Im September 2019 hatte Jonathan Green dringenden Gesprächsbedarf. Der Chef von Juul Schweiz schickte keinen Geringeren als den Lobbyisten und ehemaligen Schweizer Botschafter Thomas Borer vor, um sich als Interviewpartner zum Thema E-Zigaretten anzudienen. Der Beobachter verzichtete dankend.

Ein paar Wochen später konnte sich Green in der «Schweiz am Wochenende» zu Wort melden und stellte dort eine interessante Forderung: Die Schweiz solle den Nikotingehalt bei E-Zigaretten von 20 auf 60 Milligramm pro Milliliter Flüssigkeit anheben, also gleich viel wie in den USA. Dort sprechen Fachleute mittlerweile von einer «Epidemie», die das Juul-Gerät dank des schnellen und starken Nikotinkicks unter Jugendlichen ausgelöst hat.

Hoher Nikotinausstoss

Greens damalige Forderung war nichts weiter als eine gekonnt platzierte Nebelpetarde. Juul hatte zu diesem Zeitpunkt in Europa längst klammheimlich ein neues Gerät eingeführt. Es sieht dem ursprünglichen Stick zum Verwechseln ähnlich, weist aber einen entscheidenden Unterschied auf: Der Docht des Zigarettenersatzes besteht neu aus Baumwolle statt aus Kieselsäure. Dadurch kann pro Zug wesentlich mehr Nikotin eingesogen werden als mit dem alten Gerät.

Das Tückische daran: Juul wirbt seither mit einem Nikotingehalt von nur noch 18 statt 20 Milligramm. Dass davon ein wesentlich höherer Anteil aufgenommen wird, verschweigt das US-Unternehmen, das zu rund einem Drittel dem Tabakkonzern Altria (Philip Morris) gehört.

Juul auf die Schliche gekommen sind Forscher des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung. Sie massen bei den «Pods» einen deutlich höheren Dampfausstoss als bei den herkömmlichen Juuls und kamen zu einem eindeutigen Befund: «Der Nikotinausstoss des modifizierten europäischen Juul-Geräts kommt der US-amerikanischen Hochnikotinvariante sehr nahe.» Nichtraucher, die mit E-Zigaretten mit einem derart hohen Nikotinausstoss beginnen, «haben ein wesentlich höheres Risiko, abhängig zu werden». Diese Einschätzung teilt auch die deutsche Präventionsmedizinerin Martina Pötschke-Langer: «Diese Veränderung am Gerät steigert das Suchtpotenzial enorm.»

Der Wissenschaftliche Ausschuss für Gesundheits-, Umwelt- und aufkommende Risiken (SCHEER) der Europäischen Union sieht in einem im September veröffentlichten Report starke Hinweise, dass elektronische Zigaretten Jugendliche zu Rauchern machen. Das in den Dampfgeräten enthaltene Nikotin birgt nach den Erkenntnissen der Forschenden ein hohes Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten mit Langzeitschäden.

Juul vor dem Rückzug

Der E-Zigaretten-Hersteller nimmt auf konkrete Fragen des Beobachters nur sehr allgemein Stellung. «Unsere Studien zeigen für unsere Kieselsäure- und Baumwolldochtprodukte mit 18 mg/ml eine ähnliche Nikotinabgabekurve, die im Übrigen in beiden Fällen viel niedriger ist als bei einer (Tabak-) Zigarette», sagt ein Sprecher. Er betont jedoch, dass nach Ansicht von Juul «die Ermöglichung einer ähnlichen Nikotinwirkung und -erfahrung wie bei brennbaren Zigaretten entscheidend ist, um erwachsenen Rauchern den Stopp von Tabakzigaretten zu erleichtern». Besser lässt sich ein Widerspruch kaum formulieren.

Ob Schweizer Dampferinnen und Dampfer noch lange an einer Juul nuckeln können, ist fraglich. Man sei mit den Schweizer Mitarbeitern «in Konsultationen getreten zu unserem Plan, uns aus dem Schweizer Markt zurückzuziehen», schreibt der Juul-Sprecher.

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Thomas Angeli, Redaktor
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