Mein Partner hat Probleme mit der Sexualität: Er kann seine Erektion nicht halten. Ich dachte, das sei auf sein langes Alleinsein zurückzuführen und würde dann schon besser werden. Bis er mir gestand, dass er regelmässig Sexmagazine kaufe und auch im Internet in den einschlägigen Seiten blättere. Ist es denkbar, dass er sich dort Appetit holt, den er dann mit mir befriedigt? Und wie viel Verständnis soll ich noch aufbringen? Mara F.

Wenn ich Ihre Schlussfrage wörtlich nehme, ist meine Antwort klar: Man kann gar nie genug Verständnis für einen andern Menschen entwickeln. Es ist sicher nützlich für eine Konfliktlösung, wenn Sie sich in Ihren Partner einfühlen können. Allerdings sollten Sie ihm auch offen Ihr eigenes Erleben mitteilen, damit er merkt, was sein Verhalten bei Ihnen bewirkt. Zweifellos geht das nicht ohne Kränkung, Verletzung oder Enttäuschung ab; vielleicht befällt Sie auch etwas Traurigkeit darüber, dass er seine Sexualität nicht mit Ihnen teilt.

Sie haben mit Ihrer Frage aber wahrscheinlich vor allem dies gemeint: Soll ich da mitspielen? Kann oder will ich in einer solchen Beziehung leben? Das ist ein ganz anderes Thema. Verständnis haben bedeutet eben nicht, etwas einfach hinzunehmen, zu billigen oder sich total anzupassen. Sie haben natürlich auch das Recht, sexuell auf Ihre Rechnung zu kommen. Falls es mit diesem Mann nicht möglich sein sollte, müssen Sie sich vielleicht sogar von ihm trennen und jemanden suchen, der Ihre Bedürfnisse besser erfüllt.

Eine Erektion ist allerdings nicht alles. Es gibt viele aufregende und Lust bringende erotische Spiele zwischen Mann und Frau, bei denen die Potenz nicht im Zentrum steht. Es muss nicht unbedingt ein Koitus sein. Auch die Haut, die Hände und der Mund können als Instrumente der Lust dienen. Meist verschwinden die Probleme in der Sexualität sogar, wenn das Paar aufhören kann, bestimmte starre Erwartungen zu hegen, wenn zwei nicht nach Schema F vorgehen, sondern die Begegnung als kreatives (Liebes-)Spiel gestalten können.

Voraussetzung sind natürlich Mut zur Offenheit, Abbau von Hemmungen und Freude am eigenen Begehren. Das ist übrigens der einzig positive Aspekt von Pornografie: Wenn ein Paar gemeinsam erotische Filme oder Hefte anschaut, kann dies helfen, Hemmungen abzubauen, und es kann die Fantasie und die Experimentierfreude anregen. Dass der Partner von Mara F. seine Sexualität allein auslebt, ist dagegen für beide Partner eher traurig.

Für wirklich erfüllten Sex brauchts zwei
Sexualität ist ihrem Wesen nach Begegnung. Ein alter Mythos erzählt, dass Gott den Urmenschen in zwei Teile gespalten hat, in Mann und Frau, und dass die zwei Hälften erst wieder zur Ruhe kommen, wenn sie vereint sind. Darum sind Liebe und Sexualität derart starke Kräfte. Wenn sich jemand in häufige einsame Selbstbefriedigung, in überbordende Fantasien oder virtuelle Begegnungen flüchten muss, ist etwas schief gelaufen, oder es stimmt in der aktuellen Beziehung etwas nicht.

Noch ein paar Worte zur «Appetitanregung», von der Mara F. spricht. Ich kenne zwar im Zusammenhang mit Liebe und Sexualität den Spruch: «Den Appetit kann man sich auswärts holen, aber gegessen wird zu Hause.» Falls das jedoch so verstanden wird, dass man während des Zusammenseins mit der Partnerin oder dem Partner auch an jemand anderen denken kann, bin ich überhaupt nicht damit einverstanden. Ich empfinde es sogar als unmoralisch und verlogen, so zu tun, als würde die aktuelle Begegnung eine Leidenschaft wecken, die eigentlich jemand anderem gilt.