Das Problem:

Ich habe mich in eine Frau verliebt, die absolut unberechenbar ist und deren Verhalten mir arges Kopfzerbrechen bereitet. Manchmal ignoriert sie mich einfach. Fünf- oder sechsmal hat sie mich schon versetzt, dreimal hat sie mir «präventiv» einen Korb erteilt und dann ruft sie mich plötzlich wieder an. Ich komme mir ziemlich blöd vor und habe den Eindruck, dass es ihr Spass macht, mit mir ein bisschen zu spielen. Weil ich verunsichert bin, habe ich ihr auch noch nie gestanden, wie tief meine Zuneigung zu ihr ist.

 

Josef H.

 

Koni Rohner, Psychologe FSP:

Mein Ratschlag lautet wie immer in unklaren Liebesdingen: besser ein allfälliges Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Gestehen Sie Ihre wirklichen Gefühle deutlich, und fragen Sie klar und mutig nach den Gefühlen der Partnerin. Erst wenn die Karten auf dem Tisch liegen, ist eine vernünftige Entscheidung möglich. Falls Ihre Angebetete allerdings mit Ihnen bewusst oder unbewusst spielt, wird sie mit allen Mitteln versuchen, eine klare Stellungnahme zu vermeiden. Sie müssen also hartnäckig und konsequent sein.

 

Unglücklich verliebt zu sein kann jedem Mann und jeder Frau passieren. Es kommt immer wieder vor, dass Gefühle einseitig verteilt sind. Was jedoch Josef H. schildert, ist ein häufiges, ja geradezu klassisches Muster, das immer wieder in Sagen, Mythen, Storys und Filmen auftaucht: die verführerische Frau, die lockt, aber nie erreicht werden kann. Sehr oft zieht sie die Männer nicht nur an sie stürzt sie ins Verderben oder sogar in den Tod.

 

Beispiele dafür gibt es viele. Etwa die Sage von der Loreley, einer wunderschönen Frau, die oben auf einem Rheinfelsen sitzt und ihr goldenes Haar kämmt, so dass es die Schiffer mit «wildem Weh» ergreift und sie gebannt in die Höhe schauen müssen. «Ich glaube, am Ende verschlingen die Wellen Schiffer und Kahn, und das hat mit ihrem Singen die Loreley getan», hat Heinrich Heine gereimt. In einem Gedicht von Eduard Mörike finden wir eine Zauberin in einem Leuchtturm, die das Licht löscht, wenn sich ein Schiff genähert hat, damit es in den Klippen zerschellt. Und im Filmklassiker «Der blaue Engel» stösst Marlene Dietrich mit ihren sexy Beinen einen alten Professor ins Unglück.

 

Der Mythos scheint bis heute nichts an Kraft eingebüsst zu haben. Eben hat in Italien die «Big Brother»-Containerbewohnerin Marina La Rosa Schlagzeilen gemacht, weil sie alle männlichen Mitinsassen «angeturnt» habe, ohne ihnen die verheissene Gunst zu gewähren. Sie hat es als «gatta morta» (tote Katze) zu nationaler Berühmtheit gebracht. Der Übername ist zwar ausgesprochen hässlich, aber er drückt etwas Wahres aus: Loreleyartige Frauen strahlen etwas Animalisch-Verführerisches aus, gleichzeitig jedoch ist eine lebendige Beziehung mit ihnen nahezu ausgeschlossen.

 

Das Muster, das die Kultur so sehr befruchtet hat der ganze Minnesang des Mittelalters beruhte darauf, dass der Sänger seine Angebetete nie wirklich in die Arme schliessen durfte , ist aus psychotherapeutischer Sicht einfach neurotisch. Eine verführerische Ausstrahlung hat nur dann einen Sinn, wenn es auch zu einer Verbindung kommt, die emotionale und sexuelle Sättigung einschliesst. Sonst ist es eine Quälerei.

 

Das Kernproblem besteht darin, dass beide Partner Angst vor einer handfesten Beziehung haben. Einerseits weil sie um ihre Freiheit bangen, anderseits weil sie Angst vor der Intensität der Sexualität haben. Wer verführen, aber sich nicht ernsthaft einlassen will, wer sich locken, aber gleichzeitig auch wieder zurückstossen lässt, ist vor einer tiefen, nahen und intensiven Begegnung «geschützt».

 

Unwiderstehliche Meister im Flirten

Oft haben Menschen mit dem Loreley-Syndrom ein sehr attraktives Äusseres, und natürlich sind sie im Flirten ausserordentlich begabt. Zwar leben sie selten so enthaltsam wie die Loreley auf ihrem Felsen, aber in der Regel haben sie häufig wechselnde und kurz dauernde Beziehungen. Längere Verbindungen würden sexuelle Probleme und Probleme der Abgrenzung zum Vorschein bringen. Wer lange genug geschwärmt, gedichtet und gelitten hat oder darüber beunruhigt ist, dass nie längere und intensivere Beziehungen zustande kommen, tut gut daran, sich in einer Psychotherapie näher mit seinen versteckten Ängsten zu beschäftigen.

 

Es geht selbstverständlich nicht darum, gleich am ersten Abend einer Bekanntschaft unbedingt eine sexuelle Begegnung zu haben. Es ist im Allgemeinen wohl schöner, die Verliebtheit, das Begehren und die Sehnsucht eine Weile zu spüren, bis man sich gegenseitig erlöst. Aber nur gelockt werden oder locken ohne Erfüllung mag für Dichterinnen und Denker vielleicht befruchtend sein für gewöhnlich Sterbliche ist es eine unsinnige Tortur.