«Ich sah alles gleichzeitig»
Was kommt nach dem Tod? Die Historikerin Magdalen Bless, 60, nahm als 20-Jährige einen Augenschein vom Jenseits – und schlüpfte im letzten Moment zurück ins Leben.
Veröffentlicht am 5. Januar 2009 - 08:39 Uhr
Bewusstlos lag ich da. Und doch war ich auf einer anderen Ebene wach – da wusste ich instinktiv: Ich sterbe gerade. Das überraschte mich. Doch dann erinnerte ich mich, dass ich gerade noch im Wagen meines Vaters gesessen hatte – wir mussten wohl einen Autounfall gehabt haben.
Doch halt! Das geht nicht – es sterben doch immer nur die anderen, aber nicht ich, ich bin erst 20. Im nächsten Moment wurde ich von einem Sog mitgerissen, gegen den ich machtlos war. Ich kannte das Gefühl von meinen ersten Schwimmversuchen im Rhein. Angst hatte ich keine. Ich kam in einen Tunnel, es war dunkel und eng, und ich hörte ein dröhnendes, glockenähnliches Geräusch. Einen Moment später fühlte ich mich leicht und frei, ich schwebte in der Luft. Unter mir sah ich in einem Erdbeerbeet einen leblosen Körper liegen – und wusste: Das bin ich.
Da ging der berühmte Film vom eigenen Leben los: Ich sah alles gleichzeitig, durchschaute alles, mein Leben machte plötzlich Sinn. Der Schwerpunkt lag auf den glücklichen Momenten, doch ich sah auch viele Lieblosigkeiten von mir, die mir leid taten. Es war aber kein peinvolles Selbstgericht, sondern ein faszinierendes Erkennen, eingebettet in ein Verstehen und Verzeihen. Ich sah, dass alles mit allem verbunden ist und eine gewaltige Kraft das ganze Universum zusammenhält: Liebe! Ich war erleichtert. Nun schien alles abgeschlossen.
Der Fluss zog mich weiter. Lichte Gestalten kamen auf mich zu, zuvorderst meine Grossmutter. Ihr Tod hatte mich damals zutiefst deprimiert. Ich dachte, man falle danach in ein schwarzes Loch, ins Nichts – doch nun sah ich meine Grossmutter gesund, strahlend und überglücklich. Meine Angst und meine Trauer waren wie weggewischt. Ich fand Antworten auf alle Fragen. Mit der wachsenden Erkenntnis wurden auch meine Gefühle intensiver, so dass ich dachte: Jetzt platze ich gleich vor Glück. Da erschien auf einmal ein unbeschreiblich schönes Licht, das vor Leben, Geist, Kreativität pulsierte. Ich fühlte mich unheimlich angezogen von diesem mystischen Strahlen, das eine bedingungslose Liebe verströmte und von dem ich wusste: Das ist das Ziel, dort wird es ewig weitergehen.
Doch plötzlich stockte der Fluss, und zu meinem Erstaunen hörte ich eine Stimme. Sie war mir vertraut, schien aber aus einer anderen Dimension zu kommen. Es war die Stimme meines verzweifelten Vaters, der offenbar annahm, ich sei schon tot, und im Schock immer wieder meinen Namen rief. Damit tat er intuitiv das Richtige, denn der letzte Sinn, den Sterbende verlieren, ist der Gehörsinn.
Um Himmels willen, dachte ich, ich will nicht zurück! Doch da stellte ich mir meine Beerdigung vor, wie alle weinen würden, und wusste: Das muss ich verhindern. Ich wusste ja auch, dass ich früher oder später hierher zurückkomme. Und so stemmte ich mich mit allen Kräften gegen den Strom – und fiel zurück ins Leben. Im ersten Moment war es eine herbe Enttäuschung, zurück zu sein in diesem engen Körper, der voller Schmerzen war. Doch schon kurze Zeit später freute ich mich riesig über dieses geschenkte zweite Leben.Was du erfahren hast, glaubt dir sowieso niemand, dachte ich dann im Spital – und behielt alles für mich. Erst sieben Jahre später erzählte ich zum ersten Mal davon, in einer geselligen Runde, bei der auch mein damaliger Professor anwesend war. Er behauptete, mit dem Tod sei alles aus. Da musste ich etwas sagen, auch wenn es mich Überwindung kostete: Man hätte mich ja auch für verrückt halten können.
Heute ist das Thema kein Tabu mehr. Die Leute reagieren meistens erleichtert auf meine Schilderungen, vor allem ältere Menschen, die noch mit der Vorstellung einer Hölle aufgewachsen sind. Wenn jemand erwähnt, er habe Angst vor dem Tod, versuche ich, Trost zu spenden, indem ich von meinem Erlebnis erzähle.
Eine Nahtoderfahrung ist keine Halluzination und lässt sich auch nicht mit Sauerstoffmangel erklären. Der verursacht allenfalls ein euphorisches Gefühl. Es gibt Menschen, die von ihrer Nahtoderfahrung die einsteinsche Relativitätsformel zurückbrachten, obwohl sie vorher nie davon gehört hatten. Theorien, die diese Vorgänge auf biochemische Prozesse zurückführen, erklären nicht den Umstand, dass manche nach ihrer Reanimation genau sagen können, was während ihres klinischen Todes um sie herum vor sich ging. Was geschieht mit dem Bewusstsein, wenn das Gehirn allmählich stirbt? Laut dem Neurochirurgen Wilder Penfield muss es an eine neue Energiequelle andocken. Anders lassen sich Nahtoderfahrungen kaum erklären. Alles ist letztlich Energie. Es gibt weitere Dimensionen jenseits von Raum und Zeit.
Diese Nähe zum Tod hat mein Leben verändert. Davor war ich ziemlich kopflastig. Heute bin ich ganzheitlicher, intuitiver, spiritueller. Ich befasse mich neben meiner wissenschaftlichen Arbeit seither auch mit Mystik. Auch wurde mir erst nach dem Unfall bewusst, wie wunderschön die Natur ist: Als ich im Spital Blumen in den Händen hielt, war ich angesichts dieser Pracht zu Tränen gerührt. Das Gefühl, dass das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen ein unermessliches Geschenk ist, ist tief in mir verwurzelt.