettkampf um die besten Bedingungen für reiche Erben geliefert und die Erbschaftssteuern gesenkt haben. Eine nationale Lösung könnte das korrigieren. 

Klar, im Jahr 2015 wurde eine entsprechende Volksinitiative mit 71 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt. Aber es wäre Zeit für einen neuen Anlauf, denn nun muss man zwischen verschiedenen Möglichkeiten wählen. Wenn eine Erbschaftssteuer höhere Lohnabzüge oder eine höhere Mehrwertsteuer verhindern würde, wäre das für viele wohl attraktiver als 2015, wo der Nutzen für die AHV relativ abstrakt war.

Ökonomisch gilt eine Erbschaftssteuer als effizient und gerecht. Sie belastet weder Arbeitnehmer noch die Unternehmen, sie bremst auch nicht den Konsum. Und wenn man den Freibetrag hoch genug wählt, betrifft sie wirklich nur sehr grosse Erbschaften. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung könnte davon ausgehen, dass sie diese Steuer nie zahlen müsste. Allerdings wäre dafür eine Menge Überzeugungsarbeit nötig, denn Erben ist für viele vor allem eine emotionale Sache. 

Ein Fiasko für die Renteninitiative

Die Renteninitiative der Jungfreisinnigen hätte ihren Teil zur Finanzierung der nun beschlossenen Rentenerhöhung beitragen können. Die Initianten konnten zwar nie mit einer Mehrheit rechnen, doch dass drei von vier Abstimmenden gegen ein höheres Rentenalter sind, das ist ein Fiasko. Hier war – neben dem ungeschickten Fokus auf das Alter statt der Lebensarbeitszeit – sicher das Timing ein Problem, da gerade erst das Rentenalter der Frauen erhöht wurde.

Spätestens 2026, wenn der Bundesrat ohnehin ein Konzept für die Finanzierung der AHV über das Jahr 2030 hinaus vorlegen muss, dürfte die Debatte jedoch wieder geführt werden. Bis dahin wird sich zeigen, ob die Initiative das Thema nun neu lanciert hat, wie die Initianten es darstellen, oder ob es mit diesem Abstimmungsergebnis definitiv erledigt ist, wie die Linke frohlockt. 

Allerdings scheint die Zeit eher für ein höheres Rentenalter zu arbeiten. Nicht nur, weil die Geldsorgen der AHV weiter wachsen werden – der letzte Babyboomer-Jahrgang geht erst 2029 in Rente. Sondern auch, weil es gleichzeitig immer mehr Pensionierte bei Abstimmungen geben wird. Sie wären von einem höheren Rentenalter nicht betroffen, würden aber unmittelbar und gratis davon profitieren, dass die Finanzierung der AHV gesichert bleibt. Und das wäre ein sehr starkes Motiv.