Eigentlich bin ich ein Schisshase. Auf vielen meiner Touren gehe ich Hand in Hand mit der Angst: der Angst zu verdursten, mein Ziel nicht zu erreichen, vor dem Biss einer Schlange. Seit ich vor 15 Jahren aus dem Alltagstrott ausgestiegen bin, lebe ich auf des Messers Schneide. Aber Geld verdienen, essen, schlafen – das allein konnte es einfach nicht sein!

Auf meinen Extremtouren bewege ich mich seither zwischen Diesseits und Jenseits. Dabei ist die Angst zu meiner steten Partnerin geworden, die ich schätzen gelernt habe. Ein gewisses Mass an Angst braucht der Mensch. Ist sie jedoch zu gross ist, lähmt sie, bleibt sie aus, ist man zu wenig aufmerksam. Als Grenzgänger muss man den Umgang mit der Angst im Griff haben.

Um am Leben zu bleiben, braucht es aber noch anderes: zum Beispiel innere Ruhe, innere Stärke, einen klaren Kopf, wenn es brenzlig wird. Und wichtig: immer auch eine Spur Reserve. Eine senkrechte Eiswand klettere ich nur hoch, wenn ich mich total sicher fühle und mindestens noch ein Grad Reserve habe. Dann ist das weniger gefährlich, als wenn ein betagter Mensch im heutigen Verkehr einen Fussgängerstreifen überquert.

«Andrea, du musst umkehren»

Und dann braucht es natürlich Vertrauen. Da musste ich schon einiges einstecken. Letztes Jahr bei der Wüstendurchquerung war ich wirklich am Boden zerstört. Über Jahre hatte ich guten Kontakt zu einem lokalen Führer aufgebaut, auf dessen Hilfe ich dringend angewiesen war. Ich hatte ihm Esel und Kamele gekauft und seinen Kindern das Schulgeld bezahlt. Als ich in Timbuktu ankam, war er wie vom Boden verschluckt. Ich war zwei Tage wie gelähmt und dachte: «Andrea, du musst umkehren, so wie es jeder normale Mensch tun würde.» Doch das konnte und wollte ich nicht.

Also schloss ich mich einer grossen Karawane an. Dann aber kam das schwierigste Stück der Sahara: 1000 Kilometer Sandmeer, ohne einen Tropfen Wasser. Die Karawane stiess an ihr Limit und kehrte um. Ich ging weiter, ohne Begleiter und ohne Kamele. Via Satellitentelefon organisierte ich Wasser: Nomaden aus Algerien brachten mir Vorräte, die sie an festgelegten Punkten vergruben. Wäre das Wasser nicht dort gewesen, hätte das fatal geendet. Als ich die Depots jeweils fand, war ich vor Erleichterung 100 Gebirge leichter.

Die Wüste übt eine besondere Faszination aus. Vielleicht geschieht in dieser Zeit des bedürfnislosen Gehens und Nichtdenkens mehr, als mir im Augenblick bewusst ist. Die Wüste schenkt einem das Gefühl, dass die ganze Welt dir gehört. Diese absolute Stille ist unbeschreiblich. Man hört nichts anderes als den eigenen Atem und den eigenen Puls. Das kann auch unheimlich sein. Aber wenn man lernt, damit umzugehen, kommt man einen Schritt weiter. Dann geht es nicht mehr darum, das Konto weiter zu füllen, sondern den Wind in den Haaren zu spüren. Natürlich, es gibt auch Momente, in denen man gewaltig leidet: Wenn noch viele, viele Kilometer vor einem liegen und man kaum mehr Wasser hat, denkt man jede Stunde 100 Mal an einen knackigen Salatteller und an einen frisch gepressten Orangensaft. Davon träumt man, bis man fast durchdreht. Aber diese Gedanken ziehen einen auch wie ein Magnet bis zur nächsten Siedlung.

Die meisten Gebiete der Sahara sind gut zu bereisen. Doch es gibt auch Gegenden, die heikel sind und bei denen man sich als Normaltourist an die Weisungen des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten halten sollte. Tut man das nicht, muss man super informiert sein und braucht unbedingt Partner vor Ort, die ihre Verbindungen in alle Richtungen haben, auch zu Banditenkreisen. Man muss diese Kontakte haben, um geschützt zu sein. Sich einfach irgendeinem Führer vor Ort anzuschliessen kann tödlich enden.

Den Hintergrund der gegenwärtigen Entführung der beiden Schweizer im Grenzgebiet von Mali und Niger kenne ich nicht. Wenn das Kidnapping politisch motiviert ist, kann das dumm herauskommen. Es kann aber auch sein, dass es sich um «normales» Banditentum handelt, das schnell und problemlos endet, wenn Lösegeld bezahlt oder Material übergeben wird.

Quelle: Andrea Vogel
Von Hund und alter Karre gerettet

Bisher bin ich immer glimpflich davongekommen, aber brenzlig war es schon mehrfach. Als in Südalgerien vor sechs Jahren 14 Europäer entführt wurden, waren meine Frau und ich ebenfalls in dieser bis zu diesem Zeitpunkt problemlosen Gegend. Vermutlich retteten uns zwei Dinge: Wir hatten unseren Hund dabei und waren in einem alten Peugeot unterwegs. Vor Hunden haben viele in dieser Region Angst, und den alten Peugeot hätten die Kidnapper stehen lassen müssen, was eine Spur hinterlassen hätte. Die anderen Touristen waren mit Allradfahrzeugen unterwegs und damit mit perfekten Fluchtautos.

Man muss wissen, wie die Banditen ticken. Manche haben es nur auf Lebensmittel abgesehen, andere wollen Kamele, wieder andere bringen dich sofort um. Bei meiner letztjährigen Wüstentour wurde unsere Karawane mehrfach bedroht. Doch unser richtiges Verhalten nützte: Es genügte, als Wegzoll einen Sack Reis zu zahlen. Zugegeben: Gefahren können einem Grenzgänger einen Kick geben. Ich würde aber abstreiten, dass ich nach ihnen suche. Lieber halte ich mich an Antoine de Saint-Exupéry, der sagte: «Grenzgänger suchen nicht die Gefahr, sondern das Leben.»

Andrea Vogel tourt derzeit zusammen mit dem Musiker Dänu Brüggemann durch die Schweiz – mit einem Vortrag über seine Sahara-Expedition, die unter dem Patronat der Schweizer Unesco-Kommission steht. Soeben ist sein Buch «Uferlos» erschienen. Informationen unter www.orion-tour.ch