Vor fünf Jahren machte ich den grössten Fehler meines Lebens.» Dies sagt der heute 26-jährige Oliver Bärtschi aus Zollikofen BE. Damals wog er 117 Kilogramm. «Alle hackten auf mir rum, weil ich dick war», erinnert er sich. Er wollte endlich abnehmen. Ein Chirurg machte ihm Mut - nach einer Magenbandoperation werde er zum ersten Mal Kleider ab der Stange kaufen können. Der Mediziner musste Bärtschi nicht lange zur Verkleinerung seines Magens überreden.

Nach der Operation verlor der gelernte Koch zwar rasch 30 Kilo, doch gleichzeitig musste er häufig erbrechen und litt unter starken Schmerzen. Schliesslich stellte sich heraus, dass sich sein Magenband verschoben hatte. Er musste sich ein neues einpflanzen lassen. Aber die Schmerzen kamen wieder, und die Ärzte operierten ihn ein drittes Mal. Diesmal verpassten sie ihm einen Bypass. Dabei wird der Magen zu einem winzigen Rest verkleinert und der Verdauungsweg stark verkürzt, damit der Körper Nahrung weniger wirksam verwerten kann.

«Keine Alternativen zur Operation»
Doch der gewünschte Erfolg blieb aus. Inzwischen hat Bärtschi mehr als zehn Operationen hinter sich, und seine Situation hat sich nicht verbessert. Er wiegt gerade mal 50 Kilo und nimmt nur noch Flüssignahrung zu sich, weil er sonst an starken Koliken leidet. Er muss eine lange Liste von Vitaminen und anderen lebenswichtigen Stoffen künstlich zuführen. «Früher war ich randständig, weil ich dick war. Jetzt bin ich zwar rank und schlank, aber völlig isoliert, denn ich kann nicht mehr in Gesellschaft essen. Das ist schlimmer.» Er würde sich nie mehr operieren lassen. «Ich kann meine Kleider heute tatsächlich, wie vom Chirurgen prophezeit, ab der Stange kaufen - allerdings in der Kinderabteilung», sagt er mit bitterer Ironie.

Magenband- und Magenbypassoperationen werden bei krankhaftem Übergewicht, morbide Adipositas genannt, durchgeführt. In der Schweiz gibt es sie seit gut zehn Jahren. Und sie boomen. In den letzten fünf Jahren wurden 4426 Patienten operiert. War vor gut zehn Jahren erst eine Hand voll Kliniken für die Operationen zugelassen, gibt es heute 46 solche Zentren.

«Chirurgie ist bei krankhaftem Übergewicht die einzige Methode, die langfristig Erfolg verspricht», ist Markus Naef überzeugt. Er ist Chirurg und Präsident der Swiss Study Group for Morbid Obesity, eines Vereins, in dem sich die Übergewichtsspezialisten zusammengeschlossen haben. Die Ausgaben von zehn Millionen Franken pro Jahr für die Operationen seien marginal im Vergleich zu den milliardenhohen Folgekosten von Übergewicht, denn wer zu schwer ist, hat ein stark erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten, Schlaganfälle und Diabetes. «Die Lebenserwartung von nicht operierten krankhaft Übergewichtigen ist rund zehn Jahre kürzer», sagt Naef. Auch der auf Magenoperationen spezialisierte Chirurg Renward Hauser betont: «Es gibt keine Alternativen zur Operation. Ohne chirurgischen Eingriff schaffen es die Übergewichtigen nicht, ihr Gewicht tief zu halten.»

Dieses Jahr will das Bundesamt für Gesundheit dem Bundesrat ein Massnahmenpaket gegen Fettleibigkeit vorschlagen. Die Zeit drängt: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) befürchtet, dass im Jahr 2010 rund 20 Prozent der Bevölkerung in Europa an Fettsucht leiden werden. In der Schweiz hat sich die Zahl der übergewichtigen Kinder in den letzten 20 Jahren mehr als verdreifacht, diejenige der fettleibigen beinahe versechsfacht.

Die Krankenkassen müssen die mehrere tausend Franken teure Magenbandoperation nur bezahlen, wenn eine Reihe von Bedingungen erfüllt ist: So darf ein Patient nicht älter als 60 Jahre und muss stark übergewichtig sein. Eigentlich müsste er auch eine zweijährige Therapie zur Gewichtsreduktion hinter sich gebracht haben. Doch gerade dies wird nicht immer streng kontrolliert.

Bei 37 Prozent «nicht erfolgreich»
Eine Gruppe Westschweizer Magenspezialisten hat jetzt in einer Studie mehr als 300 Magenbandoperationen ausgewertet. Die Chirurgen kommen zum Schluss, dass häufig Komplikationen auftreten und auch der Erfolg nur mässig ist. Ein Drittel der Patienten leidet unter Komplikationen, mehr als ein Fünftel muss sich einer grösseren Nachoperation unterziehen. Der Eingriff gilt als gescheitert, wenn der Gewichtsverlust weniger als einen Viertel beträgt.

Die Quote der nicht erfolgreich Operierten steigt im Lauf der Jahre nach der Operation; nach sieben Jahren liegt der Wert bereits bei 37 Prozent. Studienautor und Chirurg Michel Suter verzichtet deshalb inzwischen praktisch ganz auf Magenbänder. Magenbandbefürworter Hauser hingegen erklärt die schlechten Ergebnisse damit, dass nicht geeignete Patienten operiert worden seien. Zudem hielten sich zu viele von ihnen nach dem Eingriff nicht an die vorgeschriebenen Ernährungsformen.

Viele Chirurgen legen lieber einen Bypass, weil er im Allgemeinen weniger Langzeitkomplikationen verursacht als ein Magenband. Markus Weber, leitender Arzt für Viszeral- und Transplantationschirurgie am Unispital Zürich, betont, dass die Bypassoperation selbst aber nicht ungefährlich sei. Technisch anspruchsvoll, könne sie bei unerfahrenen Operateuren rasch heikel werden. Entscheidend sei, die Länge des Bypasses richtig zu wählen, sonst werde der Patient nach dem Eingriff immer wieder leiden.

Für Weber ist klar: «Eine Operation muss immer die allerletzte Lösung sein. Chirurgie ist nur eine Krücke, um mit dem Übergewicht besser umgehen zu können.» Das Problem der übergewichtigen Jugend könne man nur präventiv in den Griff kriegen, mit Operationen sei das nicht zu schaffen.

Nur die wenigsten Chirurgen operieren so zurückhaltend wie Weber. Dies musste der 61-jährige Peter Schmid erfahren, als er, 150 Kilo schwer, wegen hohen Blutdrucks Rat suchte. Ein Adipositasspezialist wollte ihm sofort ein Magenband einsetzen. Schmid war begeistert. Keine drei Monate später wurde er operiert. Doch auch bei ihm funktionierte das Band nicht. Er liess sich einen Bypass legen, doch dabei wurden Leber und Milz verletzt. Schmid musste mehrfach reanimiert werden, lag neun Wochen im Koma und vier Monate im Spital.

Zwar hat er dank der Operation inzwischen 50 Kilo abgenommen, doch immer wieder plagen ihn Koliken. «Das Ganze erwies sich als Trugschluss. Heute muss ich mich beim Essen genauso beherrschen, nur meine Lebensqualität ist schlechter», sagt er. Seit den Operationen ist er nur noch eingeschränkt arbeitsfähig. Heinrich von Grünigen, Präsident der Schweizerischen Adipositas-Stiftung, warnt: «Wer das Gefühl hat, er könnte nach den Eingriffen ohne Umstellung seiner Ernährung leben, und wer sich nicht strikt an die Verhaltensregeln hält, wird Komplikationen haben.»

Erika Ziltener, Präsidentin des Dachverbands der schweizerischen Patientenstellen, kritisiert die vorherrschende medizinische Praxis bei Übergewichtigen: «Viele Patienten werden viel zu rasch operiert. Der Erfolg bei Einzelnen macht das Risiko nicht wett.» Sie fordert, dass verbindliche Kriterien festgelegt werden, welche Patienten überhaupt unters Messer kommen sollen. Eine unabhängige Stelle müsste prüfen, ob dieser Kriterienkatalog eingehalten wird. «Patienten mit erhöhtem Risiko dürfen nicht mehr operiert werden.»

«Die operieren nicht den Kopf»
Jetzt handelt das Berner Inselspital: Es pflanzt keine Magenbänder mehr ein. «Bei dieser Operation gibt es viel zu häufig Langzeitkomplikationen», sagt Kurt Laederach, Leiter Innovationsprogramm Adipositas am Inselspital. Auch beim Magenbypass ist das Spital zurückhaltend. «Wer operiert wird, ändert deshalb noch lange nicht sein Verhalten. Adipositas ist eine chronische Krankheit, deren Heilung Zeit braucht», so Laederach. Deshalb werden 90 bis 95 Prozent der Patienten, die sich wegen Essstörungen im Inselspital melden, gar nicht operiert, sondern therapiert: mit Psycho-, Verhaltens- und Bewegungstherapie, gekoppelt mit Ernährungsberatung.

Auch die 26-jährige Narin Tahmaz aus Bern lebt heute «endlich gut», weil sie nach mehreren Operationen ihr Verhalten änderte. Mit 18 Jahren wog sie 136 Kilo und liess sich deshalb ein Magenband einsetzen. Tatsächlich nahm sie in ein paar Monaten 50 Kilogramm ab. Doch plötzlich verrutschte ihr Band. Sie musste es sich notfallmässig entfernen lassen. Heute hat sie zusätzlich zwei Magenbypassoperationen hinter sich. «Die Chirurgen operieren zwar den Körper, aber nicht den Kopf», sagt sie.

Der Verband der Krankenkassen, Santésuisse, ist bei der Einschätzung der Magenbypassoperation zurückhaltend. Noch lägen nicht genügend Langzeitdaten vor, erklärt Sprecher Peter Marbet. Klar ist für ihn hingegen: «Ein Magenband ist nicht nachhaltig und bringt zu wenig.»