Eigentlich ist es kein guter Tag zum Skifahren. Die Sicht ist schlecht, der Boden eisig. Es liegt wohl an diesen Umständen, dass die Piste wie leer gefegt wirkt. Diese eine Abfahrt noch, dann reichts für heute. Die Schneebar wartet. Plötzlich ein Schrei, irgendwo von links, aus dem Nebel. Wird sich bestimmt ein anderer darum kümmern, ist nach dem Schreck der erste Gedanke. Oder doch nicht? Kurz nachschauen wird wohl nicht schaden. Da vorn, mitten im Schneeweiss ein farbiger Fleck. Eine Frau. Himmel, das Bein sieht aber verdreht aus. «Hallo?» Keine Antwort. «Haben Sie Schmerzen?» Nichts. Nachdenken. Der Nothelferkurs. Jahre her. Da muss doch noch etwas übrig geblieben sein. Ein «Gabi» steigt vage im Hinterkopf auf – doch was bedeutet das kryptische Kürzel?

Das ABC-Schema anwenden

Die Frau regt sich noch immer nicht. Was nun? Auf weitere Helfer warten? Selber helfen, obwohl man nicht mehr genau weiss wie? Ins Tal fahren, um professionelle Hilfe zu holen?

«Helfen, und zwar so schnell wie möglich», lautet die klare Antwort von Hans Jacomet. Er ist leitender Arzt bei der Rega und erlebt bei Helikoptereinsätzen immer wieder, was Laienhelfer tun – oder eben lassen.

Dabei könnten schon wenige Grundregeln den meisten die Furcht vor der Nothilfe nehmen. Das altbekannte «Gabi» – es steht übrigens für «Gibt er Antwort? Atmet er? Blutet er? Ist Puls spürbar?» – hat in dieser Hinsicht allerdings ausgedient. «Heute beurteilen wir einen Patienten nach dem ABC-Schema», erklärt Jacomet. Atemwege frei? Beatmung nötig? Circulation (= Kreislauf) vorhanden? Das sind inzwischen die Fragen, die sich Laienhelfer stellen sollten.

Ist ein Patient nach dem ABC-Schema beurteilt, sollte man umgehend professionelle Hilfe alarmieren. Und dabei ruhig bleiben. Denn wer nicht umfassende und klare Angaben machen kann, riskiert das Leben des Patienten. «Oft werden professionelle Helfer zu spät alarmiert, und es werden ungenaue Angaben gemacht», weiss Arzt Jacomet aus eigener Erfahrung. Bei Unfällen in Skigebieten sollte primär der örtliche Rettungsdienst alarmiert werden, der im Bedarfsfall auch einen Helikopter anfordern wird.

Für Rettungssanitäter Urs Nussbaumer gehört das ABC-Schema zum Alltag. Er ist an der Fachschule für Rettungsberufe SRZ als Ausbildner tätig. «Sind die Atemwege blockiert, gilt es, den Mund auszuräumen und den Kopf etwas zu überstrecken.» Atme ein Patient nicht selbstständig, sei eine Beatmung nötig. Erst wenn diese erfolglos bleibe und der Patient noch immer keine spontanen Lebenszeichen (Puls, Atmung) zeige, dürfe man an eine Herzmassage denken. «Wird an einer Person, die keine benötigt, eine Herzmassage durchgeführt, kann das schwerwiegende, wenn nicht gar tödliche Komplikationen nach sich ziehen», erklärt Nussbaumer das Dilemma für einen Helfer. Denn das Unterlassen von Herzmassage oder auch Beatmung bei Patienten, die darauf angewiesen wären, hat ebenso fatale Folgen.

Was aber, wenn man nur noch ansatzweise weiss, wie lebensrettende Massnahmen ausgeführt werden? Im Notfall, so die Aussage der Rettungsprofis, muss man nach bestem Wissen und Gewissen handeln. Denn fatal ist, wenn man gar nichts tut. «Der wohl häufigste Fehler von Laien ist, dass sie sich nicht trauen zu helfen», sagt Rettungssanitäter Nussbaumer. Zur Auffrischung einen Erste-Hilfe-Kurs zu besuchen hat noch keinem geschadet. «Dadurch werden auch Hemmschwellen ein wenig abgebaut.»

Wenn immer möglich, sollte man den Verletzten nicht vom Unfallort wegbewegen. Von dieser Regel ausgenommen sind laut Nussbaumer nur Verletzte auf Autobahnen oder in lebensbedrohlichen Situationen – etwa wenn sie sich sehr nahe an einem Abgrund befinden und Absturzgefahr droht. Wichtig ist allerdings, die Unfallstelle richtig zu sichern – am besten noch vor Beurteilung und Versorgung des Patienten. Auf der Skipiste wird ein Unfall üblicherweise mit einem Paar gekreuzter Skier etwa zehn Meter oberhalb des Verletzten markiert.

Gaffer bitte wegschicken

Mit dem Alarmieren der Profis ist die Arbeit eines Laienhelfers aber noch lange nicht getan. Gerade auf der Skipiste, aber auch an allen anderen kalten oder nassen Orten gilt es, den Verletzten warm zu halten. Wichtig ist auch die Betreuung des Patienten. «Der Helfer sollte immer mit dem Verunfallten sprechen, sogar wenn dieser bewusstlos ist», rät Nussbaumer.

Ist ein Laie mit der Situation überfordert, sollte er so schnell wie möglich weitere Helfer organisieren. Hans Jacomet warnt aber davor, zu viele Menschen um den Verunfallten zu scharen: «Helfer, die wirklich helfen können, sind willkommen. Gaffer sollten aber höflich gebeten werden, sich zu entfernen.»