Steh nicht da wie ein Nussgipfel!» So mahnten schon unsere Grosseltern ihre Kinder, und doch war diese Aufforderung noch nie so begründet wie heutzutage. Jedes zweite Kind weist eine Haltungsschwäche auf, wie eine deutsche Untersuchung zeigt. In der Schweiz gaben bei Befragungen bis zu 50 Prozent der Kinder an, unter Rückenschmerzen zu leiden. Viele Ärztinnen und Ärzte sind besorgt: «Wir sehen viele Kinder, bei denen alles hängt», sagt die Schulärztin Renata Kaiser Xavier.

Die Hauptursache kindlicher Haltungsschwächen ist zu wenig Bewegung. Wenn Kinder sich nicht austoben können und keinen Sport treiben, führt dies zu schwachen und verkürzten Muskeln. Ausserdem kann sich nicht genügend Knochendichte bilden. Mit prekären Folgen: «Im Alter zwischen 10 und 20 Jahren bauen wir das an Knochendichte auf, was wir nachher für unser Leben besitzen», erklärt Susanne Stronski, Leiterin des schulärztlichen Dienstes der Stadt Zürich. Der Grundstein für orthopädische Probleme im späteren Leben wird also bereits in der Kindheit gelegt.


Unterschied erkennen: Gute Haltung, schlechte Haltung


Nach vorn gezogene Schultern deuten auf eine verkürzte Brustmuskulatur.


Stark abstehende Schulterblätter, so genannte Engelsflügel, zeigen eine schwache Schultermuskulatur an.


Ein nach vorn gekipptes Becken mit rundem Rücken entsteht bei zu schwacher Rumpfmuskulatur.


Ein Hohlkreuz kann bei älteren Kindern auf abgeschwächte Bauchmuskeln hindeuten, bei Vorschulkindern ist es normal.


Ein mögliches Rezept gegen die kindlichen Haltungsschwächen ist das Haltungsturnen. Auf spielerische Art schulen die Kinder hier Muskeln, Beweglichkeit sowie Gleichgewichtssinn und lernen, den eigenen Körper besser wahrzunehmen. Allerdings ist es kein Zufall, dass zum Beispiel im äusserst dicht bebauten Zürcher Schulkreis Limmattal gleich 20 Kurse in Haltungsturnen angeboten werden und im wesentlich grüneren Schulkreis Zürichberg kein einziger. «Natürlich sind die Kinder im einen Schulkreis nicht einfach schwächer als die im anderen», betont Schulärztin Renata Kaiser Xavier, «aber dort, wo der Freiraum für Spiele und Bewegungsexperimente kleiner ist, wächst der Bedarf an Haltungsturnstunden.»

Eine Nationalfondsstudie über die Lebensräume für Kinder zeigt, dass rund ein Drittel der Fünfjährigen in Wohnumfeldern aufwachsen, die für ihre körperliche Entwicklung ungesund sind. Die Studie belegt, dass sich fünfjährige Kinder, die allein im Freien spielen dürfen, motorisch wesentlich besser entwickeln als jene Fünfjährigen, die nur in Begleitung der Eltern hinaus können.

Kinder geraten in einen Teufelskreis


Sogar die Bewegungskiller Fernseher und Computer sind vom äusseren Lebensraum abhängig: Bei schlechter Spielumgebung sind die kindlichen Einschaltquoten bis zu sechsmal höher als bei einem kinderfreundlichen Wohnumfeld. Denn insbesondere kleine Kinder tun nichts lieber als sich bewegen. «Kinder mit Haltungsproblemen sind jene Kinder, die man gehindert hat, das zu tun, was der Mensch von Natur aus macht», sagt Renata Kaiser Xavier. Mit zehn Jahren sei dann das Feuer schon etwas erloschen, und in der Pubertät sei nichts mehr zu wollen: «Manche Jugendliche zelebrieren ihre Unsportlichkeit regelrecht.»

Alarmierend ist auch die steigende Zahl an Übergewichtigen: Jedes fünfte Kind in der Schweiz ist zu dick. Jedes zwanzigste Kind ist gar fettleibig. Auch hier gilt: Wer sich zu wenig bewegt, nimmt zu, und wer zu dick ist, dem fällt Bewegung buchstäblich schwerer, Haltungsfehler sind programmiert – ein Teufelskreis.

Um das zu verhindern, können Eltern Folgendes tun:

  • Schaffen Sie eine kindgerechte Umgebung: Seit 2002 ist es mit der Verordnung der Begegnungszonen möglich, Quartierstrassen so zu gestalten, dass Kinder ungefährdet spielen können. Beratung bieten Fussverkehr Schweiz und der Verkehrs-Club der Schweiz (siehe «Hier finden Sie Rat»).
  • Bringen Sie Ihre Kinder nicht mit dem Auto zur Schule: Ein Weg von 20 bis 30 Minuten kann Kindern zugemutet werden, falls er nicht zu gefährlich ist.
  • Ermöglichen Sie älteren Kindern den Besuch eines Sportklubs: Für die Haltung günstig sind Schwimmen, Turnen, Leichtathletik oder Kampfsportarten wie Karate, Ringen oder Schwingen. Bei Letzterem finden gerade auch übergewichtige Kinder Erfolgserlebnisse.
  • Achten Sie auf den Schulthek: Leer sollte er nicht mehr wiegen als ein Kilo, gepackt nicht mehr als zehn Prozent des Körpergewichts. Passen Sie die Länge der Gurte gut an: Sind sie zu lang, begünstigen sie ein hohles Kreuz; sind sie zu kurz, fördern sie einen Rundrücken.
  • Kaufen Sie Sitzmöbel, die auf die Grösse des Kindes einstellbar sind.


Hier finden Sie Rat

  • Fussverkehr Schweiz: Telefon 043 488 40 30
  • Verkehrs-Club der Schweiz: Telefon 062 956 56 56
Quelle: Zefa Blueplanet