Die schwarzen Schafe auf dem Bau
Im Kanton Zürich sucht seit einem Jahr ein professioneller Kontrolleur nach Schwarzarbeitern auf den Baustellen. Fündig wird er vor allem bei Kleinfirmen – die ihrerseits Aufträge für grössere, namhafte Unternehmen ausführen.
Schwarzarbeiter arbeiten am helllichten Tag. Taucht aber eine Kontrolle auf, ist von ihnen schnell nichts mehr zu sehen. Der erste private Baustellenkontrolleur im Kanton Zürich legt deshalb Wert auf Diskretion. Er will nicht, dass sein Bild und sein richtiger Name im Beobachter erscheinen. Nennen wir ihn also Anton Schmied.
Schmieds Sorge ist berechtigt. Das zeigt sich, als der Beobachter ihn einen Tag lang bei der Inspektion begleitet. Auf einer Baustelle in Meilen können sich drei Gipser nicht ausweisen und wollen auch ihren Arbeitgeber nicht nennen. Sie seien aus Slowenien und würden erst ein paar Tage auf der Baustelle arbeiten, sagen sie.
Schmied informiert die Kantonspolizei, denn er selbst verfügt über keine polizeiliche Befugnis. Die Polizei erscheint rund zwei Stunden später – aber dann sind die Slowenen längst verschwunden. Zurückgebliebene Kleider und Esswaren zeugen von einem überstürzten Aufbruch. Der Polizei bleiben bloss nachträgliche Abklärungen bei der Firma, die für die Gipserarbeiten verantwortlich ist.
Obwohl Schmied die Publizität meidet: Auf den Baustellen tritt er offen auf, meldet sich beim Baustellenführer an und weist sich aus, wenn er Arbeiter kontrolliert. «Das schafft Vertrauen», erklärt er. Darauf ist er angewiesen, weil er die Baustellen allein besucht. «Ich will ja nicht mit einer Dachlatte empfangen werden.»
Seit einem Jahr ist Schmied professioneller Kontrolleur der Baustellenkontrolle Kanton Zürich (BSK). Arbeitgeber und Gewerkschaften des Zürcher Ausbaugewerbes – zum Beispiel Gipser, Maler, Elektriker oder Schreiner – haben die BSK gegründet, um herauszufinden, welche schwarzen Schafe die Gesamtarbeitsverträge (GAV) verletzen.
Schwarzarbeit stelle er in der Regel bei kleinen und kleinsten Firmen fest, die als Subunternehmer für die grösseren und bekannten Firmen arbeiten, sagt Schmied. Unterakkord wird dieses Auftragsverhältnis genannt. «In den letzten Jahren hat der Unterakkord massiv zugenommen. Man weiss kaum noch, wer für wen arbeitet.»
Die Inspektion einer Baustelle in Forch bei Küsnacht zeigt tatsächlich unübersichtliche Verhältnisse. Für die Gipserarbeiten ist die Firma Agosti AG verantwortlich. Anwesend ist aber kein einziger Angestellter. Stattdessen gipsen drei Unterakkordanten mit neun Arbeitern, ein viertes Subunternehmen ist angekündigt. Schwarzarbeit entdeckt Schmied nicht; die Papiere der Arbeiter sind in Ordnung.
Auf derselben Baustelle in Forch hatte Schmied hingegen im Mai auch schon «unerwartet viele Unterakkordanten» der Firma Agosti und zwei Gipser ohne korrekte Arbeitspapiere angetroffen, wie der Liste seiner Inspektionen zu entnehmen ist. Die Kantonspolizei verzeigte ein Subunternehmen wegen illegaler Beschäftigung.
Die Firma Agosti bestätigt, dass auf dieser Baustelle Probleme bestanden, die sie zu einer scharfen Reaktion zwangen. Dazu Harry Weber, Geschäftsführer der Gipserabteilung: «Wir wiesen den Subunternehmer Bledi innerhalb von fünf Minuten von der Baustelle. Dies aufgrund fehlender Arbeitsbewilligungen und mangelhafter Qualität der Arbeit.»
Fristlos entlassen wurde auch der Baustellenleiter, wie Adriano Agosti bestätigt: «Er hatte die schriftliche Anweisung ignoriert, die Firma Bledi nicht weiterzubeschäftigen. Und er hatte sich für die Erteilung des Auftrags bezahlen lassen.» Eine Stellungnahme der Firma Bledi ist nicht erhältlich; sie ist laut dem Wirtschaftsauskunftsdienst Teledata in Konkurs, die Firmennummer ständig besetzt.
Adriano Agosti ist gemäss Teledata über die Altamira Holding AG alleiniger Eigentümer der Gipser- und Malerfirma Agosti AG und der Gipserfirma Walter Späni AG. Zusammen sind die beiden Firmen der grösste Arbeitgeber für Gipser in der Stadt Zürich. Agosti ist auch Mitbesitzer und Verwaltungsratspräsident der Jean Frey AG, die den Beobachter herausgibt.
Unterakkordanten der Firma Agosti sind auch bei weiteren Kontrollen in den Verdacht der Schwarzarbeit geraten:
- Zu einer polizeilichen Verzeigung wegen Schwarzarbeit führte eine BSK-Kontrolle im Januar in Effretikon. «Es war mein Fehler, dass ich nicht kontrolliert hatte, ob die vier Gipser eine Arbeitsbewilligung hatten», gibt Emin Mislimi zu, Geschäftsführer der gleichnamigen Einzelfirma. «Ich musste deswegen eine Busse von über 1000 Franken bezahlen.» Die Firma Agosti habe auch die Zusammenarbeit mit Unterakkordant Mislimi sofort beendet, erklärt Weber.
- Anfang Januar entdeckte Kontrolleur Schmied auf einer Baustelle im Zürcher Kreis 5 ungenügende Ausweise bei zwei Gipsern. Mitte Januar traf er eine Gruppe von Süddeutschen an, die zwar über Arbeitsbewilligungen verfügten. Diese galten aber erst zwei Wochen später, ab Anfang Februar. Die Gruppe stand unter der Leitung des Bruders des damaligen Agosti-Geschäftsführers.
Auch dieser arbeitet inzwischen nicht mehr fürs Unternehmen.
Seit Februar leitet nun Harry Weber den Gipserbereich der
Firma Agosti. Er betont, dass er bei der Auswahl der Unterakkordanten
«einen strengeren Massstab» als sein Vorgänger
eingeführt habe. «Ich habe mich von allen problematischen
Subunternehmen getrennt.» Als Beweis für seine
neue Linie zeigt er dem Beobachter ein Dankesschreiben der
zentralen paritätischen Kommission der Maler und Gipser,
in dem die Firma Agosti für die Zusammenarbeit im Fall
Mislimi gelobt wird. Weber verweist zudem darauf, dass die
Firma Agosti in den Verträgen mit den Unterakkordanten
gültige Arbeitspapiere der Mitarbeiter und die Bezahlung
der Beiträge für die Sozialversicherungen verlangt.
Rechtlich gesehen könne die Firma Agosti nicht für
die Schwarzarbeit von Subunternehmern wie Mislimi belangt
werden, bestätigt Albert Germann von der Gewerkschaft
Bau und Industrie (GBI). «Moralisch ist sie aber sehr
wohl dafür verantwortlich.» Sie gebe Aufträge
zu so tiefen Preisen an den Subunternehmer weiter, «dass
dieser die Arbeit kaum mehr legal erledigen kann». Dieser
Vorwurf sei nicht gerechtfertigt, wehrt sich Harry Weber:
«Der Subunternehmer ist als Geschäftsmann für
sich selber verantwortlich.»
«Ein wenig blauäugig»
Zwar gelten die Unterakkordanten für die Firma Agosti
bei Verfehlungen sofort als eigenständige Geschäftsleute.
Bei anderer Gelegenheit aber wird das Fremdpersonal gern zur
eigenen Belegschaft gezählt. So gab die Firma letzten
März gegenüber einem Kunden an, über 160 Maler
und Gipser zu beschäftigen. Bei den obligatorischen Ausbildungsfonds
der Branchen zahlt sie jedoch bloss Beiträge für
eine halb so grosse Belegschaft.
In Zukunft würden die Unterakkordanten genauer kontrolliert,
kündet Inhaber Agosti an: «Die Arbeitspapiere des
Fremdpersonals wird die Agosti AG häufiger kontrollieren.
Und in den Verträgen mit den Subunternehmern wird die
Agosti AG die Einhaltung des Gesamtarbeitsvertrags zur Bedingung
machen.»
Mit Letzterem hat jedoch auch Agostis zweite Gipserfirma
Späni ihre Mühe: Bei der paritätischen Kommission
des Gipsergewerbes der Stadt Zürich ist ein Verfahren
wegen Verletzung des GAV hängig. Die paritätische
Kommission ist die gemeinsame Kontrollinstanz von Unternehmern
und Gewerkschaften. «Wir waren ein wenig blauäugig
und haben ohne böse Absicht gegen einige Bestimmungen
des GAV verstossen», gibt Späni-Geschäftsführer
Andreas Schneider zu. Die Vertragsverletzungen seien aber
«nicht gravierend».
Anders sieht das Severino Cassani, Vorsitzender der Baustellenkontrolle
BSK und Inhaber eines Gipsergeschäfts: «Die Verfahrenssumme
liegt mit Sicherheit im sechsstelligen Bereich. Die paritätische
Kommission wird eine Konventionalstrafe aussprechen und die
Bezahlung der ausstehenden Lohnkosten verlangen.» Im
Rah-men des Verfahrens werde auch untersucht, «ob durch
die Vergabe von akquirierten Aufträgen an Unterakkordanten
indirekt Schwarzarbeit gefördert wurde». Dies deshalb,
weil auch die Firma Späni viele Aufträge an Subunternehmer
weitergibt. Sie selber hat gegenüber der paritätischen
Kommission acht Firmen und sieben selbstständige Gipser
als Subunternehmer aufgelistet. «Das sind alles seriöse
Firmen, mit denen wir regelmässig zusammen-arbeiten»,
sagt Geschäftsführer Schneider.
Aufgefallen ist die Firma Späni, weil sie im zweiten
Halbjahr 2001 an fast allen Wochenenden Arbeit am Samstag
angemeldet hatte. Gewerkschafter Germann interpretiert dies
so: «Die Firmen Agosti und Späni haben mit einer
aggressiven Preispolitik viel mehr Aufträge erobert,
als sie mit ihren Angestellten innerhalb der normalen Arbeitszeit
bewältigen können.» Solche Aufträge über
die eigene Kapazität hinaus seien in der Regel für
die Unternehmen selbst nicht rentabel genug. Deshalb würden
viele Firmen solche Aufträge mit einem enormen Kostendruck
an Subunternehmen weitergeben. «Das verleitet zu Schwarzarbeit
und führt zu einer totalen Verwilderung des Markts.»
Die Bilanz des Baustelleninspektors Schmied bestätigt
die Verwilderung: Fast auf einem Fünftel der kontrollierten
Baustellen stellte er im ersten Halbjahr 2002 Unregelmässigkeiten
fest: 65 Verstösse gegen die Arbeitssicherheit, 56-mal
notierte er «Verdacht auf Schwarzarbeit», 18-mal
«unbewilligte Arbeit» und dreimal «Arbeit
am Sonntag».
Sorgen bereiten die Verhältnisse auf dem Baumarkt
auch Reinhard Meier, dem Präsidenten des Winterthurer
Gipsermeisterverbands und Inhaber eines Gipsergeschäfts.
In den letzten Jahren seien sehr viele kleine Firmen entstanden,
erklärt er. «Oft haben sie nur zwei bis drei Angestellte
und beschäftigen gelegentlich noch einmal so viele Schwarzarbeiter
– natürlich können die billig arbeiten.»
Firmen, die viel Fremdpersonal einsetzen, würden die
traditionellen Gipserfirmen in Winterthur mit billigen Offerten
unter Druck setzen. «Es handelt sich in erster Linie
um die Firma Späni, aber auch um Agosti und um die kleinere
Winterthurer Firma Terravit.»
«Froh über Inspektionen»
Meier führt mit der paritätischen Kommission der
Winterthurer Gipser nebenamtlich Baustellenkontrollen durch.
«Rund viermal pro Jahr leiten wir Fälle von Schwarzarbeit
an die Stadtpolizei Winterthur weiter.» Die Zusammenarbeit
mit der Polizei sei sehr gut. Bei einer kürzlichen Baustellenkontrolle
im Winterthurer Quartier Wülflingen ertappte er drei
Schwarzarbeiter eines Unterakkordanten der Firma Terravit.
Die Mitinhaberin von Terravit, Adriana Bosshart, erklärt
dazu nur kurz angebunden: «Bei uns gab es nie Schwarzarbeit»
– und hängt den Hörer auf.
Nicht alle Unternehmer reagieren unwirsch, wenn eine Baustellenkontrolle
bei ihrem temporären Personal «Verdacht auf Schwarzarbeit»
feststellt. «Ich bin froh über diese Inspektionen»,
erklärt Fritz Schlagenhauf, Inhaber der gleichnamigen
grossen Gipserfirma in Meilen. Die BSK hatte auf drei Baustellen
verdächtiges Verhalten einiger Arbeiter seiner Subunternehmer
rapportiert. «Die Kontrollen müssen verschärft
werden», sagt Schlagenhauf, «denn Schwarzarbeit
untergräbt das Fundament unserer Wirtschaft.»
Als Beispiel für eine aggressive Preispolitik nennt
der Präsident der Winterthurer Gipser Reinhard Meier
den Kampf um den Auftrag für Gipserarbeiten im Kantonsspital
Winterthur, den die Firma Späni Anfang August erhalten
hat. Der Preisunterschied zwischen der billigsten und der
teuersten der elf Offerten in der Endrunde betrug satte 40
Prozent.
«Normal wäre ein Unterschied von zehn bis 15
Prozent», erklärt Meier, der auch eine Offerte
eingereicht hatte. Das lässt Späni-Geschäftsführer
Schneider jedoch nicht gelten: «Wir haben uns eben mehr
einfallen lassen als die Konkurrenz und die bessere Offerte
eingereicht.»
Eigentlich hätte die Firma Späni den Auftrag
nicht erhalten sollen. Denn im Berufsregister des Maler- und
Gipsergewerbes ist sie mit dem Eintrag «nicht empfohlen»
registriert – wegen der Verletzung des GAV. Auch das
Berufsregister ist ein Gemeinschaftswerk der Sozialpartner.
Es soll verhindern, dass Firmen, die den GAV nicht respektieren,
Aufträge der öffentlichen Hand erhalten. Denn Vertragstreue
ist Voraussetzung für öffentliche Aufträge.
Die Baubehörden im Kanton Zürich kümmert
das allerdings nicht – sie erteilten Späni Mitte
August auch noch einen weiteren Auftrag im Rahmen des Umbaus
des Spitals Wetzikon. Dies sehr zum Ärger von Gewerkschafter
Germann, der auch Präsident des Berufsregisters ist.
«Es ist skandalös, dass die öffentliche Hand
Aufträge an eine Firma erteilt, die den GAV nach Auslegung
der zuständigen paritätischen Kommission massiv
verletzt.» Zumal das Berufsregister den Architekten
darüber informiert habe, dass die Firma Späni in
der Rubrik «nicht empfohlen» vermerkt ist.
«Abstruses Argument»
Man habe die Information des Berufsregisters erhalten, bestätigt
Martin Kummer, Inhaber der gleichnamigen Firma, die den Umbau
des Spitals Wetzikon koordiniert. «Der Hinweis schien
uns nicht relevant, da es sich um ein hängiges Verfahren
handelte. Zudem hatte die GAV-Verletzung stattgefunden, bevor
wir der Firma Späni den Auftrag erteilten.»
Germann bezeichnet dies als «abstruses Argument»:
Solange die Firma nicht nachweise, dass die Vertragsverletzung
geheilt sei, «darf sie keine öffentlichen Aufträge
erhalten». Die Zusammenarbeit mit den Baubehörden
im Kanton Zürich sei generell schlecht, erklärt
Germann.
Dagegen lobt er die Berner Behörden. Zu Recht: Mit
einem neuen Gesetz über das Beschaffungswesen, das Anfang
2003 in Kraft tritt, will der Kanton Bern dafür sorgen,
dass Baufirmen ihre Subunternehmer wirklich kontrollieren
müssen. Nicht nur die Firmen, die einen öffentlichen
Auftrag erhalten, sondern auch ihre Unterakkordanten müssen
dann beweisen, dass sie keine Schwarzarbeit leisten und den
GAV einhalten. Und seit drei Monaten sucht auch im Kanton
Bern ein professioneller Kontrolleur Schwarzarbeiter auf den
Baustellen. Er ist nach Anton Schmied erst der zweite in der
deutschen Schweiz.