Langsam rollt der brachialorthografische Text von unten nach oben über den Bildschirm: Ein «geiler Spritzer» und ein «mega Säuli» suchen «knabenhafte schlanke bi-Boys –18j.» oder «junge Stricher», heisst es im «SMS-Singledate» auf der Teletextseite 856 («Mann sucht Mann») des Privatsenders Sat.1 Schweiz.

Doch das Triebtableau, das sich klar ans Schweizer Publikum richtet, betreibt Etikettenschwindel: Mann sucht nicht immer Mann, sondern zuweilen auch Minderjährige und umgekehrt. Offensichtlich unbehelligt bietet der TV-Treff auch einer Pädoszene Gastrecht – zum Entsetzen vieler.

Ringier zu 50 Prozent beteiligt
Die 54-jährige Franziska Spar (Name geändert) traute ihren Augen nicht, als sie im Februar auf den Teletextseiten des konzessionierten Senders die von Anzüglichkeiten triefenden Texte vorfand. Die empörte Mutter zweier erwachsener Söhne hatte davon in einer Gesprächsrunde erfahren und privat zu recherchieren begonnen.

«Lovely (12)» sucht «erfahrene Männer, die ihn per SMS befriedigen», hiess es in einer Anzeige. Oder: «Boyonly sucht Jungs zwischen 11–14 Jahren aus Basel, zahle Fr. 300.–.» In einer andern Annonce sucht ein Pädophiler einen «Boy zwüsche 11 und 18».

Hinter Sat.1 Schweiz steckt zwar ein verschachteltes Firmenkonstrukt, aber mitnichten ein anonymer Schmuddelveranstalter: Je 50 Prozent halten das Schweizer Verlagshaus Ringier und das deutsche Mutterhaus Sat.1 GmbH. Im Verwaltungsrat sitzt unter anderen das bei Ringier für elektronische Medien zuständige und berufsethisch zuverlässige Geschäftsleitungsmitglied Fibo Deutsch.

Sat.1 Schweiz verfügt über eine Programmkonzession des Bundes; Inhaberin der Teletextkonzession ist die deutsche Sat.1 GmbH. Für die Vermarktung der Teletextsparte zuständig ist die in Küsnacht ZH domizilierte Firma SevenOne Media (Schweiz) AG, eine Tochtergesellschaft des gleichnamigen deutschen Unternehmens. Geschäftsführer Christian Gartmann ist zugleich auch Geschäftsleiter von Sat.1 Schweiz. SevenOne Media wiederum vermietet die Teletext-Inserateseiten weiter an die Voice Publishing in Rümlang ZH, die die SMS-Kontaktanzeigen anbietet und laut Gartmann auch ausschliesslich für die Inhaltskontrolle zuständig ist.

Fast Fünf Franken pro SMS
Geschäftsführer der Voice Publishing ist Jürg Wildberger, früherer «10 vor 10»-Chef des Schweizer Fernsehens, einstiger Chefredaktor von «Facts» und Chef des ehemaligen Privat-TV-Senders TV3. Er führt als Begründung für die illegalen Inserate «alte Datensätze» ins Feld und räumt ein: «Da ist uns ein Riesenfehler passiert. Ich muss hier Konsequenzen ziehen. Das darf nicht mehr vorkommen. Die neuen Daten werden sauber sein.»

Eine «Singledate»-Anzeige per SMS kostet zwischen vier Franken und Fr. 4.80. Jedes SMS, das Partner aufgrund des Inserats unter dem «Nickname» anonym führen, kostet weitere 40 bis 80 Rappen. An beiden SMS-Formen verdienen SevenOne Media und Voice Publishing mit.

Über die Inhalte des vermieteten Produkts jedoch war SevenOne-Media-Chef Gartmann schlecht informiert. Umso entrüsteter reagierte der Vater zweier Buben, als ihn der Beobachter mit den pädophilen Inseraten konfrontierte: «Die sexuelle Ausbeutung von Jugendlichen und Kindern ist aufs Schärfste zu verurteilen.» Er bedaure, dass es «einigen Chattern trotz Monitoring» gelungen sei, diese Anzeigen zu publizieren. SevenOne Media, so Gartmann, behalte sich auch vor, «eigene rechtliche Schritte gegen Fehlbare zu unternehmen» – soweit die SMS-Kunden überhaupt identifizierbar sind.

Während des Beobachter-Gesprächs lief über den Sat.1-Teletext der neuste Fummelflirt: «LARS10: (Alter: 29) ich suche geile Dicke boy! Von 14 bis 29 Jahre!, bitte ich werde dich vertrauen! 100%!»

«Fast Täglich» derlei Anzeigen
Dieser Eintrag zeigt: Die Minderjährigen-inserate, die Franziska Spar im Februar dokumentierte, sind keine einmalige Panne, sondern kaum behinderte Praxis. Seither, sagt die engagierte Frau, seien im Sat.1-«Singledate» weiterhin «fast täglich» Anzeigen dieser Art aufgetaucht, die bei der Visionierung selbst erfahrene Behördenstellen «ins Staunen» versetzten. Nachdem Spar nach einem Telefonmarathon bei der Bundeskriminalpolizei endlich auf Interesse gestossen war, ermittelt nun die Justiz. Aktiv wurde zunächst die Abteilung Sexualdelikte/Kinderschutz der Kantonspolizei Zürich, die einige Verfasser der Kontaktanzeigen ermitteln konnte. Die polizeilichen Strafanzeigen wurden der Bezirksanwaltschaft Dielsdorf «zur Weiterleitung an verschiedene Untersuchungsbehörden in der Schweiz zugestellt», wie der Anzeigestellerin mitgeteilt wurde.

Bezirksanwalt Michael Künzle bestätigt, dass sich die Ermittlungen «im Moment gegen drei Personen in drei Kantonen» richten. Es sei durchaus denkbar, dass die Recherchen ausgedehnt würden. Das Problem: Die Identität von Prepaid-Handynutzern bleibt im Dunkeln. Im Visier hat der Untersuchungsrichter aber nicht nur die SMS-Akteure, sondern eventuell auch die am Geschäft partizipierenden Firmen: «Wir prüfen derzeit, ob es eine Handhabe gibt, auch gegen den Veranstalter juristisch vorzugehen.» Laut Lehrmeinung könnte «eine solche Möglichkeit bestehen».

Aktiv wird auch das Bundesamt für Kommunikation (Bakom), wie der für Sat.1 zuständige Jurist Alfons Birrer bestätigte. Zuständig ist diese Aufsichtsinstanz, weil es sich bei den bezahlten Einträgen um Werbung handelt. Birrer: «Wir werden unter rundfunkrechtlichen Aspekten prüfen, ob es sich um einen Verstoss gegen das Sittlichkeitsgebot und den Jugendschutz des Radio- und Fernsehgesetzes handelt.»

Pädo-Inserate auch auf Pro7
Dass mit der Sat.1 GmbH ein deutsches Unternehmen über die Teletextkonzession nach deutschem Recht verfügt, ist kein juristischer Freibrief: Laut dem europäischen Übereinkommen über grenzüberschreitendes Fernsehen muss auch eine deutsche Trägerschaft die schweizerischen Bestimmungen einhalten. So muss «Werbung, die sich an Kinder richtet oder Kinder einsetzt, alles vermeiden, was deren Interessen schaden könnte».

Falls das Bakom für den Vollzug einer allfälligen Rechtsverletzung nicht zuständig ist, kann es die betreffende deutsche Landesmedienanstalt einschalten. Diese prüft dann zusätzlich, ob allenfalls auch deutsches Recht verletzt wurde.

Als Voice Publishing Mitte April erfuhr, dass der Beobachter ein neues krasses Pädo-Inserat dokumentierte, meldete Chef Wildberger den juristisch brisanten Eintrag flugs dem ermittelnden Bezirksanwalt.

Sat.1 ist indes nicht der einzige Sender, dessen Teletextseiten Pädophile interessieren. Die Basler Staatsanwaltschaft hat laut Sprecher Markus Melzl Anfang März eine Anzeige gegen Pro7 an die Zürcher Bezirksanwaltschaft weitergeleitet. Entsprechende Wahrnehmungen auf Pro7-Teletext hat auch Franziska Spar gemacht. Pikant: Auch für die dortigen Kontaktseiten ist Voice Publishing zuständig.

Unmittelbar nach Beginn der Beobachter-Recherche sind die pädophilen Inserate vom Sat.1-Homoflirt verschwunden – auf Intervention von Sat.1-Schweiz-Verwaltungsrat Fibo Deutsch.