Gutgelaunt und ohne jedes schlechte Gewissen stieg Anny W.* in Rapperswil in den Zug. Sie war im Auto zu einem Geburtstagsfest angereist und fuhr nun mit der SBB nach Zürich weiter. Ein anderer Gast hatte ihr sein Billett gegeben. Sie zeigte dem Kontrolleur also unbeschwert ihr Ticket – und fiel aus allen Wolken, als sie erfuhr, dass sie ohne gültigen Fahrausweis unterwegs sei und 80 Franken Zuschlag zahlen müsse. Sie sitze in einem Regionalzug und hätte ihr Billett zuvor am Automaten entwerten müssen. Die Frau war entsetzt. Sie, die oft Intercity-Züge benutzte, in denen sie Billette auch nachlösen konnte, sollte plötzlich eine Schwarzfahrerin sein.

Dass Anny W. ohne böse Absicht gehandelt hatte, half ihr nicht: «Wir wollen alle Fahrgäste gleich behandeln, das ist eine Frage der Fairness», sagt Roman Marti, Mediensprecher der SBB. Als Kontrolleur wisse man eben nicht, ob der Fahrgast schummle oder nicht.

2002 waren laut Marti 4,4 Prozent der kontrollierten Fahrgäste schwarzgefahren, 2008 nur noch 1,4 Prozent. Das Vorgehen der SBB ist rigoroser, die Strafen sind schärfer geworden. Dürfen die SBB so hart vorgehen? Wie können sich Fahrgäste wehren? Hier die Antworten zu den Fragen, die an der Beobachter-Hotline oft gestellt werden:

Stimmt es, dass die SBB ein Register der Schwarzfahrer führen?
Ja, seit 2006 registrieren die SBB die Personalien aller ertappten Schwarzfahrer. Die Bahnen versprechen, den Eintrag zwei Jahre nach Eingang der Zahlung zu löschen – dies aber nur, wenn der Registrierte während dieser Zeit nicht erneut erwischt wird.

Kann ich die registrierten Daten einsehen?
Ja, jeder Kunde hat das Recht auf Einsicht in die gespeicherten persönlichen Daten. Schicken Sie ein entsprechendes Gesuch an das SBB-Inkassocenter, Postfach, 8021 Zürich, und legen Sie eine Kopie Ihres Passes oder Ihrer Identitätskarte bei. Weitere Auskünfte können Sie auch per E-Mail anfordern unter fahrausweiskontrolle@sbb.ch.

Wird man angezeigt, wenn man schwarzfährt?
Zu einem Strafverfahren kommt es nur, wenn die SBB bei der Polizei oder der Untersuchungsbehörde einen Strafantrag stellen. Das machen die Bahnen in der Regel jedoch erst, wenn ein Schwarzfahrer mindestens dreimal erwischt wurde.

Warum kann man in einigen Zügen ein Billett kaufen oder einen Klassenwechsel lösen und in anderen nicht?
Das fragen sich viele Passagiere, vor allem, wenn sie nur unregelmässig Zug fahren. Die SBB unterscheiden zwischen Fern- und Regionalverkehr. In Fernverkehrszügen kann ohne weiteres ein Billett nachgelöst werden – man zahlt einzig einen Zuschlag von fünf Franken. Wer kein Geld bei sich hat, erhält die Rechnung per Post und muss eine Bearbeitungsgebühr von 30 Franken zahlen.

Anders ist es im Regionalverkehr. Hier ist das Lösen einer Fahrkarte, eines Klassen- oder Streckenwechsels im Zug nicht möglich. Hier gilt die sogenannte Selbstkontrolle: Der Passagier muss bereits vor Antritt der Reise ein gültiges Billett haben. Wer ohne Ticket oder in der falschen Klasse erwischt wird, zahlt einen hohen Zuschlag. Dies selbst dann, wenn die Person gar nicht weiss, dass sie in einem Zug mit Selbstkontrolle sitzt.

Wie erkennt man denn einen Zug mit Selbstkontrolle?
Erkennungszeichen ist das gelbe Auge: Sobald ein Zug mit diesem Symbol markiert ist, gilt Selbstkontrolle. Die SBB interpretieren das Erkennungszeichen als eindeutig und klar, aber viele Passagiere, vor allem solche, die nicht in städtischen Gebieten wohnen, kennen es nicht.

Wie hoch sind die Bussen für Schwarzfahren?
Die Bussen können ins Geld gehen: Reisende ohne gültigen Fahrausweis werden beim ersten Mal mit 90 Franken, beim zweiten mit 130 und beim dritten Mal mit 160 Franken zur Kasse gebeten. Dies sind aber keine Bussen im juristischen Sinn, sondern Zuschläge, welche die SBB erheben; das Geld bleibt denn auch bei den SBB. Eine Busse würde an die Staatskasse gehen und ein strafrechtliches Verfahren voraussetzen. Die Rechnung für die Zuschläge stellen die SBB schriftlich zu. Wer diese nicht rechtzeitig begleicht, muss für die Mahnung nochmals 40 Franken hinlegen.

* Name der Redaktion bekannt

Muss der Fahrgast den Zuschlag auch zahlen, wenn der Billettautomat am Perron nicht funktioniert?
Wenn die SBB selber dafür verantwortlich sind, dass der Kunde keinen Fahrschein lösen kann, muss dieser den Zuschlag nicht zahlen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn es am Bahnhof nur einen einzigen Billettautomaten gibt, dieser aber kaputt ist. Steht jedoch auf einem anderen Perron ein weiterer Automat, dann verlangen die SBB den Zuschlag. Die Bahnen vertreten die Auffassung, dass der Kunde selber dafür sorgen muss, rechtzeitig am Bahnhof zu sein, um eine Fahrkarte trotz allfälliger Widrigkeiten zu lösen oder abzustempeln.

Die SBB dürfen einen Zuschlag von Rechts wegen eigentlich nur dann erheben, wenn der Fahrgast absichtlich schwarzfahren will, ihn also ein Verschulden trifft. Das hat, wie der Beobachter im Herbst berichtete, auch ein Richter im Kanton Solothurn festgestellt: Er sprach einen Mann frei, der auf Anraten von zwei Kondukteuren in einen Regionalzug umstieg, nachdem er versehentlich einen falschen Zug genommen hatte. Der Richter kam zum Schluss, der Passagier müsse keinen Zuschlag zahlen, weil er die offensichtliche Absicht hatte zu zahlen, sich aber auf einer Irrfahrt befand.

Stimmt es, dass die SBB einem Fahrgast das Generalabonnement abnehmen können?
Ja, das machen die SBB tatsächlich, und zwar dann, wenn Missbrauch mit einem GA betrieben wird, etwa wenn zwei Personen das gleiche GA benützen. Zudem wird ein Zuschlag von 100 Franken erhoben. In der Transportverordnung ist zwar vorgesehen, dass die SBB einen missbräuchlich verwendeten Fahrausweis einziehen können. Ein solcher Entzug muss aber immer verhältnismässig sein. Das scheint nicht immer gewährleistet zu sein – schlussendlich müsste das ein Richter überprüfen.

Wie kann man sich wehren, wenn man sich ungerecht behandelt fühlt?
Jeder als Schwarzfahrer Ertappte erhält ein Formular, auf dessen Rückseite die Bedingungen für das weitere Vorgehen aufgeführt sind. Wer sich gegen einen Zuschlag oder Entzug des GA wehren will, wendet sich an den SBB-Kundendienst oder an das «Kunden-Echo» (Telefon 0900 300 300; CHF 1.19 min vom Schweizer Festnetz). Hilfe bietet auch die Ombudsstelle für den öffentlichen Verkehr (www.ombudsstelle.ch).

Ist eine Beschwerde gegen den Zuschlag stichhaltig und gut begründet, reduzieren die SBB den Zuschlag oft auf 40 Franken. Wer damit nicht zufrieden ist, braucht sehr gute Argumente. Als letzte Massnahme bleibt der Gang vor den Zivilrichter. Ein solches Verfahren hat aber nur Aussicht auf Erfolg, wenn der Kunde sehr gute Beweise vorlegen kann, dass ihn keinerlei Verschulden trifft. Solche Beweise sind teils mit Aufwand verbunden: Es ist beispielsweise hilfreich, bei einem defekten Automaten sofort Zeugen zu suchen, sich deren Adressen zu notieren und wenn möglich ein kurzes schriftliches Protokoll unterschreiben zu lassen.

Elektronische Tickets

Um am Reisetag Schwierigkeiten zu vermeiden, empfiehlt sich der elektronische Billettbezug. So gehts:

Wenn Sie im Besitz eines Smartphones sind, können Sie sich das SBB Mobile App herunterladen. Registrieren Sie sich mit Ihren Daten und legen Sie eine Bezahlmöglichkeit fest. Ihre Kredit- bzw. Ihre PostFinance Card wird automatisch beim Billettkauf belastet. Der Kondukteur scannt das gekaufte Billett direkt von Ihrem Smartphone.

Das Online-Ticket können Sie per Internet bestellen, mit Ihrer Kreditkarte oder PostFinance Card kaufen und bei sich zu Hause ausdrucken. Es ist persönlich, nicht übertragbar und in der Regel nur einen Tag gültig.