Aufgezeichnet von Martin Vetterli
 

Ich heisse Ohìdiga Saba Wamni, Mutiger Schwarzer Adler, aber meinen indianischen Namen kennen hier nur wenige. Ich bin wohl der einzige Native American in der Schweiz. Einen zweiten habe ich nicht gefunden. Das macht es manchmal schwierig. Hier bin ich draussen in der Kälte, ohne Schutz. Drüben sorgt mein Stamm für mich, und ich kann machen, worauf ich Lust habe. Fischen und jagen. Dafür brauche ich dort keine spezielle Bewilligung.

Mit meinem Hund gehe ich jeden Tag in den Wald. Ich brauche das. In der Natur zu sein, bringt mich zurück zu mir. Und die Wälder erinnern mich an zu Hause, sie sind wie an der Pazifikküste. Aber hier brauchst du kein Gewehr und keinen Bärenspray, wenn du raus in die Natur gehst.

Ich poste täglich etwas auf Facebook. Meine Leute drüben mögen das. Es hat vor mir ja praktisch niemand hier in Europa gelebt. Für sie bin ich ein echter Pionier. Wir Nakotas sind eines der drei grossen Völker der Sioux (ausgesprochen: «Su»). In den Cowboyfilmen existieren wir nicht, da gibt es im besten Fall Dakotas und Lakotas. Meistens redet man über uns als Indianer, Indigene oder Native Americans, als wären wir ein einziges Volk. Wir sind über 500 anerkannte Nationen – mit unterschiedlicher Kultur, unterschiedlichen Sprachen.

Wir kamen vor anderthalb Jahren in die Schweiz. Meine Frau Brigitte hatte Sehnsucht nach ihren beiden Töchtern. Sie kam vor elf Jahren zu mir, jetzt gehe ich zu ihr. Wir haben zehn Jahre in der Flathead Reservation in Pablo, Montana, gelebt. Viele machen sich ein falsches Bild vom Leben dort. Die Armut ist gross, die Arbeitslosigkeit bei 70 Prozent, Alkoholismus und die vielen Suizide sind allgegenwärtig. Es gibt einen staatlich finanzierten indianischen Gesundheitsdienst, der funktioniert aber nur eingeschränkt. Wir sind täglich mit dieser Cowboyhaltung konfrontiert, werden wie Zweitklassbürger behandelt, stehen noch unter den Schwarzen. In der Schweiz ist das anders. Die meisten begegnen mir offen und sind an unserer Kultur interessiert.

Die Frau aus dem Traum

Die Schweiz kannte ich nur von den drei Wochen, die wir 2012 nach unserer Hochzeit hier waren. Der Umzug gestaltete sich schwierig. So dauerte es ein ganzes Jahr und drei Gesuche, bis ich meine Adlerfedern ausführen konnte. Adler sind geschützt, und der illegale Export wird hart bestraft. Erst als ich mich auf meine in der Verfassung verbrieften Freiheitsrechte berief, klappte es. Adlerfedern sind Teil unserer Spiritualität, meiner Religion. Sie sind die grösste Ehre, die dir als Native American zuteilwerden kann. Mir wurden 191 Federn geschenkt. Einige habe ich nun weitergegeben.

Nach Adlerfedern kannst du nicht suchen und kannst auch nicht damit rechnen, sie zu bekommen. Es ist wie mit fast allen Dingen: Wenn es Zeit ist, finden sie zu dir.

Das ging auch Brigitte und mir so. Seit ich zwölf war, wusste ich, dass sie meine Frau ist. Wie meine Grossmutter und meine Mutter habe ich diese Gabe, Dinge zu sehen. In meinem Traum hiess sie Patricia. Wir lernten uns dann im Internet kennen und schrieben uns ein Jahr lang. Als sie zu mir kam, sagte ich ihr auf dem Heimweg vom Flughafen: «Du bist die Frau, auf die ich immer gewartet habe.» Sie sagte nichts, schaute mich eine Minute lang an, dann wechselten wir das Thema.

Die Geschichte ihres Namens erfuhr sie von ihrem Vater später, bevor er starb: Brigitte sollte Patricia heissen. Sie kam aber zu früh auf die Welt, und die Ärzte sagten, sie werde wohl nicht überleben. Ihr Vater brachte es nicht übers Herz, eine Patricia zu Grabe zu tragen. Deshalb hatten sie sie Brigitte getauft. Wenn du die Dinge geschehen lässt, bist du auf dem richtigen Weg. Auch wenn du dumme Dinge anstellst. Aber im nächsten Leben werden wir nicht mehr 50 Jahre warten, bis wir uns finden.

Ich lebe meine Kultur und tanze seit 39 Jahren an Pow-Wows, unseren Stammestreffen. Ich mache das nicht für Geld und nehme auch an keinem Wettbewerb teil. Ich bin old style. Ich tanze für jene, die nicht können. Für die Alten und Jungen, die Gefangenen und Kranken. Meine Kultur möchte ich auch in der Schweiz weitergeben und Verständnis für uns wecken. Aber bisher hatte ich nicht oft Gelegenheit, traditionell zu tanzen und Workshops zu geben. Ich würde auch gern an Schulen gehen, aber da gibt es ein kleines Problem: Ich spreche kein Deutsch.

Die SRF-Sendung «Hin und weg» hat Jay und Brigitte Howard vor ihrem Umzug von Montana, USA, in die Schweiz porträtiert. Den ganzen Beitrag sehen Sie hier.