Der Handel wäre einfach gewesen: «Mein Mann und ich hätten auf den Philippinen oder in Thailand problemlos ein Kind kaufen können», sagt Brigitte Anderhalden aus Lachen SZ. Carlo wurde ihnen schliesslich über eine Adoptionsstelle vermittelt. Der Knabe stammt aus Indien.

In der Schweiz bleibt jedes sechste Paar ungewollt kinderlos – und jedes zehnte versucht sich diesen Wunsch auf medizinischem Weg zu erfüllen. Oft erfolglos: Nur rund 20 Prozent der In-vitro-Fertilisationen führen zu einer Schwangerschaft.

Bleibt noch die Adoption. Viele Paare suchen ihr Familienglück im Ausland und wenden sich an eine der rund 20 anerkannten Vermittlungsstellen in der Schweiz. Diese sind auf einer Liste des Bundesamts für Justiz zu finden.

Die Kontrollen sind zu lasch
Doch was derart seriös daherkommt, ist nicht mehr als eine simple Zusammenstellung. Der Bund verfügt nämlich weder über eine Zentralstelle für Auslandsadoptionen noch über genaue Zahlen. Die Bewilligung für ihre Tätigkeit erhalten die Vermittlungsstellen vom jeweiligen Standortkanton. Mit dessen Segen darf eine Institution Kinder aus bestimmten Ländern in der ganzen Schweiz vermitteln.

Uber die Qualität der oft ehrenamtlich geführten Vermittlungsstellen sagt die Liste nichts aus. Je nach Kanton werden die Kriterien für die Bewilligung jedoch sehr unterschiedlich ausgelegt. So werden die Vermittlungsstellen in den Kantonen Bern und Zürich strenger kontrolliert als in anderen Kantonen.

Eine anerkannte Vermittlungsstelle bietet keine Gewähr für eine reibungslose Adoption. Diese Erfahrung mussten auch Brigitte und Kurt Anderhalden machen. Die Vermittlungsstelle teilte dem Paar mit, dass ihr künftiger Adoptivsohn eine Augenentzündung habe. Bei der Ankunft in der Schweiz stellte sich jedoch heraus, dass Carlo an einer unheilbaren Augenkrankheit leidet und – selbst für Laien offensichtlich – praktisch blind ist.

«Es besteht ein Nachfragedruck»
Wegen solcher Fehlleistungen haben sich 1998 neun Vermittlungsstellen, unter ihnen Terre des hommes und die Schweizerische Fachstelle für Adoption, zur Konferenz der Adoptionsvermittlungsstellen der Schweiz (KAVS) zusammengeschlossen. Eine für die Mitglieder verbindliche Charta soll Missbräuche und fragwürdige Geschäfte bei Adoptionen verhindern.

«Ein notwendiger Schritt», sagt KAVS-Präsidentin Marlène Hofstetter, «denn es besteht ein Nachfragedruck auf die Vermittlungsstellen.» Deutlich mehr Paare möchten adoptieren, als die Vermittlungsstellen Kinder anbieten können. Hofstetter: «Doch wir suchen Eltern für Kinder, nicht Kinder für Eltern.»

Die von der KAVS formulierten ethischen Mindeststandards für internationale Adoptionen können oder wollen nicht alle in der Schweiz anerkannten Vermittlungsstellen erfüllen. Einzelne Institutionen, die sich um eine Aufnahme bemühten, wurden abgelehnt, andere verzichteten von sich aus auf die Mitgliedschaft.

Mit Sicherheit keine Chance für eine Aufnahme in die KAVS hätte der New Yorker Anwalt Michael S. Goldstein. In einem Vortrag in Zürich erzählte er den rund 50 Zuhörerinnen und Zuhörern, wie einfach und schnell sich ein Kleinkind aus den USA adoptieren lässt.

Dank seiner Vermittlung, so der «Adoptionsanwalt» und «Sozialarbeiter», lassen sich in den USA werdende Mütter finden, die ihre Kinder schon vor der Geburt zur Adoption freigeben. Ein kurzes telefonisches Interview mit dem Anwalt genüge, und schon mache sich dieser auf die Suche nach einer geeigneten Mutter.

Ein weiteres Telefonat zwischen der leiblichen Mutter und den künftigen Adoptiveltern besiegelt schliesslich den «Handel»: Der leiblichen Mutter bleiben nur drei Tage, um ihren Entscheid zu widerrufen. In der Schweiz beträgt diese Frist drei Monate.

«Glücksbringer» ohne Ethik
Von ethischen Bedenken lässt sich Goldstein offensichtlich nicht irritieren. Auf die – fingierte – Anfrage eines angeblich 47-jährigen Ehepaars, dem das Prozedere in der Schweiz zu lange dauere, antwortete der Anwalt innert 24 Stunden mit konkreten Angaben zum Ablauf der von ihm vermittelten Adoptionen. Grundtenor: «No problem.» Vom Beobachter mit einigen unangenehmen Fragen zu seiner Praxis konfrontiert, wollte der selbst ernannte Glücksbringer (Motto: «Träume werden wahr») keine Stellung nehmen.

Wer nach schwarzen Schafen unter den Vermittlungsstellen sucht, stösst auf eisernes Schweigen. «Sie werden von mir nichts Negatives über diese Frau hören», sagt eine Mutter, deren Adoptivkind wesentlich älter war als von der Vermittlerin angegeben. «Ich verdanke ihr meine Tochter.»

Schmieren hilft beim Kinderkauf
In der Adoptionsszene kursieren auch Gerüchte, dass grosszügige Geldspenden an ausländische Kinderheime den Adoptionsprozess positiv beeinflussen können. Doch Beweise fehlen, und auch Fachleute sind kaum bereit, Namen und Vorkommnisse zu nennen.

«In den meisten Fällen sind die Vermittlungsstellen ernsthaft bemüht, dem Kind ein besseres Leben zu ermöglichen», sagt die Psychologin und Adoptionsspezialistin Sabine Högger-Maire. Es gebe aber in der Schweiz durchaus Vermittlungsstellen, bei denen «die Verbindung von Spenden und Adoptionskosten sehr eng» sei, so Högger-Maire. «Ich rate den Eltern, sich die Kosten genau aufschlüsseln zu lassen.»

Hellhäutig, höchstens ein paar Monate alt, gesund: Paare, die derart konkrete Vorstellungen von ihrem künftigen Adoptivkind haben, müssen sich auf eine lange Wartezeit einstellen. Seriöse Vermittlungsstellen geben keine Garantie, dass der Kinderwunsch in Erfüllung geht. Zudem setzt sich in «klassischen» Herkunftsländern wie zum Beispiel Indien, Brasilien oder Kolumbien immer mehr die Erkenntnis durch, dass für Kinder, die zur Adoption freigegeben werden, zuerst im eigenen Land eine Lösung gesucht werden muss.

Viele Kinder sind traumatisiert
In Indien etwa werden bereits rund 60 Prozent der Kinder durch einheimische Paare adoptiert. Für eine Auslandsadoption werden Kinder oft erst freigegeben, wenn sich in ihrer Heimat keine «neuen» Eltern für sie finden – weil sie vielleicht schon fünf oder acht Jahre alt sind, eine dunkle Hautfarbe haben oder krank sind. Solche Kinder sind oft traumatisiert, was die Integration in eine neue Familie in einem fremden Land schwierig macht.

Nicht alle kinderlosen Paare wollen dieses Risiko eingehen – oder sich bei einer Adoptionsvermittlungsstelle mit unangenehmen Fragen konfrontieren lassen. Sie versuchen auf eigene Faust, im Ausland ein Kind zu finden.

Organisierter Kinderhandel
Rund 500 bis 600 ausländische Kinder werden jährlich von Schweizer Paaren adoptiert. Die in der KAVS zusammengeschlossenen Institutionen organisieren jährlich zirka 110 Auslandsadoptionen. Da fast die Hälfte aller anerkannten Vermittler KAVS-Mitglieder sind, gehen Fachleute davon aus, dass mindestens 30 Prozent aller Adoptiveltern selber gesucht und gefunden haben. Das ist legal, öffnet aber unlauteren Geschäftemachern und fragwürdigen Praktiken Tür und Tor.

Zwar haben einige der wichtigsten Herkunftsländer – allen voran Brasilien – in den vergangenen Jahren die Bedingungen für Auslandsadoption wesentlich verschärft und sind dem Haager Ubereinkommen zum Schutz des Kindes beigetreten. Dennoch gibt es nach wie vor Länder, in denen Fachleute einen mehr oder weniger organisierten Handel mit Kindern vermuten oder sogar nachweisen können.

«Privatadoptionen sind problematisch, weil sie schwierig zu überwachen sind», urteilt denn auch KAVS-Präsidentin Marlène Hofstetter. «Oft spielen sie sich im Herkunftsland des Kindes in einer rechtlichen Grauzone ab.»

Zum Beispiel Rumänien. Das osteuropäische Land machte nach dem Ende des Ceaucescu-Regimes seine Tore für adoptionswillige Paare mit genügend Kleingeld weit auf. Allein zwischen August 1990 und Juli 1991 wurden rund 10000 rumänische Kinder von Paaren aus westlichen Ländern adoptiert.

Auch Schweizerinnen und Schweizer profitierten vom schnellen Geschäft mit Kindern: Das Bundesamt für Ausländerfragen erteilte in diesen beiden Jahren 154 respektive 137 Einreisebewilligungen für rumänische Adoptivkinder. Nach der Verschärfung des rumänischen Adoptionsrechts sank die Zahl wieder auf rund 30 Bewilligungen pro Jahr.

Der Handel mit Kindern bewog unter anderem Terre des hommes, die Vermittlungstätigkeit einzustellen. 1998 unternahm das Kinderhilfswerk einen weiteren Versuch, zog sich aber bereits nach wenigen Monaten wieder zurück.

«Die vom rumänischen Staat bewilligten Adoptionsvermittlungsstellen verstehen ihre Aufgabe vor allem in der Devisenbeschaffung», kritisiert die Psychologin Marlène Hofstetter. «Für die Vermittlung eines gesunden Kindes werden bis zu 15000 Dollar verlangt.»

25'000 Dollar für ein Kind
Noch dreister gehen die Vermittler von Adoptivkindern in Guatemala vor. In einer Ende März erschienenen Studie schreibt die Uno-Expertin Ofelia Calcetas-Santos in ungewohnt undiplomatischen Worten, dass «in Guatemala ein gross aufgezoge-ner Handel mit Babys und Kleinkindern existiert».

Kinder würden «regelrecht für die Adoption produziert», stellt die Menschenrechtsspezialistin fest. «Das Wohl des Kindes wird oft völlig ignoriert, und die Adoption wird zu einer rein geschäftlichen Transaktion.» Ein Riesengeschäft für die Vermittler: Die Adoption eines Kleinkindes kostet laut Ofelia Calcetas-Santos bis zu 25'000 Dollar.

Zwar vermittelt keine der anerkannten Schweizer Institutionen Kinder aus Guatemala. Dennoch erscheinen in der Statistik des Bundesamts für Ausländerfragen immer wieder Einreisebewilligungen für Kinder aus dem mittelamerikanischen Staat, die «im Hinblick auf eine spätere Adoption» erteilt werden: So suchten beispielsweise 1997 neun Schweizer Paare ihr Glück bei einer einschlägigen guatemaltekischen Anwaltskanzlei.

Eine wahre Fundgrube für adoptionswillige Paare mit grossem Geldbeutel und ohne moralische Skrupel ist auch das Internet. Dort finden sich unzählige – vorwiegend amerikanische – Websites, auf denen frischgebackene Adoptiveltern einander freimütig erzählen, auf welch verschlungenen Pfaden sie in Russland oder China zu ihren Kindern gekommen sind. Wenn die entsprechenden Papiere vorhanden sind, steht dieser fragwürdige Weg auch Schweizer Paaren offen.

Die Konferenz der Adoptionsvermittlungsstellen der Schweiz möchte solche ethisch fragwürdigen Praktiken wie auch Privatadoptionen insgesamt am liebsten verbieten lassen.

Bislang ohne Erfolg. Bei den Beratungen über die Ratifizierung des Haager Ubereinkommens zum Schutz des Kindes kam das Thema im Ständerat nicht einmal zur Sprache. Bereits die vorberatende Kommission hatte es abgelehnt, einen entsprechenden Passus ins Gesetz aufzunehmen.

Für die Adoptionsspezialistin Sabine Högger-Maire reichen Gesetze ohnehin nicht aus. Paare, die sich auf ein solches Geschäft einlassen, müssten sich eine einfache Frage stellen, findet sie: «Können wir unserem Adoptivkind noch in die Augen schauen, wenn es fragt, ob wir es gekauft haben?»