Veröffentlicht am 31. August 2025 - 06:00 Uhr
Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer dieser Vorlage?
Was ist der Eigenmietwert?
Der Betrag, den Eigentümerinnen versteuern müssen, wenn sie in der eigenen Immobilie leben und deshalb keine Miete zahlen. Viele finden es aber unfair, dass Steuern auf ein «fiktives Einkommen» fällig werden. Experten sehen dagegen das mietfreie Wohnen als sogenanntes Naturaleinkommen, das gemäss dem Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ebenfalls zu besteuern ist.
Die NZZ hat dazu ein Beispiel gemacht: Mieterin Müller und Eigentümer Egli verdienen beide gleich viel und haben beide eine Million Franken Vermögen. Müller zahlt 30’000 Franken Miete. Egli hat fürs Wohnen keine Kapitalkosten, das Haus ist abbezahlt – seine Million steckt in der Liegenschaft. Müller hat ihre Million hingegen in Wertschriften angelegt, die jährlich 30’000 Franken Ertrag abwerfen – zum Beispiel Dividenden. Diesen Gewinn muss sie versteuern.
Ohne Eigenmietwert, so die Argumentation, wäre Eigentümer Egli im Vorteil. Muss er aber 30’000 Franken Eigenmietwert versteuern, dann ist seine Steuerlast gleich hoch wie die von Müller.
Wie funktioniert das System?
Die Steuerbehörden legen für jede Immobilie den Eigenmietwert – 60 bis 70 Prozent der erzielbaren Marktmiete – fest, der als Einkommen deklariert werden muss. Im Gegenzug lassen sich Abzüge für die Schuldzinsen der Hypothek und den Gebäudeunterhalt vornehmen. Sind diese Abzüge geringer als der Eigenmietwert, steigt die Steuerrechnung. Kann man dagegen wegen Renovationen mehr abziehen, zahlt man sogar weniger Steuern.
Warum soll das System abgeschafft werden?
Es ist aufwendig, wird von vielen nicht verstanden, und Schweizer Haushalte sind rekordhoch verschuldet. Gemäss «Tages-Anzeiger» sind die Hypotheken rund
Mit dem Systemwechsel würde es attraktiver, die Hypothek zurückzuzahlen. Wie stark dieser Effekt wäre, ist aber umstritten.
Warum stimmen wir jetzt darüber ab?
Im Dezember 2024 hat das Parlament den Systemwechsel beim Eigenmietwert beschlossen und gleichzeitig die Verfassungsgrundlage dafür geschaffen, dass die Kantone eine Objektsteuer auf Zweitwohnungen einführen können. Denn vor allem Tourismuskantonen drohen grosse Steuerausfälle.
Für die Verfassungsänderung ist eine Volksabstimmung zwingend. Weil beide Beschlüsse aneinandergekoppelt sind, wäre bei einem Nein zur Zweitwohnungssteuer – nur über sie stimmen wir ab – gleichzeitig die Abschaffung des Eigenmietwerts gescheitert.
Wie argumentieren die Gegner des Systemwechsels?
Sie kritisieren vor allem, dass Besitzende von Immobilien weniger Steuern zahlen müssten, was dem Verfassungsgrundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit widerspreche, und dass der Staat Einnahmen verliere. Das müsste durch höhere andere Steuern oder durch Einsparungen kompensiert werden.
Ein Teil des Gewerbes befürchtet, dass weniger renoviert würde und dass es ohne Steuerabzugsmöglichkeit mehr Schwarzarbeit gäbe. Ausserdem würden energetische Sanierungen finanziell etwas unattraktiver, wenn sie nur noch bei den Staats- und Gemeindesteuern geltend gemacht werden können.
Wer sind die Gewinner und die Verlierer des Systemwechsels?
Derzeit würden gemäss Bund 82 Prozent der Eigentümer profitieren und 18 Prozent verlieren. Am deutlichsten profitieren Pensionierte, die ihre Hypothek weitgehend abbezahlt haben, die nicht mehr viel renovieren und wenig Einkommen haben. Denn bei ihnen schlägt der Eigenmietwert stark zu Buche. Auch wer eine schuldenfreie Immobilie in gutem Zustand hat, zählt zu den Gewinnern, weil die künftig gestrichenen Abzüge für ihn kaum eine Rolle spielen.
Umgekehrt verschlechtert sich die Lage für diejenigen, die hohe Schulden und hohe Unterhaltskosten haben, damit den Eigenmietwert überkompensieren und so Steuern sparen.
Erstkäufer würden profitieren, weil es für sie eine Ausnahme gibt. Wer erstmals eine selbst bewohnte Immobilie kauft, kann über zehn Jahre einen begrenzten und jährlich sinkenden Schuldzinsabzug machen. Bei Ehepaaren sind es im ersten Jahr maximal 10’000 Franken, sonst höchstens 5000 Franken.
Für Mieterinnen hat die Reform keine direkten Auswirkungen. Hauseigentümer würden aber aus Expertensicht zukünftig nicht mehr gleichermassen nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert wie Mieter. Ob und wie Mieterinnen für etwaige Steuerausfälle aufkommen müssten, ist unklar. Die Objektsteuer, die die Kantone neu zum Ausgleich erheben könnten, würde Zweitwohnungsbesitzerinnen treffen. Diese würden damit auch zu den Verlierern der Reform zählen.
Was bedeutet die Reform für die Steuereinnahmen?
Ein Ziel der Reform war, einen haushaltsneutralen Systemwechsel zu erreichen. Im Moment sieht es aber nicht danach aus. Beim jetzigen durchschnittlichen Hypozinsniveau von 1,5 Prozent würden der Bund 400 Millionen und die Kantone und Gemeinden 1,4 Milliarden Franken einbüssen.
Steigt der Zins auf knapp 3 Prozent oder mehr, müssten Eigentümer jedoch mehr Steuern zahlen als heute. Die öffentliche Hand würde dann profitieren. Wie lange die Hypozinsen so tief bleiben wie jetzt, weiss niemand. Bis zur Finanzkrise 2008 lagen sie jahrzehntelang deutlich über 3 Prozent.
Was heisst der Wechsel für die Banken?
Von der Besteuerung des Eigenmietwerts und den damit verbundenen Steuerabzügen hätten in erster Linie nicht die Eigentümer, sondern die Banken profitiert, schrieb der Wirtschaftsprofessor Mathias Binswanger in der NZZ. Die Hypotheken bleiben höher als nötig, und 85 Prozent aller Bankkredite sind Hypotheken. Binswanger kritisiert das bisherige System als «indirekte Förderung der Schweizer Banken».
Wer ist für und wer gegen die Reform?
Für die Reform kämpfen vor allem der Hauseigentümerverband und ein Teil des Gewerbes. Dagegen sind der Mieterinnen- und Mieterverband, Casafair, die Konferenz der Kantonsregierungen, der Gemeindeverband, Bauenschweiz und der Dachverband der Wirtschaft für erneuerbare Energien und Energieeffizienz aeesuisse.
Bei den Parteien sehen die Lager so aus: Für den Systemwechsel sind SVP, FDP, Mitte, EDU, EVP, dagegen SP und Grüne. Die Grünliberalen geben keine Abstimmungsempfehlung.
Was zeigen die Umfragen?
In einer Umfrage von Tamedia und «20 Minuten» sprachen sich 65 Prozent der Befragten dafür aus, den Eigenmietwert abzuschaffen. In einer SRG-Umfrage waren es 58 Prozent.
Und das im Mieterland Schweiz? Abgesehen davon, dass auch ein Teil der Mieter den Eigenmietwert beseitigen will, ist eine Raiffeisen-Studie aufschlussreich. Demnach liegt der Anteil der Wohneigentümer an der stimmberechtigten Bevölkerung bei 43 Prozent, also höher als in der Gesamtbevölkerung (36 Prozent).
Ausserdem betrug in den letzten fünf Jahren die Stimmbeteiligung der Eigentümerinnen 58 Prozent gegenüber 49 Prozent der Gesamtbevölkerung. Mit dem Ergebnis, dass die Eigentümerinnen bei jeder Abstimmung in der Mehrheit waren.
- Erläuterungen des Bundesrates: Volksabstimmung vom 28.9.2025
- Studie Eidgenössische Steuerverwaltung: Aktualisierte Schätzung zu den Aufkommenswirkungen des Bundesgesetzes über den Systemwechsel bei der Wohneigentumsbesteuerung
- Studie Eidgenössisches Finanzdepartement: Verteilungswirkungen einer Reform der Eigenmietwertbesteuerung
- Studie Raiffeisen Economic Research: Immobilien Schweiz – 1Q 2025: Was, wenn der Eigenmietwert fällt?
- NZZ: Der Eigenmietwert ist besser als sein Ruf – Wohneigentümer und Mieter werden gleich behandelt
- NZZ: Die grössten Profiteure vom Eigenmietwert sind die Banken
- «Tages-Anzeiger»: Werden Häuser noch teurer? Das versteckte Risiko der Eigenmietwert-Reform
- Umfrage SRG: Wird der Eigenmietwert abgeschafft? Ja-Seite derzeit vorne (veröffentlicht am 22.8.2025, aktualisiert am 26.8.2025)
- Umfrage Tamedia und «20 Minuten»: Überraschend deutliche Mehrheit will den Eigenmietwert abschaffen (veröffentlicht am 13.8.2025)