«Es waren harmlose Zärtlichkeiten», sagt K. S. (Name der Redaktion bekannt). «Wenn meine beiden Kinder krank waren, habe ich sie gestreichelt und geherzt, um sie zu trösten.» Doch als ihn seine Frau verliess und samt den Kindern, sieben und acht Jahre alt, auszog, wurde aus den Streicheleinheiten plötzlich eine «für die Kinder schädliche körperliche Nähe», wie die zuständige Opferhilfestelle in einem ersten Bericht festhielt. Deshalb dürfe K. S. seine Kinder vorerst nicht sehen. Es dauerte drei Monate, bis der Eheschutzrichter den Vater erstmals zur Sache anhörte. «Man glaubte vorerst nur meiner Frau», sagt K. S. Der Fall wird nun im Rahmen des Eheschutzverfahrens vertieft abgeklärt, aber er zeigt eines: In Scheidungsverfahren können Zärtlichkeiten zur Waffe werden.

Solche Fälle und die Medienberichte über Kindsmissbrauch und Pädophilie verunsichern Väter zunehmend. «Viele fühlen sich unter Beobachtung und fragen sich andauernd: Was ist jetzt erlaubt? Und was nicht?», sagt die Erziehungsberaterin Marcelle Bun. So wird mitunter sogar der normale, alltägliche Umgang eines Vaters mit seinem Kind kompliziert und gehemmt. Zum Beispiel bei Ezio Budel. «Ich konnte lange meine beiden Buben nicht wickeln, weil ich Angst hatte, ein Nachbar würde das falsch verstehen und zur Anzeige bringen», sagt der Baupolier.

Der 39-jährige Vater von Zwillingsbuben, 2, und einer Tochter, 5, hatte ein prägendes Erlebnis: Er sei in seiner Siedlung gemütlich auf dem Balkon gesessen. Mit einer Flasche Bier auf dem Tisch und seiner Tochter auf den Knien. «Am nächsten Tag wurde ich von Nachbarn angesprochen, ob ich Alkoholiker sei, wenn ich sogar beim Spielen mit dem Kind Bier trinken müsse», so Budel. Lebhaft erzählt er vom Gefühl, ständig misstrauisch beobachtet zu werden. Derweil bringt seine Frau Regina die drei Kinder ins Bett. «Dass ich deshalb Hemmungen habe, meinen Buben Wundcreme aufs Schnäbeli zu tun, konnte ich meiner Frau lange nicht sagen.» Dann habe die Familie in der Fernsehsendung «Quer» beim Familientisch mitgemacht. Dort habe er diese Hemmung öffentlich ansprechen können. «Seitdem ist alles anders», meint Budel. «Nun wickle und salbe ich auch und möchte allen Männern sagen: Sprecht es an, wenn ihr damit Probleme habt. Es hilft.»

Regina Budel ist fertig mit dem Zu-Bett-geh-Ritual der Kinder und setzt sich auch an den Tisch. Sie meint, ihr Mann übertreibe. Cremen tue er noch heute nicht. «Stimmt», präzisiert der kräftige Baupolier, «ich pudere aus der Dose. Das kann ich streuen.» Er badet auch nicht mehr mit seinen Kindern, seit ihn seine Schwiegermutter gefragt habe, ob er jeweils eine Badehose trage.

«Aaluege ja, aalange nei»
So weit geht H. M. (Name der Redaktion bekannt) nicht. Er badet mit seiner vierjährigen Tochter, wenn sie es wünscht. «Klar interessiert sie sich für meinen Penis. Aber ich sage dann: ‹Aaluege ja, aalange nei.›» Sobald sie diese Regel missachten würde oder allzu fixiert wäre auf sein Geschlechtsteil, würde er mit dem gemeinsamen Baden aufhören. «Sinnlichkeit und Zärtlichkeit finde ich gut. Sexuelle Gefühle habe ich aber nie meiner Tochter gegenüber», sagt M. Doch auch ihn beschäftigt der Blick der Öffentlichkeit. So habe er sich schon beim Gedanken ertappt, was wohl die Nachbarn denken, wenn seine Tochter nackt auf dem Wickeltisch gelegen sei. «Dann hab ich die Vorhänge zugezogen.»

Als seine Tochter noch ganz klein gewesen sei, habe er jeweils seine Frau die Intimwäsche machen lassen und das Salben, wenn die Scheide entzündet war. «Doch dann habe ich im Gespräch mit meiner Frau festgestellt, dass sie nicht besser wusste als ich, wie man das macht.» Die Hysterie rund um Kindsmissbrauch spürt M. auch. Wenn er mit seiner Tochter etwa auf ein öffentliches Männer-WC geht, weil er ihr beim Fudiputzen helfen muss. Da sei es auch schon passiert, dass die Tür offen geblieben und jemand reingekommen sei. «Eine Sekunde lang ging es mir durch den Kopf, dass der jetzt meinen könnte, ich mache da was Unsittliches, und mich beschuldigen könnte. Dann wäre es vorbei mit der Unschuldsvermutung», sagt M.

Auch Michael Gohlke von der VäterOrganisation «Avanti Papi» findet, die Medienberichte über Kindsmissbrauch haben Auswirkungen auf den alltäglichen Umgang von Vätern mit ihren Kindern. «Schweizer Männer sind eh gehemmt, öffentlich Zärtlichkeiten auszutauschen», sagt er. Die Berichterstattung über Missbräuche seien nötig, aber oft zu hysterisch und sensationslüstern. Das verhindere, dass sich der gehemmte Vater ändere. «Es ist doch natürlich, dass man sich auch körperlich zeigt, dass man sich gerne hat», sagt Gohlke. Wichtig dabei sind aber gewisse Grundregeln: Der Wille des Kindes muss respektiert werden, und bei sexuellen Gefühlen müssen Väter die Situation beenden (siehe nachfolgend: «Bis hierher und nicht weiter»).

Bis hierher und nicht weiter

Wie weit dürfen Väter in intimen Situationen mit ihren Kindern gehen? Einige Grundsätze.
 

  • Babypflege: Zur Körperpflege eines Säuglings gehört es, auch dessen Scheide oder Penis zu reinigen. Ein bewusstes Auslassen der Genitalien könnte ein falsches Signal aussenden: Diese Körperregionen sind «schlecht», die fasst man nicht an! Dabei muss aber klar sein, dass die Berührungen nicht der Stimulierung von Lust - auch der eigenen - dienen dürfen.
  • Baden: Wenn es das Kleinkind geniesst, mit dem Vater zu baden, ist das in Ordnung. Die Initiative dazu muss aber immer vom Kind ausgehen. Wer das Kind überreden muss oder es sogar zwingt, geht zu weit.
  • Berührungen: Will das Kleinkind den Penis des Vaters anfassen und hat dieser damit kein Problem, kann man das zulassen. Wird der Vater dabei jedoch sexuell erregt, muss er die Situation sofort beenden.

Quelle: Jan-Uwe Rogge: «Von wegen aufgeklärt!», Rowohlt-Verlag, 2006