Luzia G. (Name geändert) hatte den Videofilm in Deutschland bestellt. Doch statt der Kassette erhielt sie eine Gerichtsvorladung. Darin wurde ihr unerlaubte Einfuhr von Gewaltdarstellungen vorgeworfen. «Auf diesem Film sind grausame Gewalttätigkeiten gegen Menschen eindringlich dargestellt, die die elementare Würde des Menschen in schwerer Weise verletzen», steht in der Anklageschrift. Der Prozess vor dem Basler Strafgericht dauerte nicht lange. Das Urteil: 250 Franken Busse plus Gerichtskosten.

Der Fall hat Seltenheitswert. Denn seit der Inkraftsetzung des so genannten Brutalo-Artikels im Strafgesetzbuch 1990 ist es kaum je zu Verurteilungen gekommen. So gehen trotz Verbotsliste Tag für Tag zahlreiche gewaltverherrlichende Videos und auch immer mehr Digital Versatile Discs (DVDs) über den Ladentisch oder werden via Internet verkauft.

Die Polizei ist machtlos. «Wir haben schlicht nicht die Kapazität, um Razzien in Videotheken durchzuführen», sagt Markus Melzl, Kriminalkommissar bei der Basler Staatsanwaltschaft. Es fehle auch an Personal, um stundenlang im Internet nach einschlägigen Angeboten zu suchen. «In der Regel werden wir aktiv, wenn ein Hinweis aus der Bevölkerung kommt.»

Bestellt hatte Luzia G. den Zombiefilm «Dawn of the Dead» vom bekannten Horrorfilmer George A. Romero. Der Streifen stammt aus dem Jahr 1978 und steht auf der Verbotsliste, die von der Stadtpolizei Bern und dem Schweizerischen Video-Verband herausgegeben wird. Sie führt alle Filme auf, die in Deutschland aufgrund von Gerichtsurteilen verboten worden sind. Die Liste ist massgebend für die Schweizer Sittenwächter, die Verstösse gegen den Brutalo-Artikel ahnden.

Luzia G. hatte Pech, weil das Basler Zollinspektorat den Zombiefilm abfing. Der Kauf im Ausland war ein Fehler: Hätte Luzia G. im Internet nach Schweizer DVD-Händlern Ausschau gehalten, dann wäre der Film über die menschenfressenden Monster wahrscheinlich bereits nach ein paar Tagen in ihrem Briefkasten gewesen ohne strafrechtliche Folgen. Denn der private Besitz eines Brutalo-Videos ist nicht strafbar. Mit Busse oder Gefängnis muss nur rechnen, wer Filme, die «grausame Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Tiere eindringlich darstellen», einführt, lagert, verkauft oder ausstellt.

Doch das scheint die Händler wenig zu kümmern. Zwar macht die Polizei ab und zu Kontrollen in den Videotheken, doch zu Beschlagnahmungen kommt es kaum. «Seit anderthalb Jahren gab es keine einzige Anzeige», sagt etwa Peter Abelin, Pressesprecher der Kantonspolizei Bern. Er glaubt, dass sich die meisten Händler an die Verbotsliste halten.

Auch Fernando Perez, Geschäftsführer von Forbidden Planet GmbH in Regensdorf ZH, beteuert: «Wir halten uns an die Verbotsliste.» Die Polizei mache sogar Kontrollen, Filme seien jedoch seit der Geschäftseröffnung vor zwei Jahren noch nie beschlagnahmt worden.

Wer aber die Homepage von Perez Internetfirma «1a-dvdshop.ch» abruft, stösst auf eine Anzahl verbotener DVD-Filme. So finden Insider die Gewaltorgie «The Texas Chainsaw Massacre» unter dem geänderten Namen «Blutgericht in Texas». Auch die indexierten Titel «The Beyond» oder «Tanz der Teufel» sind problemlos bestellbar. «Wir bieten nur geschnittene Filme an oder solche, die meines Erachtens harmlos und auch ungekürzt zumutbar sind», sagt Perez. Und fügt hinzu: «Was vor 20 Jahren noch Entsetzen auslöste, wird doch heute im Fernsehen gezeigt.»

Negativer Einfluss auf Junge

Mit der Einführung des Brutalo-Artikels wollte der Bundesrat vor allem die Jugendlichen schützen. «Brutalitätsdarstellungen können das sittliche Empfinden in einem unerträglichen Mass verletzen oder aber, was schwerer wiegt, das Verhalten insbesondere junger Menschen in einer für sie und die Gesellschaft negativen Weise beeinflussen», warnte der Bundesrat 1985 in seiner Botschaft.

Auch Daniel Süss, Dozent für Kommunikations- und Medienpsychologie an der Hochschule für Angewandte Psychologie in Zürich, erhebt den Warnfinger: «Studien zu Auswirkungen von Mediengewalt belegen, dass bei gewissen Risikogruppen eine Verstärkung der Gewaltbereitschaft entstehen kann.» Zu den Risikogruppen gehören laut Süss beispielsweise Jugendliche, die in ihrem Alltag viel Frustration erleben, die in gewaltbereiten Milieus verkehren oder selbst Opfer von Gewalt sind.

Doch die Polizei sieht keinen Anlass für rigorosere Kontrollen: Man könne nicht wegen jedes Films, «in dem Menschenleibe aufgeschlitzt und die Gedärme aufgegessen werden», gleich einen Polizeieinsatz machen, sagt Kriminalkommissar Markus Melzl. Ausserdem fehle den Fahndern das Insiderwissen.

Die Hilflosigkeit von Gesetzgeber und Polizei ist in den letzten Jahren noch gewachsen, denn die Gewaltproblematik verlagert sich immer mehr ins Internet. «Die harten Sachen finden vermehrt dort statt», sagen Melzl und Abelin. Doch die Spezialeinheit des Bundesamts für Polizei, die in einem Pilotprojekt verbotene Inhalte im Internet aufspürte und zum Teil die entsprechenden Adressen sperren liess, hat Ende 1999 ihre Arbeit eingestellt provisorisch, wie es hiess.

Auch Besitz soll strafbar sein

Derweil reiben sich die Händler die Hände. Gemäss Schweizerischem Video-Verband wurde letztes Jahr mit DVDs und Videokassetten ein Umsatz von 167 Millionen Franken erzielt. Dies entspricht einer Steigerung von 31,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr und stellt laut Verband einen neuen «Allzeit-Rekord» dar. Separate Zahlen für Brutalo-Filme gibt es nicht.

Obwohl der Brutalo-Artikel nicht beachtet wird, will der Bundesrat den Geltungsbereich sogar noch ausweiten: Künftig soll auch der Besitz von Horror-Videos oder -DVDs unter Strafe gestellt werden. Dies zumindest schlägt der Bundesrat dem Parlament vor. Ob Gesetzesverstösse auch tatsächlich geahndet werden, kümmert die Bundesbehörden nicht. Folco Galli, Pressesprecher des Bundesamts für Justiz, meint dazu lakonisch: «Dafür sind die Kantone zuständig.»