Ein paar Haare abschneiden, in ein Tütchen legen, einen Fragebogen ausfüllen, beides als Brief an ein Institut für Haarmineralanalyse (HMA) per Post aufgeben und nicht vergessen, per Einzahlungsschein vorab zu bezahlen. Wer diese Anleitung befolgt, bekommt nach etwa zwei Wochen einen dicken Antwortbrief. Er enthält die Werte von mehr als 30 gemessenen Mineralien und Spurenelementen sowie eine mehrseitige Analyse der Ergebnisse. Die kann so lauten: «Viel Phosphor im Haar kann erhöhte phospholipoide Ablagerung im wachsenden Haarfollikel widerspiegeln. Die Hauptquelle von Phosphor im Haar sind die Phospholipoide…» Was das wohl bedeutet?

Am besten lässt man sich den Befund der HMA von einem Experten erklären, zum Beispiel von einem Ernährungsberater, Homöopathen oder Arzt. Viele dieser Fachleute leiten eine Untersuchung auch selbst in die Wege und übernehmen die Information und Behandlung des Patienten. Diese besteht in der Regel aus teuren Nahrungsmittelergänzungen in Form von Kapseln, Tabletten oder Granulaten. Denn nach Auffassung der Haarmineralspezialisten kann man das Ungleichgewicht überschüssiger oder fehlender Elemente nicht einfach mit der täglichen Nahrung ausgleichen – der Körper würde gleichzeitig mit den erwünschten zu viele «falsche» Mineralien und Spurenelemente aufnehmen.

Ein Miniarchiv in jedem Haar
Der Mensch ist, was er isst. Die Zusammensetzung der Nahrung – und was der Stoffwechsel damit macht – bestimmt wesentlich den Gehalt unseres Körpers an Mineralstoffen und Spurenelementen wie Kalzium, Magnesium, Phosphor und Schwefel. Diese Elemente müssen im richtigen Verhältnis zueinander stehen, damit die Körperzellen ihre vielfältigen Aufgaben erfüllen können. Ein Ungleichgewicht begünstigt gesundheitliche Beschwerden. Wie alle Zellen enthalten auch jene der Haare Mineralien und Spurenelemente. Weil die Haare nach dem Austritt aus der Wurzel verhornen, schweissen sie die Inhaltsstoffe gleichsam in sich ein. So entsteht mit jedem Haar ein kleines Archiv des Mineralstoffspiegels der vergangenen Monate und Jahre.

Die Haarmineralanalyse untersucht die jüngsten Eintragungen in diesem Archiv, das heisst den Mineralstoffgehalt der letzten drei Monate. Dafür muss man ein bleistiftdickes Büschel Haare opfern. Sie werden unmittelbar über der Kopfhaut abgeschnitten und auf vier bis fünf Zentimeter gekürzt. Wenn auf dem Kopf nicht mehr genügend Haare wachsen, eignen sich auch Achsel- oder Schamhaare, wenn auch weit weniger gut. Im Labor wird das Material zunächst von allen abwaschbaren Spuren gereinigt und dann in Säure aufgelöst. Das Säurebad setzt die Mineralien und Spurenelemente frei. Mit einem technisch komplizierten Verfahren, der Atomabsorbtionsspektrometrie, lassen sich diese Stoffe nun messen.

Shampoo verwässert das Resultat Die Apparate der Atomabsorbtionsspektrometrie arbeiten sehr genau und werden für zahlreiche medizinische und physikalische Untersuchungen benutzt. Was die hochsensiblen Geräte aber bei der Haarmineralanalyse messen, ist umstritten. In den Haaren schlagen sich nicht nur die Stoffe nieder, die aus dem Körper dorthin gelangen, sondern auch zahlreiche Elemente aus der Umwelt: Shampoos, Chlorwasser aus der Badeanstalt, Färbemittel und Dauerwellenflüssigkeit. Sie können die Ergebnisse der HMA ebenso verfälschen wie Einflüsse aus der Luft. Zu jeder HMA gehört zwar ein Fragebogen, in dem der Patient Haarkosmetika und Schwimmbadbesuche angeben soll – aber wer weiss denn schon so genau, was seine Haare im letzten Vierteljahr alles erlebt haben? Wissenschaftliche Untersuchungen zur Aussagekraft der Haarmineralanalyse zeigen denn auch unterschiedliche Resultate. Für den Haartransplantationsspezialisten Franc Sagarra aus Münchwilen TG ist die HMA ein zuverlässiges Diagnoseinstrument, um den Ernährungs- und Mineralstatus des Körpers zu bewerten: «Sie macht deutlich, womit der Körper gefüttert wurde und was von aussen auf ihn einwirkte. Die HMA deckt vor allem auf, welche Einflüsse aus Nahrung und Umwelt eine zentrale Rolle spielten.»

Pathologen schwören auf HMA
Die überwiegende Mehrheit der Mediziner traut der Methode aber nicht. Zu ihnen gehört Professor Peter Itin, leitender Dermatologe am Kantonsspital Aarau: «Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Haarmineralanalyse über den Ernährungs- beziehungsweise Gesundheitszustand eines Menschen ungenügend Auskunft gibt. Nur ganz wenige Stoffwechselkrankheiten gehen mit einer Veränderung des Haarschafts einher. Durch eine sorgfältige klinische Untersuchung kommt man in aller Regel viel direkter, einfacher und präziser zur Diagnose.»

Eine Gruppe von Itins Berufskollegen steht jedoch voll und ganz zur umstrittenen Methode: Gerichtsmediziner sind auf die Analyse der Haarmineralien angewiesen – zum Nachweis von Arsen und Thallium bei der Aufklärung von Giftmorden.