Antwort von Christine Harzheim, Psychologin FSP und systemische Familientherapeutin:

Wenn zwei Parteien, die voneinander abhängig sind, unterschiedliche Ziele verfolgen, muss man verhandeln, im Berufs- wie im Privatleben. Dabei entsteht häufig das von Ihnen beschriebene Dilemma: «Einer verliert immer.» Selbst Kompromisslösungen, bei denen beide Parteien Abstriche von ihren Forderungen machen, werden oft unter «beide haben verloren» abgebucht.

In den siebziger und achtziger Jahren untersuchten Forscher der Universität Harvard, welche Verhandlungsvarianten es gibt und wie erfolgreich sie sind. Meist haben sie die beiden in Ihrer Frage skizzierten Formen beobachtet: Entweder wurde weich verhandelt, um Streit zu vermeiden, nach dem Motto: «Lieber gebe ich nach, damit der andere mir nicht dauerhaft böse ist.» Oder man verhandelte hart und ging mit dem Entschluss in die Auseinandersetzung, keinen Millimeter nachzugeben und sich durchzusetzen.

«Alle Parteien sollen einen grösstmöglichen Nutzen aus der gemeinsam gefundenen Lösung ziehen.»

Christine Harzheim

Die Wissenschaftler gingen der Frage nach, ob es nicht auch Verhandlungen gibt, die anders verlaufen – und stiessen auf eine kleine dritte Gruppe. Diese verhandelte sachgerecht und konnte so die Nachteile des harten respektive weichen Stils vermeiden. 

Die Forscher untersuchten die Eigenheiten dieses dritten Weges und beschrieben ihn als Harvard-Konzept. Dieses Verhandlungskonzept ist keine Gewinner-Verlierer-Strategie, sondern strebt die sogenannte Win-win-Situation an. Alle an der Verhandlung beteiligten Parteien sollen einen grösstmöglichen Nutzen aus der gemeinsam gefundenen Lösung ziehen.

Das Verhandlungskonzept beschreibt vier Regeln, die man beachten soll.

  • Personen und Probleme trennen: Ich akzeptiere, dass der andere genau wie ich sein Ziel verfolgt. Ich gestehe ihm zu, dass er seine eigene (vielleicht verschrobene) Meinung hat und diese mir gegenüber vertritt. Ich hinterfrage seine Position, aber greife nicht ihn als Menschen an. Ich werfe ihm nicht Unfähigkeit, Sturheit und Uneinsichtigkeit vor. Ich bleibe sachgerecht.

    Beispiel: Jan und Pia wollen gemeinsam in die Ferien. Er will Alpen (sie hasst Berge). Sie will Meer (er findet Strandurlaub doof). Beide akzeptieren den Unterschied in den Vorlieben und sind nicht wütend auf den Partner/die Partnerin.

  • Sich auf Interessen statt auf Positionen konzentrieren: Ich greife nicht die Position des anderen an und versuche nicht, ihn zu meiner Position zu bekehren. Ich interessiere mich für die hinter seiner Position liegenden Interessen und Bedürfnisse.

    Beispiel: Jan braucht in den Ferien Ruhe und Abgeschiedenheit, um sich zu regenerieren. Pia sehnt sich danach, am Wasser zu sein, Weite zu geniessen.

  • Lösungen zum Vorteil von beiden Seiten entwickeln: Die ersten beiden Regeln führen zu einer positiven Grundstimmung. So wird es möglich, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die den Interessen und Bedürfnissen beider Parteien entsprechen.

    Beispiel: Jan und Pia suchen nach einem Ort, der Ruhe und Abgeschiedenheit bedeutet und am Wasser liegt (zum Beispiel die Seenplatte in Skandinavien).

  • Neutrale Beurteilungskriterien verwenden: Die Lösung sollte nicht nur zu einer Einigung führen, sondern auch neutralen Kriterien genügen. Das ist vor allem dann wichtig, wenn noch andere betroffen sind und man die Lösung zum Beispiel in einem Team vertreten muss. Wenn trotz allen Bemühungen keine gemeinsame Lösung erarbeitet werden kann, wird die neutrale Entscheidung eines Dritten oder auch ein Münzwurf an dieser Stelle als Lösung eher akzeptiert.

Diese Methode, nicht hart oder weich, sondern sachgerecht zu verhandeln, ist überall da gefragt, wo man es sich nicht leisten kann, dass Verluste auf einer Seite entstehen. Ein empfindliches Gleichgewicht in Paarbeziehungen, in politischen Verhandlungen oder auch in Arbeitsverhältnissen kann man so schützen. Zugleich kann man Racheimpulse oder Eskalationen verhindern.

Buchtipp

  • Thomas Fritzsche: «Souverän verhandeln. Psychologische Strategien und Methoden»; Verlag Hogrefe, 2016, 248 Seiten, CHF 27.90