So ziemlich alle waren irritiert, als wir uns vor gut einem Jahr aufmachten, Augenblicke des Glücks zu sammeln und zu verbreiten. Für das Experiment, Fahrgästen ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern, hatten wir uns die Trogenerbahn ausgesucht. Sieben Jugendliche im Alter von 14 bis 16 Jahren traten auf der Fahrt von St. Gallen in Richtung Speicher/Trogen in Aktion – als Spione, Glücksbringer, Charmeure. «Darf ich Ihnen eine Rose überreichen, um Ihr Lächeln etwas aufzufrischen?», fragte Chris eine junge Frau. Auf die andern Passagiere ging er nicht minder charmant zu. Sein Blumenstrauss lichtete sich schnell.

Oliver und Victor hielten den Passagieren einen Zylinder hin, aus dem sich die Ahnungslosen Zettel ziehen durften. Was es denn koste, wollte eine ältere Frau wissen. «Nichts, vielleicht ein Lächeln», strahlte Oliver. Geschenkt wurde den Passagieren auf den Zetteln ein Glücksmoment, festgehalten in früheren Aktionen, bei denen Menschen die Frage gestellt wurde: «Was bedeutet für Sie Glück?»

«Entschuldigen Sie, sind Sie schon mal schwarzgefahren?», fragte Corinne einen Fahrgast, unter einem dunklen Hut schelmisch hervorblinzelnd. Und ergänzte, sich flüsternd als Beiständin für Schwarzfahrer outend: «Ich hätte noch ein Ticket übrig, wenn Sie wollen.» Verwirrung und Verwunderung über solch eigenartiges Tun zeichnete sich auf dem Gesicht des Gegenübers ab, doch Corinnes Charme siegte, und ein Gespräch über Glück, Schule und Schwarzfahren nahm seinen Lauf.

Das Schnuppern in fremdem Glück
Dann ertönte über den Lautsprecher der Trogenerbahn die Nachricht: «Soeben ist eine Glücksmeldung eingegangen. Sie lautet: ‹Als es zum vierten Mal Frühling wurde in diesem Jahr.›» Das Schnuppern in fremdem Glück wirkte ansteckend auf die Fahrgäste. Es war amüsant und teilweise auch rührend, als Eingeweihter die Reaktion der Angesprochenen zu beobachten. Viele schienen zunächst überfordert, als sie spontan nach einem Glücksmoment aus ihrem Leben befragt wurden. Die meisten waren sichtlich gerührt, einige verpassten sogar ihre Haltestelle oder stiegen absichtlich nicht aus.

Wir denken ja primär an das Grosse. Mich aber interessiert das Kleine, jene Momente, die einen die Zeit vergessen lassen. So mussten die jungen Glückssammler erst verständlich machen, wonach sie suchten. Nach einigen Beispielen wie «Als meine Tochter einen schweren Autounfall überlebte», «Als ich meine erste eigene Wohnung bezog», «Als mein behinderter Sohn eine Stelle bekam» erhellten sich die Gesichter der Fahrgäste, und mit einem Lächeln auf den Lippen erzählten viele ihre eigenen Erlebnisse. Glücks-Chronistin Conni tippte sie in die Tasten einer alten «Hermes»; 71 kleine Geschichten waren es zum Schluss.

Es gab aber auch die, denen die Frage nach dem persönlichen Glücksmoment zu privat war. Hart traf es da Chris, den Rosenkavalier: Nicht alle liessen sich eine Blume schenken. Etwas anzunehmen fällt vielen Menschen schwer. Für denjenigen, der von Herzen etwas geben will, ist das eine glatte Ohrfeige. Reagiert aber haben alle, die zufällig in der Bahn sassen. Das Glück beschäftigt ja jeden und wird von allen angestrebt. Nur bringt Glück nicht viel, wenn man es nicht wahrnimmt.

Die Idee zu einer Meldestelle für Glücksmomente hatte ich im Sommer 2002 in einer kleinen Bucht an der apulischen Küste. Gut gelaunt blätterte ich in einer Zeitung und stiess dabei auf ein Interview mit dem ungarischen Glücksforscher Mihaly Csikszentmihalyi. Plötzlich hatte ich die Vision von einem Transparent mit dem Schriftzug «Meldestelle für Glücksmomente». Eine Idee, die mich unruhig und nervös machte und so schnell nicht mehr loslassen sollte. Zwei Jahre später eröffnete ich die erste Meldestelle im St. Galler «Lagerhaus». Meine Initiative versuchte ich mit meiner Tätigkeit als Berater im Haus des Lernens in Herisau zu verbinden, wo eine weitere Meldestelle entstand, die von Jugendlichen geführt wird. Bei den Aktionen ziehe ich mich wann immer möglich in den Hintergrund zurück, um die Bühne den Jugendlichen zu überlassen. Ich verstehe mich als Bühnenarbeiter, der eine Plattform mitbaut, auf der junge Menschen experimentieren, sich darstellen und sich inszenieren können.

Warum gibt es keinen Blaustift? Meine persönliche Motivation? Leidenschaft. Schneidet man bei einer Tageszeitung alle schlechten Nachrichten aus, kann man durch sie hindurchsehen. Dieser globalisierten, beschleunigten, defizitorientierten Gesellschaft und ihrer negativen Stimmungsmache will ich etwas entgegensetzen. Ich sehe die Meldestelle für Glücksmomente als Gegenerfindung zur Klagemauer, zum Klatsch, zum Schulverweis. Oder zum roten Stift. Warum gibt es in der Schule keinen blauen Stift, der besonders gelungene Sätze in einem Aufsatz lobend hervorhebt? Wieso nicht aus positiven Ereignissen Elefanten machen?!