Wie ist das möglich? Da produziert jemand zahlreiche Fehlleistungen und kassiert von mittellosen Asylsuchenden und Ausländerinnen 1'000 bis 2'000 Franken im Voraus, schreibt dafür chancenlose Beschwerden und ist bei Beratungsstellen, Behörden und Gerichten seit Jahren als problematischer Rechtsberater bekannt. Doch niemand schreitet ein.

Vernichtende Urteile über Ilg

Martin Ilgs Büro liegt zentral am Zürcher Bellevue. Dort empfängt der Mann, der weder ein Rechtsanwaltspatent besitzt noch ein Jus-Studium abgeschlossen hat, Asylsuchende, die grosse Hoffnungen und oft ihr letztes Geld auf ihn setzen. «Öffnungszeiten 13.00-16.00» steht an der Tür an der Rämistrasse 5.

Die Bundesrichter fanden mehrmals deutliche Worte zu Ilgs Arbeit. «Die Art der Prozessführung durch den Vertreter des Beschwerdeführers grenzt an Trölerei», schrieben die höchsten Schweizer Richter in mehreren Entscheiden. Oder: «Gestützt auf die publizierte und über Internet zugängliche Rechtsprechung war die vorliegende Eingabe zum Vornherein aussichtslos.» Die Konsequenzen haben wieder die Asylsuchenden zu tragen: Obwohl mausarm, müssen sie auch die Gerichtskosten zahlen, weil die Beschwerden klar chancenlos sind. In den letzten sechs Jahren hatte keine von Ilgs 32 Beschwerden ans Bundesgericht Erfolg. Die Abweisungen erfolgten deutlich und schnell. Zweimal irrte sich Ilg sogar im Rechtsmittel, machte Beschwerden, wo gar keine möglich sind.

Ilgs zweifelhafte Arbeit musste auch Abu di Bongo (Name geändert) erleben. Für den Staatsangehörigen der Elfenbeinküste reichte der Rechtsberater bei der Asylrekurskommission eine fehlerhafte Beschwerde ein. Er richtete sie gegen einen Nichteintretensentscheid, dabei war das Asylgesuch schon abgewiesen worden. «Ein klarer juristischer Fehler», sagt dazu der Zürcher Rechtsanwalt Marc Spescha, Spezialist im Ausländerrecht. Ilg meint: «Das war ein offensichtliches, leicht korrigierbares Versehen. Dieses hat sich nicht nachteilig ausgewirkt.» Richtig: Die Richter behandelten die Beschwerde nicht, weil der Asylbewerber keinen Kostenvorschuss leisten konnte. Es bleibt damit aber völlig offen, wie das Gericht auf die fehlerhafte Beschwerde reagiert hätte.

Oder Kasem Mamuti: Der Kosovare legt Rechtsberater Ilg 2'000 Franken bar auf den Tisch, damit dieser gegen sein abgewiesenes Asylgesuch vorgehe. Ilg stellt zwei Wiedererwägungsgesuche. «Diese waren aber völlig aussichtslos. Insofern hat Ilg wertloses Papier produziert», sagt Sabine Biland vom Schweizerischen Roten Kreuz des Kantons Zürich.

Ilg bestreitet auch dies. Die Wiedererwägungsgesuche hätten gute Chancen gehabt, weil er neue Belege für Mamutis Insulinbedarf und für die Integration in der Schweiz beigebracht habe. Schade, dass die Gerichte diese Einwände schon lange zuvor abschliessend geprüft und verworfen hatten. «Da war von Anfang an nicht der Hauch einer Chance für ein Wiedererwägungsgesuch», meint Spezialist Spescha.

Zum Vorwurf, viel Geld zu kassieren und nur chancenlose Eingaben zu schreiben, meint Ilg: «Meine Beschwerden erreichen meist ihren Zweck, und wenn es nur Zeitgewinn ist. In letzter Zeit habe ich bei den verschiedensten Instanzen 119 positive Entscheide erwirkt, darunter herausragende wie beispielsweise eine Gutheissung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg.»

Sanktionen sind schwierig

Bleibt die Tatsache, dass selbst das Bundesamt für Migration Ilg als «problematischen Rechtsberater» kennt, wie die Mediensprecherin Brigitte Hauser-Süess bestätigt. Asylberatungsorganisationen warnen seit Jahren vor ihm: «Klagen über Martin Ilg sind bei uns notorisch», meint Jürg Schertenleib, Leiter des Rechtsdienstes der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. «Er macht das Geld mit den Hoffnungen der Hoffnungslosen.» Er schreibe Eingaben, die so schlecht seien, dass sie vor Gericht nicht die geringste Aussicht auf Erfolg hätten - wenn er überhaupt etwas für seine Klienten unternehme. «Trotzdem kassiert Ilg dafür viel Geld.»

Wie ist es möglich, dass niemand dem Rechtsberater das Handwerk legt? «Es ist schwer, die zweifelhafte Arbeit eines Rechtsberaters unter Asylbewerbern bekannt zu machen und wirksam zu bekämpfen», meint Spescha, «obwohl Ilgs Arbeitsweise - ungenügende Sorgfalt bei überrissenen Kostenvorschüssen - nicht selten darauf hinausläuft, Zwangslage und Abhängigkeit seiner Klienten auszunützen.» Damit stehe zumindest der Verdacht des Wuchers im Raum.

Rechtsberater kann sich in der Schweiz jeder nennen. Sie unterstehen keiner staatlichen Aufsicht und haben keine klar formulierten Berufspflichten. Einziges Mittel gegen Ilgs Masche ist das Strafrecht. Aber da ist die Hürde hoch: So wurde ein Verfahren gegen Ilg wegen Wuchers eingestellt. Die fragwürdige Begründung der Richter: Die Asylbewerberin, die Strafanzeige gemacht hatte, sei nicht in einer Notlage gewesen. Es sei ihr ohne weiteres möglich gewesen, auf dem freien Markt einen anderen Rechtsanwalt oder Rechtsberater zu finden. Zudem habe Ilg von den ursprünglich verlangten 1'200 Franken für die Rechtsschrift 600 Franken zurückbezahlt, als die Frau reklamierte. Eine andere Strafanzeige wurde per Vergleich beigelegt: Ilg zahlte von 1'000 Franken 500 zurück.

In Deutschland wurde das Problem mit unqualifizierten Rechtsberatern erkannt: Mitte 2007 tritt ein neues Rechtsdienstleistungsgesetz in Kraft, das klare Sorgfaltspflichten nicht nur für Anwälte, sondern für alle Rechtsberater enthält. Die Sanktionen bei Missachtung sind scharf: Berufsverbot bis maximal fünf Jahre. In der Schweiz hat man zwar eine strengere Aufsicht und Berufspflichten für Anwälte eingeführt, doch war nie die Rede davon, auch die Rechtsberatung zu regeln. Spezialisten des Anwaltsrechts sehen dafür keinen Bedarf: «Es gibt ja Anbieter auf dem Markt, die patentiert sind und unter Aufsicht stehen», meint Walter Fellmann, Professor für Privatrecht und Rechtsanwalt in Luzern. «Wenn sich jemand durch eine Person beraten lässt, die über keine besonderen Qualifikationen verfügt, ist das seine Sache.»

Wie aber soll sich ein Asylsuchender im Anwalts- und Rechtsberatungsmarkt orientieren? Müsste da nicht das Bundesamt für Migration in den Empfangszentren für Asylsuchende vor zweifelhaften Rechtsberatern warnen? «Wir können keine Warnungen vor einzelnen, als unseriös bezeichneten Rechtsberatern aushängen», winkt Mediensprecherin Brigitte Hauser-Süess ab. Allenfalls sei zu prüfen, ob Straftaten begangen wurden.

Vielleicht hat aber Ilg selbst die Lösung fürs Problem gefunden: Er nehme seit September 2006 keine Mandate im Asylrecht mehr an, behauptet er. Wegen des nach der Asylrechtsabstimmung verschärften Klimas.

Haben Sie mit Rechtsberatern, die nicht Anwälte sind, schlechte Erfahrungen gemacht? Bitte melden Sie sich bei dominique.strebel@beobachter.ch

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