Claudine quiekt erschrocken, als ihr die Wirkung der gelben Gummiente demonstriert wird: Anita hat ihr das vibrierende Tierchen an den Hals gesetzt und führt es nun sachte die Nackenmuskulatur entlang, während sie erklärt, dass sich dieser «Vibrator für Einsteigerinnen» für Massagen aller Art eigne – vor allem auch im Intimbereich.

Karin, Ursula, Ines, Sofia, Catherine, Sibylle, Claudine und Béatrice, alle Anfang 40, sitzen gespannt um den Fernsehtisch in einer Zürcher Wohnung, knabbern leckere Häppchen und nippen an ihren Weingläsern. Alles wirkt vollkommen unverdächtig. Nur die bunten Objekte, die sich im Laufe des Abends in der Mitte des Tisches zwischen Sandwiches und Pommes Chips stapeln, verraten, dass Gastgeberin Béatrice ihre Bekannten zu einem speziellen Anlass eingeladen hat.

Etwa einmal pro Woche moderiert Anita Wildermuth «Fuckerware»-Partys, bei denen sich nach dem Prinzip von Tupperware-Partys Freundinnen zusammenfinden, um ungestört einzukaufen. In diesem Fall allerdings kein Plastikgeschirr.

Anita Wildermuth führt seit 1996 den schweizweit einzigen Erotikladen für Frauen. Der kleine «Femintim»-Shop in Rapperswil ist in einem unauffälligen Gewerbehaus weitab der Einkaufspassagen untergebracht. Eigentlich hätte Wildermuth lieber einen repräsentativeren Laden in Zürich, «aber nicht in den Quartieren, in denen sich das Milieu tummelt». Doch das hat bis jetzt noch nicht geklappt. Das Warenangebot ist gezielt auf weibliche Bedürfnisse ausgerichtet, was aber keinesfalls ausschliesse, dass auch Männer an den Artikeln Freude hätten, betont die 40-Jährige.

Was ein «Lippenstift» alles kann
Mit viel Elan präsentiert sie an der Zürcher Frauenparty ihre Mitbringsel, die sie nach und nach aus einer grossen Sporttasche zaubert. Sie beginnt mit den batteriebetriebenen Vibratoren, die sie liebevoll «Vibis» nennt. Wer erwartet hatte, mit brummenden Phallusnachbildungen konfrontiert zu werden, wird eines Besseren belehrt. «Ein Vibi ist ein Massagegerät, das am Körper sehr viel taugt, in ihm jedoch wenig bis nichts», erklärt die Fachfrau den Laien.

So erinnern die kleinen «frauenfreundlichen Vibratoys» in Grösse und unverfänglichem Design eher an harmlose Lippenstifte, nur dass sie auf Befehl fröhlich zu surren beginnen. Wildermuth führt vor, wie der jeweilige Artikel möglichst lustspendend am Körper anzusetzen ist, und übergibt ihn der Runde, auf dass die Frauen seine Geheimnisse erkunden mögen. Die bunten Plastikteile werden auffällig eilig herumgereicht. Desinteresse? Schüchternheit?

Die Erotikspezialistin gibt Nachhilfe bei der Suche nach erogenen Zonen: «Ihr müsst die Dinger nicht in der Hand vibrieren lassen, dort werdet ihr sie zu Hause ja auch nicht anwenden. Haltet sie zwischen die Beine, sonst merkt ihr nicht, welche Vibrationsstärke euch angenehm ist.» Jetzt? Hier? «Aber bitte die Kleider anbehalten.» Verlegene Blicke. Keine traut sich.

Selbstbefriedigung bezeichnet Anita Wildermuth als «eine Liebesbeziehung mit uns selbst, die ein ganzes Leben lang andauert». Die Sextoys seien Spielzeug – und nicht etwa Partnerersatz. So seien diese Artikel keineswegs nur für Singles interessant, sondern auch für Paare, die ihre Möglichkeiten erweitern wollen.

Die Partygäste hören aufmerksam zu, schweigen aber beharrlich. Zu viel Neugierde könnte die Frau von Welt als ahnungslos outen, zu wenig Interesse als Verklemmtheit ausgelegt werden. Eine heikle Gratwanderung.

Was der Partner davon weiss
Wer kauft eigentlich solche Erotikartikel? Wer besucht solche Partys? «Wer darauf Lust hat», sagt Wildermuth. «Meine Kundinnen und Kunden sind zwischen 20 und 80 Jahre alt, aus allen Berufen und Gesellschaftsschichten.» Die anwesenden Partygäste arbeiten im Pflegebereich oder im Büro, manche sind Singles, die meisten liiert. Wissen die Partner von diesen Spielsachen? «Zum Teil.»

Während das wasserdichte Vibratoy munter zwischen ihren Fingern rattert, versucht Ines konzentriert, den Ein- und Ausschaltmechanismus zu ergründen – und löst das Rätsel auch mit Ursulas und Sibylles Hilfe nicht. Als Ursula mit zunehmender Gewalt an dem störrischen Biest herumdreht, ploppt das Spielzeug in weitem Bogen auseinander, und die Batterie geht mit einem dumpfen Plumps zu Boden. Drei Frauen erröten.

In der Westschweiz haben Wildermuths «Fuckerware»-Partys eine treue Fangemeinde, die Tupperware-Partykultur sei jenseits des Röstigrabens generell ausgeprägter, so die Handelsreisende. Die Frauen treffen sich dort regelmässig, um Geschirr, Schmuck oder Unterwäsche zu shoppen. Oder eben Sexspielzeug. Wie sich die Stimmung an einem solchen Anlass entwickle, hänge von den Teilnehmerinnen ab und sei entsprechend unvorhersehbar. Erst einmal musste sie eine Party abbrechen, weil die Frauen so albern rumgequietscht und dazwischengerufen hätten, dass Wildermuth die Lust verging.

Als die Zürcher Frauenrunde «Digger» erblickt, können die bislang sehr disziplinierten Damen vor Entzücken kaum an sich halten: «So ein süsses Kerlchen!» Acht Frauenhände greifen gleichzeitig nach dem 17 Zentimeter langen gelben Stabvibrator in Form eines freundlich grinsenden Maulwurfs. «In der Vibrationsstärke stufenlos verstellbar», triumphiert Wildermuth und erklärt die vielseitigen Einsatzmöglichkeiten des guten Stücks. Die Partygäste werden zunehmend mutiger, kneten und biegen unzimperlich am pinkfarbenen «Stubby» und am himmelblauen «Semirealistic» herum und erkundigen sich nach den Raffinessen ihrer futuristischen Formgebung.

Auf der Suche nach ihrer Berufung erfuhr Anita Wildermuth 1994 von einem Münchner Sexshop nur für Frauen. Sie war von der Idee begeistert. Ein halbes Jahr später bestellte die quirlige KV-Absolventin bei Herstellern in ganz Europa Kataloge für die Zusammenstellung ihres eigenen Sortiments – und war vom Angebot abgestossen. «Das war teils fürchterliches Zeug, das da feilgeboten wurde. Es dauerte eine Weile, bis ich Firmen fand, die wirklich Qualitätsware liefern.» Zum Spass sammelt sie dennoch einige abschreckende Beispiele in ihrem Shop: überdimensionierte High-Tech-Phallen oder nach Gummi stinkende Naturnachbildungen, bei deren Anblick frau schaudert.

Was die richtige Beschichtung bringt
Die Partygäste in der Zürcher Wohnung sind mittlerweile recht aufgekratzt, das schnörkellose Design des Metallmodells «Cigar» löst bei den Frauen bewundernde «Ahs» und «Ohs» aus – für Freundinnen des Exklusiven ist dieses Luxusexemplar sogar mit 24-karätiger Goldbeschichtung zu haben. Das hat natürlich seinen Preis: 259 Franken kostet das erlesene Stück in dieser Ausführung.

«Zirka 80 Prozent der Kundinnen halten sich bei Sextoys an Vibratoren, der Rest zieht Dildos vor», sagt Wildermuth. Diese nichtvibrierenden Silikonstäbe haben mit ihrem funktionellen Vorbild aus der Natur gerade mal die Grundform gemein, wohingegen Grösse und Oberflächenbeschaffenheit je nach gewünschter Wirkung gewissermassen «perfektioniert» wurden. Bei jedem Exemplar doziert die Sexshopbesitzerin beinahe wie eine Medizinerin, aber durchaus mit Leidenschaft über den Effekt, den die jeweilige Struktur verspricht.

Die handgemachten Silikonkunstwerke sind ebenso ästhetisch wie niedlich, fast zwanghaft möchte man sie knuddeln. Doch die Farben irritieren. «Warum sind die eigentlich alle violett, rot oder silbern?», will Catherine wissen. «Wenn ich den Frauen Dildos in Hautfarbe zeige, sagen sie alle ‹igitt›. Lila kommt schlicht am besten an», erklärt Wildermuth.

Sie lässt zwei schmucklose rote Dildos herumreichen, der eine relativ klein, schmal und biegsam, der andere grösser, dicker und unnachgiebiger. «Schliesst die Augen und ertastet, welcher euch sympathischer ist», fordert sie die Runde auf. Augen zu, ein fester Griff: «Der grössere!», sagt Béatrice entschlossen. «Lass dir Zeit bei deiner Wahl», rät die Expertin. Die Testdildos gehen reihum, werden massiert und gedrückt. «Eigentlich eher der kleinere. Er ist irgendwie spannender, nicht so stur», meint Sofia, über ihr Urteil selbst ein bisschen erstaunt. Karin, Ursula und Catherine nicken bestimmt. Auch Béatrice stimmt nach einem zweiten Testkneten zu. «Small Atomic», ein rund elf Zentimeter langer und damit einer der kleinsten Dildos im Sortiment, sei bei ihren Kundinnen der gefragteste, erklärt die Frauen-Sexshop-Pionierin. «Das belegt einmal mehr, dass der Spruch ‹Die Grösse ist unwichtig› nicht ganz stimmt», zwinkert Wildermuth.

Was der Kühlschrank dazu beiträgt
Die «Fuckerware»-Party geht nach rund drei Stunden langsam zu Ende.

Als Höhepunkt ihrer Präsentation holt Wildermuth eine durchsichtige Plastikhülle hervor, in der ein gläserner, mit Knubbeln versehener Wurm zu erkennen ist, der auf den ersten Blick aussieht wie die Larve einer ausserirdischen Spezies. Sie hebt den 17 Zentimeter langen Alien vorsichtig aus der Hülle und erklärt stolz, dass dieser mit violetter Flüssigkeit gefüllte Dildo nach ihren eigenen Designvorgaben mundgeblasen wurde. Allerdings sei der – garantiert unzerbrechliche – Glasdildo nur für Fortgeschrittene geeignet, da das Material etwas gewöhnungsbedürftig sei. Wer zusätzlichen Kitzel suche, solle ihn vor Gebrauch in den Kühlschrank legen – für «Special Effects», wie Wildermuth es nennt. So ästhetisch das gläserne Kunstwerk ist, so misstrauisch zeigen sich die Anwesenden, dass es den Belastungen tatsächlich standhält.

Wildermuths Sammlung liegt zwischen Snackkrümeln auf dem Wohnzimmertisch verstreut, es geht ans Bestellen. Aufgeregt werden die Köpfe zusammengesteckt, einzelne Stücke nochmals kritisch geprüft und Fragen gestellt. Im grossen Durcheinander versucht jede der Frauen, kurz Wildermuths Aufmerksamkeit zu erhaschen, um unauffällig die detaillierte Liste ihrer intimsten Wünsche kundzutun. Die Sexshopbesitzerin hat alle Hände voll zu tun, die Vibratoren und Dildos zu verteilen. Der Verkaufshit des Abends ist einmal mehr eines ihrer preisgünstigsten Stücke: das diskrete, aber effektvolle Gummientchen für 49 Franken.