Fredi Schnider aus Igis GR fehlen noch immer die Worte. Ende März gab seine Familie in der Lokalzeitung eine Todesanzeige auf. Einen Tag später erhielt er ein persönlich anmutendes Kondolenzschreiben. «Zum Heimgang Ihrer lieben Mama Anni möchte ich Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen.»

Den Brief verfasst hatte ein Mitglied der Zeugen Jehovas. Der Mann berichtet, wie er den Verlust seiner eigenen Frau betrauere und die Gefühle der Trauernden nachvollziehen könne. Weiter schreibt er: «Möchten Sie bitte einen Blick in das beigelegte Traktat werfen, das uns einige Gedanken der Hoffnung und des Trostes vermittelt über die von unserem himmlischen Vater Jehova Gott versprochene Zukunft ohne Seuchen, Krankheit, Leid, Schmerz und Tod.»

«Keinesfalls Werbung» 

Der Brief enthielt auch einen Hinweis auf die Website der Zeugen Jehovas, zudem waren zwei Broschüren beigelegt. Fredi Schnider sagt dazu: «Wir waren wirklich sehr entsetzt, als uns klar wurde, dass der Absender einer Sekte angehört.»

Für die Zeugen Jehovas ist diese Reaktion unverständlich. Es handle sich um ein Kondolenzschreiben einer Privatperson, die nur ihr Mitgefühl habe zum Ausdruck bringen wollen. «Wenn ich solch nette Zeilen von jemandem erhalten würde, wäre ich persönlich gerührt – unabhängig davon, welcher Religion der Verfasser des Briefes angehört», sagt ein Sprecher. Es handle sich keinesfalls um Werbung. Es sei weder eine Mitgliedschaft angeboten noch um Spenden gebeten worden.

Sogar handgeschriebene Briefe

Es komme häufiger vor, dass die Zeugen Jehovas Trauernde anschrieben, sagt Susanne Schaaf von der Beratungsstelle Infosekta. «Die Zeugen Jehovas gehen davon aus, dass sich die Menschen nach der bevorstehenden Endschlacht Gottes wiedersehen, sofern sie getaufte Zeugen sind. Diese empfundene Gewissheit eines Wiedersehens mit den Verstorbenen möchten sie der Trauerfamilie ungefragt näherbringen.» Das könne die angeschriebenen Trauerfamilien stark aufwühlen.

Die Zeugen Jehovas benützten seit Beginn der Pandemie generell mehr persönliche Briefe, um Kontakt aufzunehmen, berichtete kürzlich die «NZZ am Sonntag». Laut Susanne Schaaf sind viele dieser Briefe sogar handschriftlich verfasst; damit wolle man die Aufmerksamkeit erhöhen.

Der Brief an Fredi Schnider

Kondolenzschreiben eines Zeugen Jehovas
Quelle: ZVG
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