Bei den einen klingeln die Kassen, bei den anderen läuten die Alarmglocken. Seit drei der insgesamt 21 eidgenössisch konzessionierten Kasinos mit Glanz und Gloria ihre Tore geöffnet haben, lauert für Zehntausende von Spielsüchtigen die Gefahr direkt vor der Tür. Ambros Uchtenhagen, Direktor des privaten Zürcher Instituts für Suchtforschung (ISF), schätzt die Zahl der Abhängigen in der Schweiz auf mindestens 70000 bis 100000 Personen. Untersuchungen aus der Romandie gehen gar von rund 200000 gefährdeten Spielern aus.

 

Mit dereinst 21 amtlich geweihten Spieltempeln ist die Schweiz, gemessen an der Bevölkerung, europaweite Spitzenreiterin: Auf 323000 Einwohner entfällt hier ein Kasino, in Österreich liegt die Zahl bei 667000, in Deutschland bei 1,632 Millionen und in Italien bei 14,4 Millionen.

 

Für Szenekenner Uchtenhagen ist klar: Je mehr gespielt wird, desto grösser ist das Risiko für pathologisches Spielverhalten. Daran werden auch die Sozialkonzepte, die das Gesetz den Spielbanken vorschreibt, nicht viel ändern. Die Eckdaten des Gesetzgebers lassen viel Spielraum zu, konkrete Inhalte fehlen. So sind die Kasinos verpflichtet, Prävention zu betreiben und insbesondere ein Augenmerk auf spielsüchtige oder gefährdete Gäste zu richten. Eigens geschulte Angestellte sollen auffällige Personen auf die Folgen einer möglichen Sucht aufmerksam machen und sie gegebenenfalls auf eine Beratungsstelle hinweisen. Im schlimmsten Fall wird ihnen der weitere Zugang verboten.

 

Soziale Katastrophe droht

Suchtexperten machen jetzt mobil, weil sie an der praktischen Umsetzung der Sozialkonzepte zweifeln. Unmissverständlich markiert der auf Spielsucht spezialisierte Zürcher Psychiater Mario Gmür seinen Standpunkt: «Die Sozialkonzepte sind Augenwischerei, die soziale Katastrophe ist programmiert.» Sein Vorschlag für eine wirksame Prävention in der Praxis: Der Gast muss Referenzen vorweisen wie etwa den Lohnausweis oder den Bankkontoauszug. Ein auf seine finanziellen Verhältnisse zugeschnittenes Spielerkonto könnte so den Einsatz und den Schaden in Grenzen halten. Nur: Solche Spielregeln würden die profitorientierten Unternehmen in den Ruin treiben. Ein Kasino ohne Spielsüchtige, sagt Gmür, könnte nur mit Subventionen überleben.

 

Hinter dem geballten Angebot ortet der Therapeut eine «destruktive Entwicklung» mit dem Ziel einer «maximalen Stimulierung und Ausbeutung». Dass Experten wie Ambros Uchtenhagen oder der Präventivmediziner und FDP-Nationalrat Felix Gutzwiller im Sozialbeirat von Spielbanken sitzen, empört ihn. Gutzwiller selber hingegen sieht gute Gründe, als aussenstehender Fachmann das Beratergremium der Swiss Casinos zu unterstützen. Ihr Sozialkonzept, das in acht Etablissements zum Tragen kommen soll, bezeichnet er als «echten Präventionsansatz». Ihm schwebt für alle 21 Häuser in der Schweiz eine einheitliche Branchenlösung vor.

 

«Aus ideologischer Überzeugung» arbeitet auch der Projektleiter des Sozialkonzepts, der Zürcher Psychiater und Suchtexperte Andreas Canziani, im Sozialbeirat mit. «Mit einem Sozialkonzept kann man nicht alle vor der Sucht bewahren», sagt er. Doch jeder, der sich dank einer Therapie befreien könne, sei ein Glücksfall.

 

Betroffene stehen den Sozialkonzepten kritischer gegenüber (siehe Porträt). Peter Küllmer, Leiter der Beratungsstelle für Alkohol- und andere Suchtprobleme in Münchenstein BL, kennt Fallen und Fälle der Spielsucht. Der Coach einer Glücksspiel-Selbsthilfegruppe ist überzeugt: «Die Sozialkonzepte greifen zu kurz.» Er vermisst den verbindlichen Therapieansatz sowie Massnahmen bei Verschuldung und Verarmung von Süchtigen. «Was passiert, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist?», fragt er. Küllmer plädiert für die Schaffung eines «Suchtfonds», der von den Spielbankgewinnen gespeist wird. Auch er sieht die Zahl der süchtigen Spielerinnen und Spieler steigen: «Wir haben es hier mit einer Zeitbombe zu tun.»

 

Das Spiel kennt wenig Moral

Als «horrende Augenwischerei» kanzelt der Basler Psychotherapeut Christian Hofer die Sozialkonzepte ab. Zur Prävention schlägt er Massnahmen vor wie strenge Eingangskontrollen und Vorweisen einer Einkommensbestätigung. Wenn Familienväter zudem die Adresse ihrer Ehefrau angeben müssten, könnte Leid verhindert werden. Dass mit der Spielsucht die AHV mitfinanziert wird man rechnet mit knapp 400 Millionen Franken jährlich , ist für Hofer fragwürdig. Eigentlich, so meint er, sollte der Staat doch ein moralisches Vorbild sein. Auch Berufskollege Gmür, ein Kasinogegner der ersten Stunde, stösst sich an der Vorstellung, dass eine Grossmutter bald einmal ihre Miete mit jenem Geld bezahlt, das ihr Enkel im Kasino verspielt hat.

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