Leserfrage: «Wir lieben uns, aber wir schlafen kaum noch miteinander. Das belastet unsere Beziehung. Was raten Sie?»

Die erste Phase einer Beziehung ist von Lust und Leichtigkeit geprägt Biochemie Das Rätsel der Liebe . Sex passiert einfach. Ehe man sichs versieht, dominieren dann aber Alltag, Routine und Vertrautheit – und trotz Verbundenheit wächst die körperliche Distanz, und etwas Fundamentales scheint zu fehlen. Es wird immer schwieriger, die Schwelle zwischen sich und dem anderen zu überwinden. Die zunehmende Spannung und Sprachlosigkeit lassen erahnen: Kein Sex ist auch keine Lösung.

Kinder Sexualität Wenn die Begierde einschläft , Karriere, Leistungsdruck und Existenzsicherung haben den anfänglichen Strom der Leidenschaft so kanalisiert, dass er versiegt oder nur noch trübe dahinrieselt.

«Nicht jetzt, nicht heute»

Paare in einer Beratung berichten, dass ihr Zustand nicht einfach «tote Hose» ist, sondern dass im Gegenteil auf beiden Seiten eine grosse Sehnsucht nach Nähe besteht, die aber keinen körperlichen Ausdruck mehr findet.

Häufig hängen Paare dann in verhärteten Konstellationen fest:

Selbstverständlich können die Rollen auch umgekehrt verteilt sein.

Fordern gegen Zögern

Hier entstehen unzählige unbeabsichtigte Kränkungen, Ressentiments und Missverständnisse. So scheint jede Erektion zum fordernden Ausrufezeichen zu werden, und jedes Zögern gerät zu: Geh weg, ich will dich nicht. Der Kummer ist auf beiden Seiten gross.

Und in der tosenden Sprachlosigkeit zweifeln beide, ob er oder sie noch begehrt wird, ja überhaupt begehrenswert ist. Reden kann man kaum darüber, die Gefahr, erneut abgewiesen zu werden, ist zu bedrohlich. Stattdessen schützt man sich. Nackt aufeinander zuzugehen (körperlich und seelisch), wird immer schwieriger.

«Lassen Sie wieder Spass am Kontakt entstehen, am unbefangenen Ausprobieren.»

Christine Harzheim, Psychologin FSP und systemische Familientherapeutin

Schliesslich richtet man sich in einer traurigen Komfortzone ein. Man vermeidet. Geht zu unterschiedlichen Zeiten ins Bett, zieht sich im Badzimmer um, umschifft jede Intimität, weil sie die ungestillte Sehnsucht nach Nähe wieder entfachen und die Unmöglichkeit, sich zu begegnen, besiegeln könnte.

Um die Kluft zwischen «Ich will aber Geschlechtsverkehr» und «Mir fehlt die nötige Lust» zu überwinden, müssen beide bereit sein, ihre jeweilige Komfortzone zu verlassen. Lassen Sie wieder Spass am Kontakt entstehen, am unbefangenen Ausprobieren. Nehmen Sie sich Zeit und geben Sie sich Raum. Es geht darum, die ungute Verengung aufzulösen. Sexualität kann wesentlich mehr sein als ein immer gleicher, heisser Akt von Vorspiel, Höhepunkt und Schluss.

Sich treiben lassen

Die Blockade ist keine Frage der Technik, sondern es geht um Offenheit Über Sex reden Die grosse Stille und Zugewandtheit in der Begegnung. Am besten ohne Plan und Ziel, ohne Vorbedingung. Für liebe- und lustvolle Berührungen braucht es keine Start-Erregung. Ziele (mein Orgasmus, dein Orgasmus) können eher stören. Wichtiger ist es, sich einfach absichtslos treiben zu lassen, zu spüren, was entsteht. Was empfinde ich, was das Gegenüber? Natürlich darf sich auch Ekstase einstellen. Wenn sie aber muss, verweigert sie sich.

Eine achtsame sexuelle Verbindung, bei der alles darf, aber nichts muss, wird zum Beispiel in Strömungen des sogenannten Neo-Tantra beschrieben. Das ist eine an unsere westliche Kultur adaptierte Form, die auf einer alten spirituellen Tradition aus dem Buddhismus und Hinduismus fusst. Ziele und Erwartung ruhen zu lassen, zu entschleunigen Geniessen lernen Mit Genuss gegen die Widrigkeiten des Alltags und sich wieder als sinnlich und offen zu erleben, ermöglicht eine neue Form von Nähe und Vertrauen. Hier kann der Boden bereitet werden für eine lustvolle Form von entspannter Sexualität, die nicht nur auf den Gipfel losstürmt, sondern das feiert, was gerade (möglich) ist – und so ein Gegenpol zum stressigen Alltag sein kann.

Weitere Buchtipps
  • Eva-Maria Zurhorst: «Soulsex. Mit Lust die Liebe neu entdecken»; Goldmann, 2019, 352 Seiten, Fr. 15.90
  • Diana Richardson: «Slow Sex. Zeit finden für die Liebe»; Integral, 2011, 240 Seiten, Fr. 28.90
  • David Schnarch: «Die Psychologie sexueller Leidenschaft»; Klett-Cotta, 2016, 512 Seiten, Fr. 23.90
Buchtipp
«Was Paare stark macht» und «Guter Sex»
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